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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 21.05.1927
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- 1927-05-21
- Erscheinungsdatum
- 21.05.1927
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- Deutsch
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einen Stummlesenden zu wirken; die Mittel zu dieser Wirkung sind im Buch selbst enthalten; kurz, das Buch als Buch — und abgesehen von aller Belehrung und Anregung, die es überdies bieten mag — ist sich Selbstziel und besitzt als solches die orga nischen Eigenschaften eines echten Kunstwerkes, in welchem alle Teile zueinander und zu dem Ganzen in Beziehungen stehen... .« Diese Bücher sind es denn, diese bleibenden Lebensgenossen, von denen Chamberlain weiterhin ausführlich spricht, — jene Werke, -di« ihm, nachdem er di« Ruhe der Reife erreicht hatte, »nie mehr von der Seite wichen, -sodaß sie, aller Zeitlichkeit ent hoben, dauernde Genossen der wechselnden Jahre blieben». Diesen dankbaren Freun-dschaftstitel schenkt er für seine Per son unter anderm den großen Franzosen Montaigne, Pascal, Rousseau, Voltaire, Diderot und Balzac, ferner den Dichtern des Don Quixote und des Tristram Shandy, endlich den drei Deut schen L-ichtenberg, Herder und Goethe. Man mag es bei Chamber lain selbst Nachlesen, in welcher Stärke und in welchem zeitlichen Umfang -sich -die Werke dieser Männer -an ihm als Pfleger seines geistigen Wesens, gleichsam als Scelcngärtner erwiesen haben. Lange vor dem Erscheinen von Chambcrlains Buch hatte ich selbst, auf -eigene persönliche Erfahrungen gestützt, für mich Überlegungen darüber angestellt, was ich etwa für meine geistige Entwicklung bestimmten Büchern zu danken hätte. Um mir klar zu werden darüber, in welcher Weise man wohl eine solche Seclen- erforschung anzustellcn hätte, versuchte ich zunächst einen ähnlichen Nachweis an einer großen schöpferischen Persönlichkeit, aus deren Werken und Briefen eine geradezu leidenschaftliche Hingabe an -das Buch sich zu erkennen gibt, nämlich an Richard W a -g n -c r. Ich unterbreite -den Lesern des Börsenblattes jene Unter suchungen heute in einer etwas geänderten Form, wie sie sich in zwischen aus dem Zustrom neuen Stoffes ergeben mußte. Und ich betrachte heute diesen Versuch als ein nur flüchtiges Bei spieleiner methodischen Betrachtungsweise, deren Anwendung auch aus andere führende Männer und Frauen des künstlerischen, wissenschaftlichen und politischen Lebens von doppel tem Wert sein dürfte: einmal hinsichtlich der Seelcnbiographie der ausgewählten Persönlichkeiten, zum anderen aber als Ehren mal für das Buch als solches! Es könnte also auch auf diesem Wege, sei es in Selbstzeugnissen, wie sie uns Chamberlain gibk, oder in sachlicher Beurteilung eines Außenstehenden, Sinn und Wert des Buches überzeugend veranschaulicht -werden! Richard Wagner als Bücherleser und -Vorleser. In unzähligen Schriften und Büchern hat man versucht, Richard Wagners Leben zu durchleuchten und nach den Quellen seines schöpferischen Genius zu suchen. Vielfach ist es gelungen, die äußeren Momente nachzuweisen, die ihn im Wechselstreit mit dem inneren Schöpsungsdrange dazu befähigten, inmitten der Nöte seines täglichen Lebens die unsterblichen Werke zu schaffen. Natürlich liegt der Feuerherd, aus dem -die Flammen empor stiegen, in seinem eigenen Inneren, und wenn die Außenwelt etwas zu tun vermochte, um -die Zeu-gungsglut wachzuhalten oder aufs neue zu entflammen, so waren es selbstverständlich nur die allervertrautesten Freunde, die sich dieser Wirkung rühmen durf ten. Unter ihnen sind es drei, die vor allen anderen als wirk liche Helfer und Schützer geistiger Art ihm zur Seite standen: Franz Liszt, Mathilde Wesend onck und Cosima von Bülow, die später seinen Namen trug. Um -dieses Drei blatt der »Herzeigenen« (wie Liszt zu sagen Pflegte) gruppiert sich die große Menge von Freunden und Bekannten, namentlich in Deutschland, Frankreich und der Schweiz, die Richard Wagners Lebensweg kreuzten und mit denen er in persönlichem und schrift lichem Umgänge stand. Die unerhörte Mannigfaltigkeit der per sönlichen Beziehungen Richard Wagners liegt heutzutage vor uns ausgebreitet -in -den zahlreichen Bänden -seines