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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 24.01.1929
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- 1929-01-24
- Erscheinungsdatum
- 24.01.1929
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- Deutsch
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X- 20, 24, Januar 1929. Redaktioneller Teil. Börsenblatt f.d.Dtschn.Buchhandel. Ein Nächlqssen trat nur in der Kriegs- und Teuerungszeit ein, aber selbst i.k den verhängnisvollen Jahren 1922/23 machte sich wieder ein starker Aufschwung bemerkbar. Ein anderer hätte in dieser wenig erfreulichen Zeit vielleicht den Kopf verloren, für Hicrsemann bedeutete sie einfach eine Kraftprobe. Dabei handelte es sich bei allen diesen Veröffentlichungen keineswegs um sogenannte »gangbare« Ware, die sich im Handumdrehen ab setzen ließ, sondern meist um umfangreiche wissenschaftliche Bücher, oft um großangelegte Fortsetzungswerke, auf zahlreiche Bände berechnet und um kostbare Tafelwcrke. Diesem genialen Wagemut, in einer wirtschaftlich schweren Zeit zahlreiche kost spielige Werke herauszugeben, war ein kaum zu erwartender Ersolg beschiedcn, sodaß eine Anzahl der Auflagen — auch in folge der mustergültigen Bertriebsorganisation Hiersemanns — bald vergriffen war. Dazu trat noch die Erwerbung bedeutender Rcstauflagen aus anderen Verlagen. So Castelnau, üxpsEou claus l'Lmöriquo cku Sack, Martins, lilora Urasillonsis, die Riesen bibliothek des Literarischen Vereins Stuttgart, die Sybelsche Historische Zeitschrift, die zionuiuvnM OormMiae distorics — um nur einiges zu nennen. Ein abermaliger Lolalwechsel schien schon im ersten Jahr zehnt des Jahrhunderts Bedürfnis zu werden. Die Verhält nisse hatten sich gründlich geändert, aus bescheidenen Anfängen hatte sich Großes entwickelt, die Firma stand in der Blüte, ihr Ruf drang in die ganze Kulturwclt —, da glaubte Hicrsemann denn sich einen alten Lieblingswunsch erfüllen zu können, der freilich auch nur der Sache dienen sollte: den Bau eines eigenen Geschäftshauses. Der Königstraße bewahrte man die Anhäng lichkeit: im August 1909 konnte man in Nr. 29 Einzug halten, dem neuen stattlichen Heim der Firma. Stattlich in der Tat, aber zugleich zweckmäßig angelegt, ein Bücherpalast oder ein Buch-Museum mit hohen luftigen Räumen, die Wände bekleidet mit Schränken für die Literatur aller Zeiten und Länder, mit Vitrinen in der Zimmermitte, den Auslagekästen für die Selten heiten des Frühdrucks, Flugblätter, Malereien, in den Treppen gängen alte Landkarten, japanische Rollbilder, orientalische Kunstgewebe als Wandschmuck —, alles übersichtlich geordnet, vornehm im Geschmack und herzerquickend für den Bibliophilen, belehrend für den Fachgenosscn. In diesem Hause, das er sich an allen Einzelheiten teil nehmend gestaltet hatte und das als der Schlußstein in einem verdienstvollen, arbeitsreichen Leben stand, waltete unermüdlich unser dahingegangener Freund. Wie er diesem Geschäfte die Seele gegeben hatte, so war er selbst zur Seele des Geschäftes geworden. Dieser Mann genoß die uneingeschränkte Bewunde rung, Verehrung und Liebe seiner näheren Fachgenosscn, und wer in unserer vergeßlichen Zeit das Gefühl der Verbundenheit sich erhalten hat, der wird, als Antiquar, dieses Meisters seines Berufes in wahrer Dankbarkeit gedenken. Denn daß das Anti quariatswesen sich zu so hoher Blüte entfalten konnte, ist seiner Tätigkeit zum guten Teil mit zu verdanken. Auf seinen zahl reichen Reisen konnte er mit Gelehrten von Ruf und den be rühmtesten Sammlern in Beziehung treten; er gehörte neben dem Altmeister Simon Leopold Bacr auch zu den ersten deut schen Antiquaren, die ihre amerikanische Kundschaft persönlich aufsuchtcn und damit auf den Verkehr mit den öffentlichen Bibliotheken und den Buchhändlern vor allem mit den Vereinig ten Staaten befruchtend einwirkten. Wenn man einmal zur Zeit der Ostermcsse oder wenn wissenschaftliche oder bibliophile Vereine in Leipzig tagten, das Haus in der Königstraße auf suchte — und jeder Besuch schenkte einem Freude und Be reicherung —, dann traf man Gelehrte und Bücherfreunde allent halben in den verschiedenen Abteilungen zerstreut an; hier ge führt von dem Sohne Anton, dort von den Mitarbeitern und dort von dem allzeit bereiten »alten Herrn«. Wer je einmal den breitschultrigen Mann mit der großen Nase, dem energischen Kinn und den lebhaften Augen in seinem Arbeitsgebiet beobach ten konnte, wird sich dem nachhaltigen Eindruck seiner Wesenheit nicht haben entziehen können. Er