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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 25.07.1936
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- 1936-07-25
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- 25.07.1936
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Nummer 171, 25. Juli 1S3S Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel Der Schriftsteller Liszt tritt entscheidend neben den schaffenden Künstler in dem Augenblick, wo der »Virtuose« die Gefahr der Isolierung solcher Knnstübung gewahrt. Er legt die Feder nieder, sobald ihm klar geworden ist, daß seine schriftstelle rische Tätigkeit durch die Ereignisse, die für ihn und seine Kunst sprechen, unnötig geworden ist. Liszts schriftstellerische Tätigkeit umfaßt die mittlere Periode seines Lebens und beginnt um das Jahr 1834. Seine »Gesam melten Schriften- wurden von seiner Biographin, Lina Ramann, herausgegeben und gliedern sich in sechs Teile, die die umfassende Bildung des »Musikwissenschaftlers« (im weitesten Sinne) vereinigen mit dem Temperament des schaffenden Genies, das alle Elemente seines künstlerischen Wesens klarzulegen sich be müht und Mittler sein will zwischen seinem Wollen und Können, das aber alsbald nicht mehr ihn allein betrifft, sondern — die K u n st. Ordnen wir die »Gesammelten Schriften-, zu denen noch die in einer Reihe von Briefsammlungen vorliegenden mensch lichen Äußerungen kommen — ich nenne den Briefwechsel zwischen Wagner und Liszt, die Briese an seine Mutter, zwischen Liszt und Hans von Bülow u. a. m. —, so lassen sich drei übergeordnete Ge biete erkennen: 1. die kunstreformatorischen Schriften 2. die Künstlermonographien 3. ein Kapitel Kulturgeschichte — die Zigeuner und ihre Musik. Betrachten wir das erste Gebiet näher, zu dem die »Essays und Reise-Briefe eines Baccalaureus der Tonkunst«, die »dramaturgi schen Blätter«, »Aus den Annalen des Fortschritts«, »Konzert- und kammermusikalische Essays« und die »Streifzüge, kritische, Polemische und zeithistorische Essays« gehören, so zeigen diese zwanzig Jahre auseinanderliegenden Schriften eine Übereinstimmung der Ten denzen, die die Einheit der Künstlerpersönlichkeit Liszts klar erkennen lassen. Sie befinden sich in enger Nachbar schaft mit den Resormschriften Richard Wagners, die im übrigen sich erst mit und unter der Freundschaft der beiden entwickeln und die Lisztsche Schreibweise um vieles leidenschaftlicher abwandeln. Alle diese Kundgebungen zum Stil der Zeit und den sich daraus ergebenden Forderungen haben die eine Frage zum Inhalt: Können die geistigen Lebensinteressen überhaupt ohne Kunst aus geübt werden? So wird die Wiedereinordnung der Kunst in die menschliche Gesellschaft und deren Durchdringung vom göttlichen Zentrum der Kunst aus in hundert Variationen gefordert und wahrhaft klassisch begründet. Es sind Forderungen, die erst heute, also nach hundert Jahren, ihre praktische Anwendung finden, wenn »der Wunsch der Belebung der Volksseele durch die Kunst» — eine Formulierung Franz Liszts — in den Mittelpunkt heutiger Kunst politik gestellt wird. Neben die Theorie stellt Liszt aber sofort die Praxis. Seine Reformen gelten nicht allein der Gesellschaft — dem Publi- k u m, das den Künstler als sozial Gleichgestellten zu betrachten hat —, in gleicher Weise auch dem Künstler, insbesondere dem Musiker, der an der ihn zeichnenden Isolierung zum großen Teil selbst schuld ist und selbst viel zu wenig Schritt gehalten hat mit der Gesamtkultur seiner Zeit. Bittere — ja ironische und sarkastische Worte fallen dabei für das Gebiet der Kritik ab, sür die er fordert, daß der Künstler selbst Kritiker sein muß. Entscheidende produktive Kritik offenbart sich hierbei vor allem in der Forderung einer »Goethe-Stistung« im Jahre 1850. Nicht mit Unrecht sagt hierüber Ludwig Schemann, daß sie nur einen Fehler gehabt habe — daß sie sich an »die lieben Deut schen» gerichtet hätte! Der Gedanke, in Weimar ein »Olympia derKunst« — also nicht der Musik oder des Theaters allein — zu errichten, muß für einen so umfassenden Geist wie Liszt be rauschend gewesen sein. Sein genialster Kritiker, Richard Wagner, wies ihm freilich sofort seine Trugschlüsse nach — und setzte an die Stelle des Ideals ...sein Ideal, das Gesamtkunst- wcrk, das dann in Bayreuth Wirklichkeit wurde. Nicht weniger wichtig wurden dann die »Dramaturgischen Blätter«, die Liszts Wirken als Hoskapellmeister literarisch begleiten. Nach drei Rich tungen erstrecken sich hier seine Reformen: