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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 16.04.1921
- Strukturtyp
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- 1921-04-16
- Erscheinungsdatum
- 16.04.1921
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- Deutsch
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^ 88, 16. April 1921. Redaktioneller Teil. Heizen liegt, wird der objektive Beobachter nicht leugnen können. Warum arbeitet also Herr Brunner bei seiner im Börsenblatt mit so bezwingenden Worten geschilderten Tätigkeit nicht m i t diesen Kräften, die das Gute wollen? Vor allem scheint mir das ein Beweis dafür zu sein, daß unter der Vorgabe, die Jugend schützen zu müssen und die Sitt lichkeit wieder zu heben, Kräfte am Werke sind, um Bestrebun gen in das beabsichtigte Gesetz hineinzubringen, die ganz anderen Anschauungen und Absichten entsprechen. Es ist richtig, wir ha ben Erscheinungen auch im Buchhandel, die sexueller Sensations mache und ähnlichen Spekulationen auf niedrige Triebe ihr Er scheinen verdanken. Allein diese sind wie so vieles Unmoralisch« und Unwürdige der letzten Jahre seit dem Zusammenbruch die Folge eines alles demoralisierenden Weltkriegs, die Folgen des Niederbruchs aller Dämme der Gesittung, die in allen Kreisen, in allen Schichten, in allen Altern, beim männlichen und weiblichen Geschlecht zu beobachten sind. Der Morast der Gegen wart ist der Boden, auf dem sie gedeihen, der die Nachfrage nach solchen Druckerzeugnissen blühen läßt. Beseitigt den Morast, und den Sumpfpflanzen wird jede Vegctationsmöglichkeit entzogen sein! Der anständige Buchhandel in seiner Gesamtheit kontrolliert sich überhaupt selbst und scheidet Verbreiter dieser Art Literatur aus seinen Reihen, wie Vorgänge im letzten Jahre bewiesen haben. Herr Brunner ist also der Mithilfe des organisierten Buchhandels sicher, wenn es sich nur darum handelt. Wogegen aber vom Buchhandel die Buchkultur geschützt werden mutz, das ist gegen die Ausdehnung des Begriffs Schund und Schmutz auf Literatur- erzeugnisse, die, obwohl sie Motive der Geschlechtlichkeit behan deln, in ihrer ganzen literarischen Behandlung beweisen, daß sie eine historische Schilderung ihrer Zeit oder ernste Erkenntnis über das Wesen der Geschlechtlichkeit geben wollen. Es wäre unerhört, wenn ein unterer Polizeibeamter Werke von Krafft« Ebing, Bloch, Moll, Hirschfeld aus den Schaufenstern der Sorti menter beschlagnahmen dürfte, weil nach dem neuen Gesetz entwurf »Druckschriften, deren Titel auf einen geschlechtlichen Inhalt Hinweisen-, nicht in Schaufenstern usw. ausgestellt werden dürfen. Auch andere Bücher geschlechtlichen Inhalts können gute Bücher sein, wenn sie auch nicht, wie die der genannten Autoren, den Ruf der Wissenschaftlichkeit genießen. Im übrigen muß hier scharf betont werden, daß wirkliche Schmutzbllcher sexuellen Inhalts ihren Weg zum Publikum äußerst selten über den organisierten Buchhandel nehmen. Der Buchhändler erkennt als Fachmann sehr rasch die niedrige Qualität eines solchen Buches und bietet seine Hand nicht zu dessen Vertrieb. Sic werden meistens direkt vom Drucker oder einem -Spezialverlag- auf dem Wege des Angebots in Zeitungen und Zeitschriften in Tausenden von Exemplaren an das Publikum geliefert. Wenn Herr Brunner diesem Schund auf den Leib rückte, würde er den Beifall aller ernsten Menschen haben. Man sollte meinen, daß doch hierzu die Paragraphen 184 und 184» des Strafgesetzbuches und Para graph 86 der Gewerbeordnung ausreichen würden? Wenn über die Qualität »dieser Bücher« keine Mei nungsverschiedenheit herrscht, so gibt es doch weiter eine ganze Reihe von Buchwerten, Romane und Dramen, die das Geschlecht liche als Motiv benutzend »Seelen- oder Sitkenschilderungen« ge ben, geschrieben von ernsthaften Autoren, verlegt in ernsthaftem Verlag. Welche davon sollen auf die beabsichtigte »Schmutz- uud Schundliste- kommen? Und wie steht es mit den in freiheit licherer Gesinnung und Gestaltung niedergeschriebenen Romanen der ausländischen Autoren, die in deutscher Übersetzung im deut schen Verlag erschienen sind, sagen wir den skandinavischen Ro manen? Haben die deutschen Leser auch nach erlangter Gesetzes- kraft des neuen Entwurfs Gelegenheit, sich über die ausländische Literatur ungestraft zu orientieren, auch wenn diese »ge schlechtlichen Inhalts» ist? Wer entscheidet hier über das Schick sal des einzelnen Buches in Zeiten politisch-nationaler Hochspan nung, damit keine unsachlichen Verdikte aus irgendwelcher po litischen Animosität heraus zustande kommen? Denn für den Buchhandel als Kulturgebiet und das Buch als Kultursaktor be