gehörte zu den Menschen, die nie Zeit haben und sich nur Zeit nehmen, wenn es nötig ist. Seinen Fleiß nannte er Angewohnheit: es war wohl ein Erbe der Väter, die mit beginnendem Morgenlicht an die Arbeit gingen und erst bei Sonnenuntergang Feierstunde machten. Und auch seine Tüchtigkeit, die Lauterkeit seiner Gesinnung, der ge festigte Charakter gehören Wohl mit zu diesen Erbstücken. Nur über die Schaffenscinseitigkeit der Ahnen war er hinausgcwach- sen. In seiner genialen Persönlichkeit kommt das eigentümliche Universelle, Weitgespannte und Umfassende, das den Antiquar kennzeichnet, zu lebendigstem Ausdruck. Organisatorische Be gabung ist dabei eine Hauptbedingung für die Strategie des Erfolges, ist unumgängliche Notwendigkeit bei einem so riesen haft ausgedehntem Geschäft wie dem Hiersemannschen. Der Organisator wird auch immer ein Mann der Ordnung sein müssen. Peinlichste Ordnungsliebe im Großen wie im Kleinen war charakteristisch für Hiersemann. Man brauchte nur einen Blick auf das Pult in seinem Privatbüro zu werfen, an dem er, fast immer stehend, arbeitete, um das zu erkennen. In den ersten Geschäflsstundcn häuften sich da die posta lischen Eingänge, Briefe aus allen Weltgegenden, Bestellungen, Angebote, oft mit Wünschen und Hoffnungen zwischen den Zei len, Drucksachen, Prospekte, Ankündigungen: was gewöhnlich die Frühpost dem Buchhändler zu bringen pflegt. Und dann geht es an das Aufarbeiten, an die Durchsicht und Verteilung der Briefschaften, meist mit kurzen Randbemerkungen für die Mit arbeiter, denen bestimmte Abteilungen zugcwiesen sind. Das Pult wird leerer, nur ein Packen Briefe bleibt zurück, die selb ständig beantwortet werden sollen. Die langjährige, bewährte Sekretärin sitzt bereits an der Maschine, das Diktat beginnt. Wohin fliegen die Briefe? Heute vielleicht nach Berlin, Paris, Wien, Madrid, Minncapolis und auf ein Schloß in Ungarn, morgen nach Zürich, Amsterdam, Rio, Bukarest, Chemnitz und zu einem Pastor in einem einsamen Dorf in Finnland, der sehnsüchtig auf seine Bücher wartet. Ein Antiquar in Barce lona bietet Inkunabeln eines unbekannten Druckers in Sala- manca an, in St. Gallen ist eine Sammlung von Miniaturen des XI. Jahrhunderts verkäuflich, ein Mailänder Bibliophile sucht Drucke des de Lavagna, in Budapest ist eine kostbare Schloß bibliothek nachweisbar mit einer Handschrift des Attavante aus der alten Corvina. Man weiß, wie es in einem großen Anti quariat zugeht. Das Pult des Chefs wird bald wieder frei für neue Arbeit. Aber es kommen Käufer, die mit dem »alten Hiersemann« Persönlich verhandeln wollen. Er war dann immer zur Stelle und er war zu dem Käufer, der ein Büchlein für wenige Mark haben wollte, genau so liebenswürdig wie zu dem, bei dem cs sich um einen Einkauf von vielen Tausenden handelte. So war dieser Mann im Beruf. Nicht minder erfreulich war er im Privatleben. Durch volle drei Jahrzehnte kannte ich ihn und im Laufe der Jahre hat sich diese Bekanntschaft zu einer wahren und echten Freundschaft vertieft. Wenn Hiersc- mann in Berlin war — was mindestens drei- bis viermal im Jahre geschah —, dann waren wir meist mittags und jeden Abend zusammen, sei es in meinem Hause, sei cs im Hotel, in demselben, in dem er in alter Anhänglichkeit stets abzusteigen pflegte. Er liebte nicht die großen Geselligkeiten. Er zog viel mehr die Behaglichkeit der geruhigen Plaudcrstundcn mit einem Freunde vor. Wenn er manchmal spät abends in Berlin ankam und ich ihn entweder vom Bahnhof abholte oder im Hotel erwartete, dann erschien unser Freund — ungeachtet der Winterkälte — ungeachtet seines höheren Alters — im einfachen Überzieher, die kleine historische Reisetasche in der Hand, von jener muster haften Einfachheit, die wirklich großen Menschen eben eigen ist. Seine Anspruchslosigkeit im Essen war Non der gleichen Art. Wenn wir über die Bestellung berieten, so wußte ich: meist be stellte er doch schließlich das Schwcinckotelett, auf das ich schon vorher getippt hatte. Einem guten Trunk war er zugetan und manchmal haben wir vielleicht nicht ganz den besorgten Rat schlägen der verehrten Gattin entsprochen. In diesen zahlreichen Stunden freundschaftlichen Gedanken austausches habe ich Hiersemann und seine Art vollauf so kennen gelernt, wie man einen Menschen überhaupt nur kennen lernen kann. Die Praxis im Verkehr mit ihm, die geschäftliche Ver bindung bestätigte nur die Anschauung, die ich dabei gewann: Hier lebt und webt eine starke Persönlichkeit, selbständig im Den-
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