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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 10.02.1938
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- 1938-02-10
- Erscheinungsdatum
- 10.02.1938
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Der Kalender in der Geschichte, in der Kunst und im täglichen Leben Der Kalender oder Almanach ist wie kein anderes Literatur- und Druckerzeugnis der wahre Spiegel seiner Zeit. Er verrät uns in ge drängtester Form die jeweiligen staatlichen und gesellschaftlichen Zu stände. An ihm läßt sich die Höhe des Wissens und der Bildung, Glaube und Aberglaube, Geschmack und Geschmacklosigkeit eines Zeit alters ablesen. Er ist wegen seiner praktischen Unentbehrlichkeit bis in die fernste Bauernhütte gedrungen, wie außer ihm nur die Bibel. Eine vergleichende und entwickelnde Überschau über ein derart volks nahes Schrifttum ist daher von unübertrefflichem kulturgeschichtlichem Anschauungswert. Die zur Zeit im Hörsaale der Stadt- und Landes- bibliothek Dortmund gezeigte Schau beginnt mit den Heiligen- und Festkalendern, die sich schon in den handgeschriebenen Gebetbüchern des Mittelalters vorsinden. Es werden Beispiele vom 13. bis 16. Jahrhundert im Original gezeigt. Die kostbarsten, für hohe Personen hergestellten Breviere enthalten vollendete Meister werke der Buchmalerei, meist flämischen Ursprungs, die nicht nur den liturgischen Teil mit Darstellungen der bi'blischen Geschichte und Heiligenlegende, sondern auch das Kalendarium mit Abbildungen der den einzelnen Monaten zukommenden Hauptbeschäftigung des Land manns oder auch der vornehmen Gesellschaft begleiten. Von den berühmtesten dieser »M o n a t s b i ld e r« im »Lrevlurio Orimani« (Venedig), in den »l'röL riebes teures« des Herzogs von Berry (Chan- tilly), im Stundenbuch der Landesbibliothek Dresden usw. werden hier ganze Folgen oder einzelne Beispiele gezeigt, bei welchen die meisterhafte, meist farbige Reproduktion das Original kaum mehr vermissen läßt. Aus ihnen erwuchs für die Kalenderillustration eine Überlieferung, die bis in die Gegenwart nachwirkt. Mit der Erfindung des Holzschnitts und Buchdrucks kann der Kalender seine Nolle als praktischer Berater im täglichen Leben be ginnen. Bei der starken Benutzung und nur vorübergehenden Bedeu tung haben sich aus dem 15. und 16. Jahrhundert naturgemäß nur ganz vereinzelte Originale bzw. Bruchstücke von solchen erhalten, die hier, soweit deutschen Pressen entstammend, sämtlich in Nach bildungen zu sehen sind. Es sind ganz überwiegend »Einblattdrucke«, die an Stelle unserer heutigen ausgeführten Tabellen nur die prak tischen Hilfsmittel des »Sonntagsbuchstabens« und der »goldenen Zahl« angeben, nach denen sich jeder seinen Kalender selbst anfertigen konnte. Hingegen verbreiten sie sich ausführlich über alle möglichen Gesundheitsvorschriften, namentlich überden jahrhundertelang für un entbehrlich gehaltenen Aderlaß, dessen Termine nach glückverheißenden Konstellationen bestimmt werden. Mit ihren reizenden figürlichen und dekorativen Randleisten, allegorischen Sternbildern sowie Ab bildungen aus dem täglichen Leben von köstlicher Naivität künden diese »Aderlaßkalender« zugleich von der Höhe deutscher Holzschnittkunst selbst bei Massenartikeln, wie sie doch die Kalender waren, für die aber auch Meister wie Lucas Cranach, Hans Burgkmai r, Wolf Traut u. a. gearbeitet haben. Dem gleichen Bedürfnis entsprangen die ersten Buchkalender, meist »Practica« oder »Prognosticon« ge nannt. Die Reihe