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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 29.01.1877
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- 1877-01-29
- Erscheinungsdatum
- 29.01.1877
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- Deutsch
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23, 29. Januar. Nichtamtlicher Theil. 371 den vorzugsweise von der Schmarotzerpflanze ausgesucht) offnen ihnen ganz unbefangen ihre Beilagen. Ehe wir weiter gehen und die wahre Natur dieses gefährlichen Schwindels näher erörtern, erscheint es geboten, einen Einwand zurückzuweisen, der uns sicherlich zunächst entgegengehalten wird. Der Schwindel ist nicht auszurotten, man kann ihn ebensowenig bekämpfen wie den Landregen. Gewiß, wir verlangen nicht oder geben uns wenigstens nicht der Hoffnung hin, daß plötzlich alle Menschen Sokratesse oder Catone werden möchten. Die Anlage zum Schwindel steckt ziemlich tief in der Menschenbrust. Es fragt sich nur, ob man diesen Keim auf alle mögliche Art begünstigen und zur vollkommensten Blüthe entwickeln lassen, oder ob man ihm überall, wo es geht, begegnen und ihm die wichtigsten Pfahlwurzeln ab graben will. Im kleinen Privatverkehr werden wir allerdings den Schwindel niemals ganz ausrotten. Aber was will alle solche Privatbetrügerei, gegen die das Gesetz und der Spruch „Trau schau wem" einigen Schutz gewährt, gegen die gaunerische Frechheit be deuten, die sich an die Oeffentlichkeit drängt, ihre Lügen mit der vertrauenerweckenden Firma unserer angesehensten Zeitschriften aus- staffirt, bei zehn- und Hunderttausenden von Exemplaren ins Publi cum wirst und durch Beispiel, Mitbewerb und glänzenden Erfolg immer mächtiger zur Nachahmung reizt? Wenigstens ernstlich er wogen sollte die Frage werden, ob es nicht möglich sei und auf welche Weise, wenigstens die anständige Presse von dem größten Schmutz zu säubern. Aber haben wir nicht zu stark ausgetragen, nicht mit zu grellen Farben gemalt? Sieht es wirklich so schlimm aus mit dem „persön lichen Schutz", mit der „heilbaren Schwindsucht"? Ist der Haar balsam so gefährlich? Wir haben den Apfelwein überstanden und den Malzextract sich zu den Vätern versammeln gesehen: sollte die „Coca" und die „Japanpflanze" uns gefährlicher werden als die liovalvnta arabiea und die Rheumatismuskette? Ein guter alter preußischer Soldatenspruch heißt: „Bange machen gilt nicht." Aber man muß auch den liebeln und Gesahren hübsch gerade ins Gesicht sehen, das Häßliche nicht mit Schönheitspflastern verkleistern, son dern das Kind beim rechten Namen nennen. Und daß wir es hier mit einem ganz gemeinen, zum Tbcil höchst unanständigen, im Ganzen aber — was seinen Einfluß aus die Sittlichkeit des Volkes betrifft — durchaus gefährlichen Schwindel zu thun haben, dem man mit allen Mitteln entgegenwirkcn muß, für dessen erfolgreiche Zurück- drängung aber glücklicherweise auch Mittel vorhanden sind: das in aller Kürze nachzuweisen, soll der Zweck dieser Zeilen sein. Die Naturgeschichte des Annoncenschwindels ist nicht ganz so einfach, wie sie auf den ersten Blick erscheint. Derselbe zerfällt in zahlreiche Hauptgattungen, deren jede wieder in viele Familien und Specics unabsehbar sich gliedert. Dabei herrscht auch hier wie in der großen Gottesnatur das Gesetz der Artumwandlung, die einzelnen Species gehen unmerklich ineinander über, bilden zahl lose Spielarten und alle möglichen Varietäten, die das unendlich zusammengesetzte, in den buntesten Farben und Farbcnnüancen schil lernde Bild dieser infernalischen Vegetation ausmachen. Wir müssen und können (ist doch die Sache bekannt genug) uns darauf beschränken, die Hauptgattungen unseres Schwindels mit ihren wichtigsten Unterarten auszuzählen und eine kurze Charak- terisirung vom Rechts- und Sittlichkeitsstandpunkte hinzuzufügen. Danach lassen sich folgende Hauptgattungen unterscheiden: I. Criminell strasbarer Schwindel. Der Verstoß gegen das Strafgesetz kann einmal darin bestehen, daß die Ankün digung an sich eine offenbare Uebertretung einer Strafbestimmung in sich schließt. Dies ist z. B. der Fall beim Anpreisen von Loosen auswärtiger Lotterien oder von Arzeneien