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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 21.05.1927
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- 1927-05-21
- Erscheinungsdatum
- 21.05.1927
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X: 118, 21. Mai 1927. Redaktioneller Toll. Börsenblatt I. d. Dtschn. Buchhandel. Musikstudent, den schließlich Kantor Weiuligs strenge Zucht auf rechte Bahnen lenkt, aus dem jungen Musiker, der den Kopf voll Ouvertüren und Symphonien hat, ein Chordirektor und Kapell meister, dessen in alles Elend und alle Buntheit des -Kulissenlebens getauchtes Dasein wenig Zeit findet, sich behaglicher Lektüre hin zugeben. Erst der Dresdner Hofkapellmeister betrachtet es als einen notwendigen Beitrag zur Behaglichkeit seines Daseins, sich eine hübsch« Hausbibliothek anzuschaffen. Dieser erste Ver such, die stummen Freunde um sich zu versammeln, hatte aller dings ein Mißgeschick zu erleiden l im Wege der Verpfändung ging das wertvolle Material in verwandtschaftliche Hände über. Ein nicht ganz vollwertiger Ersah dafür war der persönliche Verkehr mit den zeitgenössischen Literaturgrößen, unter denen ihm sein alter Freund Heinrich Laube am nächsten stand, wäh rend ihn mit Karl Gutzkow und Bertho -ld Auerbach, dessen Dorfgeschichten er damals gerne las, nur flüchtige Be ziehungen verknüpften. Seine eigene journalistische Tätigkeit, die er zuvor in Paris entfaltet hatte, zeigte deutlich die Spuren des »jungen Europa- in den Tendenzen und den Einfluß Heinrich Heines im Stil. Viel rückhaltloser und geradezu mit einer Begeisterung, die sich nur seinem Verhältnis zu Shakespeare vergleichen läßt, trat Richard Wagner dem Schöpfer des Don Quixote gegenüber. Wie weit dieses Interesse ging, zeigt unter anderem eine hübsche Briefstelle an Frau Wesendonck, wo er ihr unterm 21. Dezember 1861 erzählt, daß er eines Tages Roher, den Direktor der Großen Oper, auf der Straße traf. Dieser hatte kurz vorher eine Über setzung verschollener Stücke des Cervantes veröffentlicht: «Plötz lich interessierte mich der Mensch. Nun war es drollig, daß ich aus ihn zuging, mich eine volle halbe Stunde mit ihm unterhielt und dabei den Operndirektor so vollständig ignorierte, daß zwi schen uns nur einzig von Cervantes die Rede war«. Oft genug hat in späteren Jahren die Vorlesung des Don Quixote die tägliche Labung in den Abendstunden gebildet. Besondere Lieb lingsstellen wurden im Laufe der Jahre von Wagner selbst den Seinen immer wieder vorgelesen. Was er an Cervantes vor allem bewunderte, war die künstlerische Ökonomie, mit der sein Mcisterroman aufgebaut sei. Selbstverständlich lagen seiner Vor liebe für den Ritter, der gegen Windmühlen ficht, auch tiefere Motive zugrunde. Er verfocht gesprächsweise die Anschauung, daß sich eigentlich jedes Genie der philiströsen Umwelt gegenüber in derselben Lage befinde wie Don Quixote. Auch ganz persönlich verglich er sich mit dem Helden und meinte einmal an einer Stelle, wo Don Quixotes Unwille losbricht: -»So ungefähr gerate ich in Zorn«. Der Roman des Cervantes erschien ihm als das schönste Geschenk, das uns die Renaissance gemacht hat. Wenn er auch zugab, daß der Geist des Werkes vollkommen mit dem Mittel- alter Zusammenhänge, so bewunderte er andererseits wieder die an Shakespeare erinnernde genaue Kenntnis des niederen Volkes. Neben dem Roman waren es darum vor allem die No vellen -des Cervantes, die gemeinsam gelesen wurden, na mentlich »Preciosa» und »Rimorete und Contado«. Im An schluß an di« erster« meinte er einmal: «Wenn wir die Nöte in solch einer Existenz wie der des Cervantes gewahren, so können wir uns sagen, daß es dem Weltwillen aus etwas ganz anderes ankam, als ihn zu Ehren und Wohlstand gelangen zu lassen«. Me zweite Novelle galt ihm -als ein Muster- und Meisterwerk, das in seiner «Leichtfüßigkeit« alle späteren Nachbildungen des gleichen Stoffes plump erscheinen läßt. Immer wieder fand er für seine Bewunderung neue Ausdrücke: »Ich sehe das Auge, das dies alles sah«, oder »Herrgott, sind das Sachen, ist das ein Wesen«! Und der Ausruf aus dem Don Quixote: »O du Ver folger Gottes und aller seiner Heiligen» wurde ihm geradezu zum geflügelten Wort, das er häufig in heiterer Weise verwendete. Man darf wohl sagen, daß Cervantes neben den Lustspielen Shake speares in den späteren Lebensjahren Wagners am meisten dazu bcigetragen hat, ihn bei körperlichem