die Künstler zu lehren und zu bilden, dem Publikum die Augen zu ösfnen — und der K56 Zukunft seine Methode öffentlicher Kunstübung zu vermitteln. Daß Liszt sich hier vor allem desTheaters annimmt, beweist seinen Blick für das Wesentliche der Zeit, in der er die Loslösung des theatralischen Kunstwerkes von den Bindungen an Alltag und Schlendrian verbindet seinen Forderungen nach einer zeitnahen Kunst, die den Lebenden ihr Recht verschafft. Das Festspiel von Bayreuth hätte ohne solche vorbereitende literarische Aufklä rung — die nie »pro äomv« sprach, sondern der Allgemeinheit diente — niemals entstehen können. Das führt mit einem Wort auf Liszts Werbearbeit für RichardWagner. Man lese einmal im Briefwechsel der beiden nach, wie kongenial Liszt hier den Dramatiker Wagner erfaßt, um dann die Anwendung seiner Erkenntnisse in den meisterhaften Apologien auf den Fliegenden Holländer, den Tannhäuser und den Lohengrin festzustellen! Eine wahrhafte Stilkunde des musikalischen Dramas stellen diese Erörterungen dar, die in der Forderung nach der lebendigen Stilbildungschule gipfeln. Nicht der Lehre und der Erziehung, sondern der Kunst an sich dienen die vier K ü n stle r b il d e r, die den Prosaisten Liszt in seiner ganzen — man muß schon sagen — Brillanz seines Stiles und seiner Dialektik offenbaren. Sie sind überschrieben »Chopin«, -Berlioz«, »Schumann« und »Fran z«. Auch diese schrift stellerischen Werke sind nicht zu lösen vom Musik ausübenden Künstler Franz Liszt, der sie gleichsam als Vorstudien sür sein pianistisches und kompositorisches Schaffen betrachtet — und mit diesen kunst- und musikgeschichtlichen Monographien wahrhafte Kunstwerke schafft. Kommen wir schließlich auf sein viel besprochenes und heute betont aktuelles Buch von den Z i g e u n e r n zu sprechen, so fesseln uns aus unserer Gegenwart heraus besonders die rassekundlichen Betrachtungen, wiewohl d i e Interpreten der Lisztschen Gedanken irren, die hier Liszt sein eigenes Rasseproblem anschneiden sehen, indem er Parallelen zieht zwischen den Zigeunern und den Ungarn. Liszts Ahnenerbe steht heute wissenschaftlich fest. Er ist Deutscher seinem Blut nach. Aber der übernationale Katholik Liszt, der sich auch in seinem Schassen schließlich ganz der Religion weiht, steht uns Heutigen doch ferner als der Gesamtkünstler Franz Liszt — und der fromme Katholik, der er war und wurde, konnte das I ud en p r o b l e m, das er in seiner Zigeuner-Abhandlung eingehend mit beleuchtet, doch nicht in seinem Kern erfassen. Er findet keinen Ausweg aus dem Dilemma seiner Zeit, die noch nicht Herangehen kann an dieses Problem, das sür uns heute in den Mittelpunkt rassischer und damit auch kunstpolitischer Klärungen gerückt ist. Daß Liszt aber das Problem als solches überhaupt schon erkennt, offenbart uns Heutigen, mehr als es ihm selbst klar sein konnte, die germanische Wurzel seines Seins. Man hat — nicht nur nach der Veröffentlichung dieses seines letzten größeren schriftstellerischen Werkes — Liszt vorgcworfen, daß sein Stil die Klarheit und die Wissenschaftlichkeit des strengen Gelehrten und Forschers, der nicht nur sür die Zeit schreibt, viel fach vermissen lasse und sich in berauschenden Tiraden, in hoch trabenden und geistvollen Übertreibungen, in überpointierten Bil dern und schwülstigen Weitschweifigkeiten erginge. Man vergißt dabei zweierlei: Einmal schrieb Liszt französisch, und der Urklang dieser Sprache kommt leider in den Übersetzungen immer wieder zum Durchbruch. Dann aber schrieb Liszt als Künstler — als Musiker, der sich seinen Melodien anpaßt, die in ihm ihren Zauber trieben. Einzig und allein der Gedanke, sein inneres Bild, das er sich von den Dingen schuf, durch das Wort und damit so plastisch wie möglich wiederzugeben, machte ihn zum Schriftsteller. Der Stoff und seine Fülle übermannte ihn dabei oft mehr, als ihm selbst vielleicht recht war. Aber auch in seiner Schriftstellern steckt mehr von der »virlus» und dem »vir«, wie ec selbst einmal scherzhaft sagte, also vom Männlichen, als »der Virtuose-, der nur durch seine Technik — wie Paganini — blendet. So ent stammt seine schriftstellerische Kunstübung nicht dem Egoismus, der eitlen Selbstbespiegelung — sondern allein seiner selbstlosen und überpersönlichen Menschlichkeit. Fassen wir sie unter solchen Vorbedingungen, so gehört sie zu seinem Wesen wie seine schöpferische Kunst; denn sie ist »das Spiegelbild seiner künstle rischen Lebensgeschichte-.
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