und Geheimmitteln in Ländern, wo das Spielen in fremden Lotterien oder der unbefugte Handel mit Arzeneien bei Strafe verboten sind. Sodann aber kann die Strafbarkeit der Ankündigung darin bestehen, daß dieselbe als Mittel eines beabsichtigtenVergchens dienen soll. Hier ist haupt sächlich der Betrug, d. h. die wissentliche Täuschung durch Vorspie gelung unrichtiger Thatsachen zu dem Zwecke, sich durch den Schaden des Getäuschten zu bereichern, in Betracht zu ziehen. Es ist das ein Feld, auf welchem die Criminalpolizei und Criminaljustiz, wenn sie etwas mehrthätigeJnitiativealsgegenüberdem Gründungsschmindel a» den Tag legen wollte, eine höckst verdienstliche Wirksamkeit entfalten könnte. Wennz.B. Jemandem unfehlbares Mittel gegen Schwindsucht, Krebs, Haarmangel u.s.w. mit der Versicherung „Tausende geheilt" anpreist, während es wissenschaftlich feststcht, daß es ein Mittel aegen diese Leiden theils überhaupt nicht, theils nicht in solcher Allgemeinheit gibt: sollte da die Polizei beziehungsweise Justiz nicht ebenso befugt wie verpflichtet sein, bei einem solchen edlen Menschenfreunde einmal anzuklopsen und ihn zum Nachweise der Wahrheit seiner Behauptungen, also zum Beweise einiger seiner Heilungen, sowie der Thatsachen, die ihn zu dem Glauben, im Besitze eines Heilmittels zu sein, bewegen, also der Erlernung der Heil kunst u. s. w. auszufordcrn? Und wenn sich dabei herausstellt, wie in zahlreichen Fällen unzweifelhaft der Fall sein muß, daß eine ganz bewußte Täuschung, eine wissentliche Vorspiegelung falscher Thatsachen vorliegt, so hindert doch nichts, den säubern Patron nach K. 263. des Reichsstrafgesetzbuches wegen versuchten, be ziehungsweise vollendeten Betruges zur Rechenschaft zu ziehen. Aber leider, leider hat unser Gesetz immer noch eine wächserne Nase oder vielmehr, der Schlendrian der hergebrachten Praxis macht es leicht, ihm eine solche zu drehen. So gilt das Sprichwort von den großen und kleinen Dieben auch hier, und während ein armes Weib, welches sich durch falsches Vorgeben in einem Laden Waare oder ein paar Thaler erschwindelt, ohne Gnade dem rächenden Arm der Dike anheimsällt, kann der raffinirte, gewerbsmäßige Gauner Tausende um Geld und Gesundheit betrügen und seine betrügerischen Ankün digungen in alle Welt verbreiten. II. Criminell strafwürdiger Schwindel, d.h. ein solcher, der nach Lage der Gesetzgebung nicht strafbar ist, aber strafbar ge macht werden sollte und könnte. In diese Kategorie gehören eine Anzahl von Ankündigungen, die so skandalös und untergrabend sind, daß sie nicht geduldet werden sollten. Wir führen hier nur zwei aus: das Anerbieten zur Hilfe bei Erschleichung von Doctor- diplomen, worüber wir hier umsomehr mit der bloßen Erwähnung Hinwcggchen, als die Sache, nachdem sie in neuester Zeit wiederholt zum offenen Skandal geführt, in competeuten Kreisen vor kurzer Zeit verhandelt wurde. Noch schlimmer ist die ewig wiederkehrcndc Offerte: „Offiziere" oder „Active Offiziere und etatsmäßige Beamte erhalten Darlehn". Diese Anzeige wiederholt sich auf einer einzigen Seite eines verbreiteten Wochenblattes vom 30. April 1876 nicht weniger als dreizehnmal. Man muß dabei erwägen, daß Offi zieren und Beamten das Schuldenmachen strengstens, elfteren sogar bei Strasc der Cassation verboten ist, und daß eine ziemliche Anzahl jüngerer Offiziere den blutsaugerischen Verlockungen der Hals abschneider alljährlich zum Opfer fällt. Junge, unerfahrene, leicht lebige Leute geflissentlich immer weiter aus die Bahn des Leichtsinns zu locken, das ist gewiß schon an sich ein ehrloses Geschäft, so ehrlos wie Kuppelei u. dgl. Und man begreift schon nicht ganz, wie ein anständiges Blatt sein weißes Papier zur Ankündigung eines so schmählichen Gewerbes hergeben kann. Wenn aber hierzu noch die Verführung von Offizieren und Beamten zur Pflichtverletzung hin zukommt, so ist das Interesse des Staates, dessen Wohlfahrt und Existenz auf der unbedingten Pflichttreue seiner Diener beruht, an einem der gefährlichsten Punkte so empfindlich berührt, daß man sich fragen muß, ob cs denn ganz außerhalb der Möglichkeit liegt, 50*
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