übelbcfinden oder sonstigen Ärgerlichkeiten wieder ins rechte Geleise zu bringen. Ein neuer Aufschwung seiner Lektüre fand in den Züricher Tagen statt und gewann wie immer bei ihm eine ganz besondere Bedeutung, als er in der Lage war, mit einer gleichgestimmten Seele gemeinsam die Schätze der Literatur zu suchen. Es war die Wesendonckzeit, jene wundervollen Monate, in denen er mit ihx die Werke des großen Spaniers Calderon las. Noch bei seinem späteren Aufenthalt in Paris spricht er von jenen glücklichen Calderonabenden, von dem tvunderbaren Blick dieses Dichters über die Welt hinaus. Und wie tief der Eindruck in ihm hastete, ersehen wir auch aus den Pariser Briefen an Liszt, wo er es geradezu als ein Labsal bezeichnet, im reifsten Alter die Bekanntschaft dieses großen Poeten gemacht zu haben, um den allein es sich verlohn«, noch in alten Tagen Spanisch zu lernen. Durch ihn erschloß sich ihm, wie er offen gesteht, zuni erstenmal die Bedeutung des spanischen Wesens: »Eine unerhörte, unvergleichliche Blüte, mit solcher Schnelle der Entwicklung, daß sie bald zum Tode der Materie und — zur Weltverneinung gelangen mußte«. In fein nachspürender Weise deckt er den immer wicderkchrenden Konflikt zwischen Schein und Sein, der durch Konvention bestimmten »Ehre« und dem eigent lich nichtigen Wesen der Welt auf. Es mußte Liszt ganz besonders sympathisch berühren, daß Wagner in diesem Fall die katholische Religion für Calderon als naturgemäße Vermittlerin dieses tiefen Zwiespalts anerkennt und darauf hinweist, wie viele -große spanische Dichter sich in -der zweiten Hälfte ihres Lebens in den geistlichen Stand zurückgezogen haben. Diese Vorliebe für den Dichter, der bekanntlich auch einer der Lieblings Grillparzers war, erhielt sich Wagner bis in -seine letzten Lebenstage. Wie oft hat er noch in Bayreuth meist in anmutigem Wechsel -den Seinen Calderon, Cervantes und Shakespeare vor gelesen und dabei eine Fülle der treffendsten Bemerkungen zu machen gewußt. Er begeisterte sich an dem hinreißenden Schwall der Leidenschaft in Calderons Drama »Eifersucht, das größte Scheusal«, er trug mit mächtigem Eindruck den »Arzt seiner Ehre« vor und bemerkte dabei: »Man ist ein Tor, daß man nicht bloß die so ungeheuer seltenen, großen Dichter immer wieder liest»! Freilich verhehlte er sich auch nicht, daß Shakespeare die größere Natur darstellte, während man bei Cal deron sehr oft die subtile Kunst in Künstelei übergehen sehe. So erregte das Stück »Liebe, Ehre, Macht- seinen Unwillen, und er tat es ab mit dem Urteil: »Lauter Schachfiguren und ekel hafte Spielereien«, und von dem Drama »über allem Zauber Liebe«, in dem ihn das unwahre, schauspielerisch« Wesen anwiderte, erholte er sich geradezu an den Han-dwerker- szenen aus dem »Sommecknachtstraum«. In die fünfziger Jahre fällt gleichfalls seine intimere Be kanntschaft mit einer weiteren ersten Größe der Weltliteratur, näm lich mit dem Florentiner Riesen Dante. 1855 schreibt er aus London an Mathilde: »Jetzt lese ich jeden Morgen, ehe ich an die Arbeit gehe, einen Gesang im Dante: noch stecke ich tief in -der Höllei ihre Grausen begleiten mich in der Ausführung des ziveiten Aktes der .Walküre'-. Wie er sich nun eigentlich zu diesem größten dichterischen -Vertreter des frühen Mittelalters stellte, geht un widerleglich hervor aus jenem großen, einer Abhandlung gleichen den Brief, den er ebenfalls aus London kurz vorher an Liszt geschrieben hatte. Im Mai hatte er damit angefangen, Dante zu lesen, und ein merkwürdiger Zufall hatte es gewollt, daß in denselben Monaten Liszt in Weimar -dabei war, den »Kommentar zu dieser Lektüre- zu liefern, indem er gerade an seiner großen Dante-Symphonie schrieb. Es ist hier nicht der Platz, des näheren darauf einzugehen, warum Wagner, wie er an Liszt -ausführ lich schreibt, dem großen Dichter nur durch Hölle und Fegefeuer mit Sympathie folgte, während ihn die -Wonnen des Paradieses immer kälter ließen. Der Danteschen scholastischen Anschauung von der Erlösung setzt er mit dem Eifer des selbst erst Gewon nenen seine Schopenhauerschen Anschauungen über Wille zum Leben und über Verneinung -des Willens entgegen. In jenen Jahren fand er den tiefsten Drang -des menschlichen Wesens viel reiner und bedeutsamer ausgesprochen durch die uralte Brah- ma-nenlehre in ihrer höchsten Vollendung durch den Buddhismus. K43
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