Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 12.02.1877
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- 1877-02-12
- Erscheinungsdatum
- 12.02.1877
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^7 35, 12. Februar. Nichtamtlicher Theil. 587 nach 1867 und 1871 standen, als der selbst noch etwas optimistisch gestimmte Kanzler glaubte, das in den Sattel gehobene Volk werde sürder allein zu reiten verstehen. Nicht einmal den leidigen Trost haben wir, daß nur die poli tische Talentlosigkeit des deutschen Naturells hier zur Geltung komme und durch die schulende Erfahrung allmählich ausgeglichen werden könne. Das Uebel sitzt tiefer und hält noch unsere gesummte Culturentwickelung zurück, in Handel und Industrie, in Kunst, Bil dung, Sitte und Lebensgenuß. Allenthalben fehlt uns das Zusam menstimmen nach großen Maßstäben, durch welches allein die Kräfte der Einzelnen unter einander ausgewechselt und potenzirt werden; während derjenige die lebhafteste Anziehungskraft auszuüben hoffen darf, welcher irgend etwas bis dahin Gemeingültiges, beispielsweise im Kunstgeschmack, anzugreisen und ein Apartes an dessen Stelle zu setzen sich anheischig macht. Man kann nicht einen Roman oder ein Stück machen, ohne Liebe einzuflcchten, und keine allgemeine deutsche Angelegenheit be sprechen, ohne mit dem Elend der Zersplitterung anzufangcn. Es ist unser ewig Weh und Ach, und was auch die Gelehrten sagen mögen: das Meiste ist nur aus dem Punkte zu curiren! Unermeßlich viel ist geschrieben worden und darunter Vortreff liches, um unsere Bildung — wie ich es kurz nennen will, obgleich das Wort schon zu viel anticipirt — mit derjenigen anderer Natio nen zu vergleichen. Das Charakteristischste bleibt mir immer dieses: Bei uns stecken in den Winkeln Hunderte von Menschen, die mit ihren Wissens- und Gedankenschätzen in anderen Ländern und na mentlich in Frankreich Leuchten der Schule, Herrscher der Gesell schaft wären. Aber nicht bloß, daß Niemand sie kennt und sie Nie manden kennen, auch wenn man mit ihnen in Berührung kommt, gehört in zehn Fällen von zwölfen ein langanhaltendes Durchdrin gen dazu, um unter der bald harten, bald rauhen Schale den In halt zu erspähen und von demselben zu kosten. Das alles hat bekanntlich auch seine gute, besonders seine rüh rende Seite, aber schließlich haben wir darin doch jenes Grund element der Sprödigkeit zu erkennen, welches hindert, daß das in tausend Rinnsalen sickernde Leben der Nation zum breiten schönen und mächtigen Strom werde. Nicht ganz so starr und spröde wie unsere strenge Wissenschaft scheint sich unsere Kunst zu verhalten und jene eigne Mischung von Kunst und Wissenschaft, welche sich unter dem weiten Begriff der Literatur zusammensaffen läßt. Hier ist das Schaffen schon von selbst mehr darauf angewiesen, nach Außen zu treten; aber legt man eben diese Aufgabe des sichtbaren Hinaustretens als Maßstab zu Grunde, so ergibt sich auch hier ein gleich großer Mißstand. Die mechanischen Reibungen innerhalb einer von tausend Rissen zerklüfteten Gesammtheit zehren einen ungeheuren Theil der Kräfte und Leistungen der Einzelnen ungenossen auf. Ein Anderes kommt hinzu. An den Franzosen, namentlich inso fern sie als Typus demokratischen Gleichheitstriebes ausgefaßt wer den, hat man als hervorstechenden Zug den Neid erkennen wollen. Vielleicht ist der Vorwurf nur aus der Beobachtung einzelner Schichten und Perioden gewonnen und könnte nach Zeit und Um ständen von Land zu Land getragen werden. Dagegen wird die Beobachtung ergeben, daß dem Deutschen die Gabe des Anerkennens fehlt. Neidisch mag er nicht sein, aber Anerkennen geht ihm gegen die Natur. Auch hier hat die Enge des Lebens, wenn sie nicht Grund ursache war, jedenfalls erst recht der natürlichen Anlage zur Ent wicklung verholscn. In Sachen der Industrie streitet man, ob die Geringfügigkeit gewisser Leistungen die Schuld der Producenten oder der Consu- menten sei. Aus unserem — man verzeihe