Briefwechsels, welcher, zumal -in den Jahren der Verbannung, den einzigen Kanal bildete, um einen geistigen Austausch herbeizuführen und ihn vor völliger seelischer Verkümmerung zu bewahren. Je mehr wir nun die Möglichkeit besitzen, in alle Irrungen und Wirrungen, Niederlagen und Siege dieses so beispiellos stür mischen Künstlerdaseins uns hineinzuempfinden, um so mehr müssen wir zu der Überzeugung gelangen, -daß neben dem per sönlichen Umgang eine entscheidende Rolle in seinem Leben dasjenige gespielt hat, was ich den geistigen Umgang nennen möchte. Man kann heute, nachdem die Archive so ziemlich erschöpft sind und weiteres Quellenmaterial kaum mehr zu erwarten ist, schon einmal den überblick über Richard Wagners Lek türe -wagen. Damit ist gemeint ausschließlich jener Lesestoff, der für ihn persönlich 'ständige geistig« Nahrung, daneben aber auch wohltuende Ablenkung oder Beruhigungsmittel war, — ist ferner gemeint jene Lektüre, -die er in späteren ruhigeren Jahren im Kreise seiner Familie Abend um -Abend in reizvoller Ab wechslung mit -den musikalischen Hausgenüssen pflegte. Ihn leitete -dabei eine Anschauung, die er einmal -in dem Satze zusammen gefaßt hat: »V ö l l i g e M u ß e zu guter Lektüre i st das einzige -Gut, wonach man nicht genug streben kan n«. Die Jugend lektüre Wagners stand stark unter dem Einfluß der Romantik, und zwar ihrer spukhast-phantastischen Seite. Ähnlich wie der Knabe bei seinem frühen Aufenthalt hinter den Kulissen in jedem Vcrsatzstück eine seltsame Merkwürdigkeit erblickte, wie er sich an Ritterschauspielen und Gespensterstücken ergötzte, wie er aus -dem heimlichen und unheimlichen Waldzauber des »Freischütz» früheste geistige Nahrung zog, so berauschte er sich auch an den absonderlichen oder geradezu grausigen Gestalten eines Theodor Amadeus Hoffmann. Wollte -er doch damals selbst ein Dichter werden und lieferte als ungeheuerliches Erzeugnis dieser ersten Gärungsjahre sein bluttriefendes Trauer spiel von »Leubal-d und Adelaide«: in diesem waren schließlich so viel Personen umgebracht, daß er einig« im letzten Akt als Ge spenster auftreten lassen mußte, -um die Handlung tveitersühren zu können. Vom Lesestoff der Schule fesselten ihn eigentlich nur die Griechen. Und ihnen, vor allem Homer, Aeschylus und Sophokles, ist er auch sein ganzes Leben hindurch in untvandelbarer Liebe treu -geblieben. Eine günstige Nahrung fand sein schon in den Knabenjahren stark entwickeltes geschichtliches Interesse in der ihm von seinem Schivager Brockhaus übertragenen Aufgabe, die Korrekturbogen -der damals neu erscheinenden Beckerschen Weltgeschichte zu lesen. Wenn zunächst auch seine größte Freude darin bestand, mit dieser Arbeit Geld zu verdienen, so vertiefte er sich doch gleich zeitig damals zum ersten Male in die Geschichte des Mittelalters und der Revolutionszeit: jenes ward späterhin bekanntlich ein Gegenstand seines eifrigsten Studiums, und letzteres führte er sich bis in sein hohes Alter namentlich in -der Lektüre von Carlyle immer wieder vor. Bon besonderem Einfluß war auf ihn in den Knabentagen endlich noch der Umgang mit seinem hochgelehrten und etwas zum Sonderling -gewordenen Onkel Adolf Wagner. Er hat in oft stundenlangen Ergüssen philosophischer und literarischer Art dem jungen Menschen einen allerdings etwas merkwürdigen Ein blick in das geistige Leben -verschafft; er hat ihm, als übrigens ausgezeichneter Vorleser, klassische Tragödien rezitiert und ihm zuerst -die Bekanntschaft mit Shakespeare und Dante ver mittelt. Auch Goethes »Götz von Berlichingen» machte seinen Einsluß geltend, und so kennzeichnet sich das -vorhin erwähnte dichterische Erzeugnis als ein wüstes Gemisch von Kraftstellen des großen Briten und des jungen Goethe, bei dem der Schwulst und Bombast schließlich sogar Oheim Adolf in Schreck und Staunen versetzte. Hatte der jugendliche Stürmer und Dränger bereits -die Ab sicht gehabt, diese Tragödie erst noch durch Musik zur vollen -Gel tung zu bringen, so trat nun alsbald jene Periode seines jungen Lebens ein, in der alle großen und kleinen Dichter vor der -Ge walt eines Beethoven und der anderen Meister der Tonkunst ^ weichen mußten. Aus dem ungeratenen Nikolaischüler wird ein
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