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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 16.12.1926
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- 1926-12-16
- Erscheinungsdatum
- 16.12.1926
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- Deutsch
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M 292, 16. Dezember 1828, Sprechsaal. Börsenblatts, d. Dtschn. BuchhandeV SMAlllll. (Ohne Verantwortung der Redaktion? jedoch unterliegen alle Einsendungen Len Bestimmungen über die Verwaltung des Börsenblatts.) Ketzerische Gedanken zur Vuchkrisis. Von Parazelsus. Es ist immer ei» großer Kehler, Leute, von denen man etwas möchte, siir dümmer zu halten, als sie tatsächlich sind. Und wir möchten doch, daß das Publikum Bücher kauft, nicht wahr? Warum halten wir es dann für so dumm? Ich habe lange genug sowohl zum bücherkausenden Publikum als auch zur Buchhtindlerzunst gehört, um genau zu wissen, was ich sage, und uni meine Behauptungen auch beweisen zu können. Seit zwei Jahren, also eigentlich seit die Bücherkrise besteht, verfolge ich die Vorschläge zu ihrer Behebung im Bbl.; sie sind herzlich gut gemeint, aber wirkungslos, solange wir forlsahren — sortfahren müssen - , den Käufern für ihr gutes Geld minderwertige Ware zu geben. Der große Erfolg der skandinavischen und englischen Literatur bei uns ist nicht nur aus die »Ausländerei. der Volksgenossen zuriickzusiihren, sondern weil die Hamsun, Undset, Galsworthy usw. uns, kaufmännisch ge sprochen, »reelle Ware» liefern. Immer ist es der Mittelstand gewesen, der am meisten Bücher ge kauft hat, und eben den Mittelstand bemüht der Buchhandel sich heute wieder zu -erfassen«. Und daß ihm das so schmählich danebengelingt, liegt nicht am Mittelstand, zum mindesten nicht an dessen Gcistes- haltung. Unter »Mittelstand» verstehe ich die Leute, die früher die Schriften von Heer, Ganghoscr, Zahn, von Molo oder Eulenberg ge lesen haben. Es ist also nicht so sehr der »wirtschastliche« als der »geistige« Mittelstand gemeint. Der ist zwar heute auch znm Teil ver armt, aber es gibt dennoch immer viele Angestellte, Beamte, kleine Kaufleute, die gern ihre 8 bis 8 Mark auf unseren Ladentisch legen würden, wenn sie wüßten, daß sie dafür auch ein wirklich gutes Buch bekommen. Aber da sie seit einigen Jahren und besonders heute dessen durchaus nicht mehr sicher sein können — wer will es ihnen verdenken, baß sie ihr nicht immer leicht erworbenes und erspartes Geld für andere Sachen ausgcbcu? Vor kurzem kam ein kleiner Zigarrenreisender in nieinen Laden, kaufte sich die beliebte »Jllustrirte» und sagte in aller Harmlosigkeit etwa folgendes: »Wisse» Sie, ich geh' überhaupt nicht wieder i» eine Buchhandlung und kauf' mir'» Buch. Ich bin ein paarmal so herein- gcsallcn! Und dabei Hab' ich den, Buchhändler noch gesagt, ich will ein Buch, au dem meine Frau nachher auch Freude hat — aber was hat er mir siir meine 5 Mark gegeben? Einen Dreck, den Hab' ich meiner Frau gar nicht zeigen können, den Hab' ich gleich ins Feuer gesteckt. Das ist mir nun schon ein paarmal so gegangen — nee, Bücher kaufe ich keine mehr.