steht der unumstößliche Grundsatz, daß ein als sittenrein gellendes Buch eines ausländischen Autors immer ein solches bleiben wird, ganz gleich, wie die politischen Beziehungen von Volk zu Volk sich gestalten. Schwankungen in dieser Beziehung brächten un- serm schon verfemten Lande nur neue Blamagen und moralische Feindschaften. Damit sind die Gefahren, die auch dem guten Buche schaden können, wenn der beabsichtigte Entwurf Gesetz werden soll, noch nicht erschöpfend geschildert. Literatur und Kunst sind bekannt lich eng verbunden mit den wirtschaftlichen, politischen und kul turellen Strömungen eines Volkes, und wie Männer der Wirt schaft und politisch interessierte Menschen einer Gemeinschaft ver schiedenen Anschauungen über die sozialen Wege und Ziere der selben huldigen, so natürlich auch künstlerisch und literarisch Be fähigte. Die maßgebende Richtung ist aber für die Verwallungs- beamten (und wird cs wahrscheinlich auch für die entscheidenden Vorsitzenden der Spruchkammern sein) immer die von »oben- gewollte; d. h. die mit Zensurvollmacht ausgestattcten Beamten fühlen instinktiv die gerade am Ruder stehenden Intentionen und ahnen mit großem Spürsinn den beabsichtigten Kurs des Staats- schtffes: heute rechts, morgen links, dann ein bißchen geradeaus durch die Mitte, ähnlich den feinen Fühlern, die man manchmal bei politischen Verfolgungen bekundet sieht I Es ist ganz klar, daß im Unterbewußtsein diese Strömungen bei der Beurteilung eines Buches oder Bildes durch die Zensurbehörden Mitwirken. Welche Folgerungen ergeben sich aber daraus für den Buch handel! Man denke nur daran, daß in einem demokratischen Staatswesen, zu dem sich zu entwickeln unser Land offenbar im Begriff ist, die Regierungen wechseln können! Welche Wider wärtigkeiten drohten dem Buche und dem Buchhandel, wenn die in einem Buche oder Bild ihren Niederschlag findende andere Weltanschauung, als die der zufällig am Ruder stehenden Rich tung, nicht auch die Achtung der Andersdenkenden finden würde I Ist denn für den Begriff »Schund und Schmutz- beim Buche nicht ein untrügliches Kennzeichen zu finden, selbst bei solchen, die nicht geschlechtlichen Inhalts sind? Ich weiß, daß sich hier die Geister scheiden, je nach ihrer Weltanschauung. Und doch gibt es auch hier die Warte eines höheren Gesichtspunktes: Schund in literarischer Beziehung ist doch z. B., wenn ein Autor, sagen wir sozialistischen Bekenntnisses, selbst in stilistisch ein wandfreier Ausdrucksform und Gestaltung, in Romanen den Proletarier als den edelsten aller Menschen, die Unternehmer und sonstigen Kapitalisten aber als bösartige und habgierige Wesen in Handlungen und Schilderungen bezeichnet. Weil dies Un- wahrhaftigkcit ist. Solche Eigenschaften sind allen Gesellschafts klassen gemein. Gut und Böse scheint mir heutzutage ziemlich gleichmäßig verteilt zu fein. Natürlich gilt diese Charakterisie rung auch Schriftwerken, in denen umgekehrt immer die »Do mestiken- die schlechten Menschen sind und die Herrschaften die braven Brotgeber. Aber ich habe bis heute noch nichts davon ge hört, daß von irgendeiner Zcnsurbchörde solcher Schund ver boten worden wäre. Schund nenne ich aber auch, wenn, wie wir es während der Kriegszeit in hundert verschiedenen Serien, in der Aufmachung der Jndianerheste mit buntfarbigem, blutrünstigem Titelbild erlebten, der Jugend geschildert wurde, wie der Flieger »Heinz« in jedem Heft eine neue Heldentat gegen die »heim tückischen- Feinde vollbrachte, bei der »Heinz- immer glorreicher Sieger blieb. In all den hundert Heften! Das ist Schund und bleibt Schund, trotzdem man damals die Hefte als patriotisch und für die Stimmung im Lande günstig laufen ließ. Aus meiner beruflichen Tätigkeit ist mir Wohl bekannt geworden, daß man sie zeitweise, wohl auf Dränge» der Prüfungsausschüsse, auf die Liste verbotener Schriften setzte, aber Flieger »Heinz- blieb trotz dem Sieger: diese Liste war scheinbar nicht maßgebend für das ganze Deutsche Reich, sondern nur für einzelne Generalkomman dos, andere ließen die Hefte in ihrem Bereiche zu! Die Ein heitlichkeit fehlte eben auch hier. Vielfach begegnet man der Meinung auch im Buchhandel, daß die alten Paragraphen des Strafgesetzbuchs, die der Schmutz, bekämpfung dienen, nicht erschöpfend angewandt würden: Wie könnte es sonst kommen, daß die jugendverseuchendcn Indianer- Hefte in Vielfarbendruck noch in allen Schaufenstern der Schreib- Warengeschäfte usw, in den Großstädten zu sehen sind? Nun, ist wenigstens zu hoffen, daß man mit dem neuen Gesetz dieser Seuche zu Leibe geht? Daß durch diesen Schund die Jugend
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