den Ausdruck — litera rischen Markte setzt jedenfalls die Ungunst des Absatzgebietes der Production ungewöhnliche Hcnimnisse entgegen. Während die Prcß- erzeugnisse Englands und Frankreichs, von der Zeitung bis zum Foliobande, in der ganzen Culturwelt gelesen werden, sind die Schriftwerke Deutschlands bis auf geringe Ausnahmen auf die Hei- math angewiesen. Und nicht nur das: während sie im Auslände nicht mitconcurriren, concurrirt das Ausland im breitesten Maße mit ihnen aus ihrem eigenen Boden. Wir lesen englisch und fran zösisch — in großen Kreisen so viel, stellenweise mehr als deutsch. Und als ob damit noch nicht genug gethan wäre, übersetzen wir alles, damit auch die Sprachunkundigcn nicht zu kurz kommen. Dies gilt nicht bloß von der schönen Literatur, sondern auch von der streng wissenschaftlichen. Mit einem Wort: wir nehmen vom Ausland in allen Stücken Notiz; das Ausland thut uns gegenüber das Gegentheil. Mit Retorsionszöllen läßt sich hierin glücklicher Weise kein Hilfsversuch machen. Aber abhelfen könnten wir doch um ein Er kleckliches, wenn wir nämlich mehr daraus bedacht wären, uns selbst einander zu nähern, indem wir aus gewissen literarischen Gebieten uns von der Zersplitterung der Producenten und Konsumenten hei len. Auch für unser Eindringen in das Ausland wäre dies von Werth, denn wie soll dieses sich über uns orientiren, so lange das Orientiren dem Inländer selbst schwer gemacht wird? Die Popularisirung des Wissens ist mit geistvollen Einwendungen bekämpft worden. Aus dem Salongelehrten, der dcsAbends den Da men die Ergebnisse der neuesten mikroskopischen Forschungen erklärt, läßt sich ebenso leicht eine heitere Caricatur mache», wie aus dem Publicum einer Provinzialstadt, welches sich auf sechs Abende eines Winters sechs Gelehrte verschreibt, um in sechs Stunden aus sechs Fächern das Wisscnswürdigste zu erfahren. Es hilft aber alles nichts. Das Publicum, wills Gott auch das weibliche, wird fortsahren, seinen genießbaren Theil von allem, was die Welt bewegt, zu beanspruchen. Und es werden sich auch immer Leute finden, hier zu befriedigen. Je bessere Leute aber sich dazu her geben, desso besser! Keiner, der cs gut zu machen versteht, ist zu gut dazu. Es gibt freilich noch immer gelehrte Zünftler bei uns, welche cs schon verdächtig finden, wenn einer lesbares Deutsch schreibt. Doch auch gerade gegen die Gefahren einer Ueberschwcmmung der Gesellschaft mit wässerigem Dilettantismus, mit oberflächlicher Vielwisserei liegt der Sicherhcitsdamm in der Concentrirung der Verbreitungsorgane. Ein Deutscher, der über die hervorragendsten Erscheinungen unterrichtet bleiben will, muß unzählige periodische Schriften verfolgen. Selbst wer gegen die encyklopädistische Rich tung der Leute von Welt eingenommen ist, muß doch einräumen, daß eine solche Richtung jedenfalls nützlicher entwickelt wird durch Ein Centralorgan für Alle, als durch eine große Mehrheit solcher Sammelwerke. Alles bisher Gesagte dient eigentlich nur zu schwacher Punkti- rung von Gedanken, die ins Breite ausgesührt werden müßten, um gewisse Seiten unseres gesammten Kulturlebens ins volle Licht zu setzen. Doch für den Augenblick mögen diese leisen Andeutungen genügen, um den praktischen Satz vorzubereiten, den zur Anerken nung zu bringen es hier gilt. Deutschland braucht statt eines Dutzend von Revuen eine einzige. Nur dann erfüllt eine solche ihren Zweck, und nur dann ist dieser Zweck von hohem Werth für das gesammte Leben der Nation, nicht bloß für das literarische Leben, sondern für Wissenschaft, Kunst, Politik und gesellschaft lichen Verkehr. Die höchste und darum die wahre Bestimmung eines derartigen periodischen Sammelwerkes ist, daß alle Schrift steller, die das beste, große Publicuni zu haben verdienen, für das einzige Werk schreiben, und daß alle Leser, welche das beste für den großen Kreis Geleistete kennen wollen, nach demselben einzigen 76*
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