« Einmal habe ich sogar selbst, schuldlos schuldig, zur Schädigung unserer Standesehre beigetragen. Eine Dame, regel mäßige Kundin, bestellte bei mir ein Buch, über das sie irgendwo eine gute Besprechung gelesen hatte. Ich ließ es ihr kommen — und sic ward nicht mehr gesehen. Zusällig — in der Kleinstadt hört man sa sowas — vernahm ich ein paar Wochen später, daß die Dame mein Geschäft in ihrem ganzen Bekanntenkreis verketzerte, weil ich ihr ein so dummes Buch geliefert habe: und da ich doch nicht gut eine ganz seitige »Erklärung» in der Zeitung veröfsentlichen konnte, ,var ich verschiedene Kunden los. Das betr. Buch — ich sah cs mir später einmal an — taugte aber auch tatsächlich nichts. Wie oft mag so etwas geschehen, ohne daß der Buchhändler es erfährt — er wundert sich höchstens über bas Ausbleiben gewohnter Kundschaft. ES ist eine Kalamität, daß soviele »erfolgreiche« Autoren, vielleicht in gutem Glauben, vielleicht in gewinnsüchtiger Absicht, Bücher aus den Markt bringen, die ties unter ihrem bisherigen Niveau stehen, lind eine »och größere Kalamität ist cs, daß die Verleger so wenig kritische Lektoren haben, oder — auch dieser Fall ist mir bekannt — aus ihre Lektoren nicht hören, sondern gegen die ausdrückliche Ableh nung durch diese Schutzengel des Publikums den greulichsten Schmar ren drucken, wenn nur der Autor »eine» Namen» hat (jetzt »hatte»). Und das Betrüblichste ist, daß sich nicht ein einziger Kritiker findet, der das Publikum aus diese Entgleisungen aufmerksam macht, sobald es sich um anerkannte »Größen» handelt. Seien wir uns doch darüber klar: der literarisch ungebildete Mensch kann genau so gut wie der literarisch gebildete ei» gutes Buch von einem schlechten unterscheiden. Er weiß zwar nicht, warum ein Buch nicht güt ist, daß es am Aufbau der Handlung, am Stil, an der Lebcnswahrheit fehlt, aber er fühlt instinktiv, daß ein Buch wenig Wert hat, und eben wegen seiner gefühlsmäßigen Einstellung ist er i viel strenger als der Litcratnrkenner. Der wirkliche Büchcrleser, auch s i der ohne Intelligenzbrille, betrachtet das Buch als etwas Besonderes: ^ er hat sich da keine Ware gekauft, sonder» setzt sich mit ihm wie mit einem guten Freund an den Tisch zu vertraulichem Gespräch, aus dem er Belehrung, Erheiterung, Erhebung, Läuterung oder auch nur warmes menschliches Behage» zu schöpsen hofft. Und wie bitter wird er enttäuscht! Sein Verdruß über die Zeit- und Geldvergeudung wird nicht geringer dadurch, daß er keinen greisbarcn Fehler an seinem Buch entdecken kann: im Gegenteil, er kommt ln eine etwas hilflose und mißtrauische Stimmung dem Buch und dem Buchhändler gegen über, und wenn er dann noch ein paarmal recht hereingesalicn ist, etwa der Reihe nach an mehrere Enttäuschungen geraten ist, dann ist er für alle Zeiten vom Bllcherlesen kuriert und wird auch schwerlich zu Geschenkzwecken mehr weiche kaufen. Offenbar glauben manche von jedem noch so unterwertigen Er zeugnis: »Das Publikum frißt's«. Nein, es srißt'L eben nichtll Air leben nicht mehr in jenen schönen Jahren, da wir stahlgebadet Rüben schnitze! und Sägemehlbrot verdrückten und mit jedem noch so unzuiäng Iichen Ersatz jroh sein mußten: und außerdem ist ein Buch kein Gegen stand, ohne den wir hungern, stieren oder in Fetze» gehen müßten. Wir dürfen wirklich das Publikum nicht mehr siir so dumm halten, daß wir ihm siir sein gutes Geld irgendeinen mittelmäßigen Quark »ufhängen. Erstens ist das nicht ehrlich gehandelt, und zweitens un kaufmännisch) L'esi Piro gu'uu oriivL! — o'ost UU6 bstisal Wer mir bis hierher gefolgt ist, wird zugeben müssen, daß die Lage im Buchhandel wenig hossnungsvoll ist. Denn die Wurzel alles Übels, die Monstreproduktion mittelmäßiger, also eigentlich minder wertiger Bücher, ist mit Gründen der Vernunst nicht auszuhalten. Von den Autoren Beschränkung und Einsicht zu verlangen, ist aus sichtslos, denn kein Autor hat seinem Buch gegenüber einen Schimmer von Kritik, ja seine mißratensten Kinder sind ihm stets am liebsten: und die Verleger ? Ich unterhielt mich vor kurzem mit dem Vertreter eines unserer größten und besten belletristische» Verleger und gab ii. a. meinem Erstaunen Ausdruck, daß dieser zu den übrigen guten Büchern eines bekannten Autors auch dessen letztes Machwerk, einen minderwertigen, schludrig geschriebenen Zeitungsroman, in Ver lag genommen habe. Ich bekam die Antwort: der Verleger habe an den früheren Büchern des Autors so viel verdient, daß er wohl die Freundschaftspslicht gehabt habe, auch dies weniger gute Buch zu bringen. Ja, und die Pslicht gegen das Publikum, das doch an dem Verdienst des Perlegers auch einen gewissen Anteil gehabt haben dürste? Ter Ersoig solcher sreundschastlichcn Maßnahme» wird sei», daß das Publikum die Achtung vor dem Verlag verliert, der »nun auch schon solche Schmarren bringt, sodaß man sich nicht mehr aus ihn verlassen kann«. Und das Ansehen des Verlags ist ei» sehr wesent licher Faktor beim Bücherkaus, das weiß jeder Kollege. Werbung für das Buch? Ich weiß nur eine einzige wirksame Art: die Qualität des Buches heben. Wenige Bücher bringen, aber gute. Es keinem noch so »altbewährten« Autor durchgehen lassen, daß er durch unvollkommene Leistung sich, seinen Verleger und den ganzen Buchhandel diskreditiert. Nicht gleich von jedem »jungen Dichter» be haupten, sein Buch habe Ewigkeitswert sach, diese Anzeigen im Bbl. überhaupt! Wer glaubt ihnen denn noch?). Und: nicht das Publi kum für kritiklos halten I Mißtrauen ist leichter gesät als ausgejätet. Und durch jahre langen Mißbrauch seiner Geduld ist das Volk mißtrauisch geworden, auch gegen uns: es sieht in uns nicht mehr seine Berater, sondern einfach Händler, und nicht immer kluge. Ich habe viele Jahre lang alles, was ich vom Gehalt erübrigen konnte, in die Buchhandlung getragen: ich kenne aus eigener Erfah rung den bekümmerten Verdruß, den ein wenig bemittelter Mensch über ein teuer erworbenes wertloses Buch empfindet: heute lasse ich lieber einen Kunden aus dem Laden gehen, als daß ich ihm ein Buch aufhänge, von dem ich weiß, daß ihm jenes letzte Unwägbare fehlt, das allein ein Buch lesenswert macht für jene, denen nicht Geld und Zeit im Übermaß zur Verfügung stehen. Und das tue ich nicht aus Mitleid, Moral, Standesehre, Kultnrbcwußtsein, oder wie diese schönen Worte heißen, sondern ganz .besonders aus schieren, baren Geschäftsrück sichten: denn ich weiß, daß ich wahrscheinlich für die 6 Mark, die ich heute mehr in der Kasse habe, das Vielfache an Ausfall rechnen kann, wenn mein Kunde sich betnpst vorkommt und dies swas wahrscheinlich ist) seinen Bekannten gegenüber äußert. »Das Sortiment schläft«? »Es setzt sich siir meine Bücher nicht genügend ein»? Lieber Verleger, laß dir, ganz unter uns, ins Ohr raunen: von 100 Büchern sind 8» nicht wert, daß man auch nur fünf Minuten in ihnen blättert. Und deines ist gerade das hundertste? Ja, dann allerdings Verautw. Redakteur: t. B. sh r a n z Wagner. — Vertag: Der Börsen verein der Deutschen Buchhändler zu Leipzig, Deutsches Buchhiindlerhanö. Druck: E. Hcdrich Nachs. (ASt. Ramm L Seemanns. Sämtlich In Leipzig. — Adresse der Redaktion u. Expediti-n: Leipzig. Gerichtsweg 2« tBnchhändlrrhanSs. 1488
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