der Originaldrucke eröffnen die wichtigsten astronomisch-astrologischen Werke der Zeit, wie des angeblichen Herzogs Leopold von Österreich »Traktate von der Sternenkunde« (1489), Johann Stöfflers»O3l«nck3i-jum komLnum« (1518), JohannJndagines »Natürliche Astrologey« (1523) u. a. Als ältester eigentlicher Kalender wird die »Practica Düdsch auf das Jahr 1552« gezeigt, verfaßt von Jeremias Brotbeyhel und gedruckt zu Dortmund durch Philipp Maurer, ein Büchlein von wenigen Blättern kleinsten Formats, das auf dem Titel angidt, daß die Herren dieses Jahres »nächst Gott« Venus, Jupiter und Mars sind. Ein Kölner »Schretbkalender« für 1575, ein Essener Almanach für 1613 und abermals ein Dortmunder für 1642 zählen zu deu wenigen erhaltenen Exemplaren dieser Druck gattung. Als Seltenheiten ersten Ranges, vielleicht nur in diesen Exemplaren erhalten, sind ferner die obere Hälfte eines bischöflich- münsterischen Almanachs auf 1613 sowie, um das gleich vorweg zunehmen, ein vollständiger, fast meterlanger münsterischer Kapitels kalender für 1788 zu betrachten. Der »Aderlaßkalender« entwickelt sich allmählich zum »Historien- kalender* des 17. Jahrhunderts, als dessen eigentlichen Schöpfer wir keinen geringeren als Grimmelshausen, den Verfasser des unsterblichen »Simplicissimus« zu betrachten haben. Der politische Blick, das geschichtliche Interesse hat sich unter den furchtbaren Er lebnissen des Dreißigjährigen Krieges auch bei dem einfachsten Mann mächtig erweitert. Die nachzitternde Erregung äußert sich in einer früher nicht gekannten Gier nach Neuigkeiten (der ja auch die gleich zeitigen ersten periodischen Zeitungen sMeßrelationenj ihr Entstehen verdanken), in einer Sucht nach »Wundergeschichten«, mochten sie nun in der Vergangenheit liegen oder für die Zukunft prophezeit werden. All dies sowie das uralte volkstümliche Behagen an Kurzweil in Schwänken, Schnurren, witzigen Wechselreden befriedigte unüber trefflich der »Simplicianische Kalender«, der auch nach dem Tode des Schöpfers fortgesetzt wurde. Wir sehen außer Neudrucken den Ori ginaljahrgang für 1695, daneben ein ähnliches Erzeugnis, Balthasar Han's »Kriegs- und Friedens-, Wunderzeichen- und Sprichwörter kalender« für 1696. Der so geschaffene Typ setzt sich unter zeitgemäßen Veränderungen und unter wechselnden Namen als »Volkskalender« namentlich für die Landbevölkerung bis in die Gegenwart fort. Wir sehen u.cr. eine lange Folge des »Münsterischen Almanachs« (seit 1708), eine ebensolche des »Dortmundischen verbesserten Almanachs« (seit 1712) und eine Auswahl des allbekannten »Lahrer hinkenden Boten« (seit 1826) sowie seiner zahlreichen, namentlich rheinisch-westfälischen Nachahmungen, köstliche Fundgruben des Volkshumors und der popu lären Holzschnittkunst eines F. W. Gubitz, Robert Rein ick, Ludwig Richtern, a. m. Ein gleichzeitiges französisches Gegenstück zeigt die gefeierten Namen eines Daumier, Gavarni usw. Schon die ältesten ausliegenden »Schreibkalender« enthalten aus durchschossenem Papier hauswirtschaftliche, medizinische usw. Notizen von hohem kulturgeschichtlichem Interesse. Aus späterer Zeit nennen wir über zwanzig Jahrgänge des »Münsterischen Almanachs« aus dem Besitz des Oberpräsidentew Ludwig von Vincke, des Freundes Steins und Blüchers, in deneu er über alle Ausgaben seiner Dienst reisen Buch geführt, seiue allerorts gemachten Wahrnehmungen und Erfahrungen angemerkt hat. Ähnliche eifrig beschriebene Notizkalender gehörten den Ministern Ernst und Karl von Bodelschwingh. Die zunehmende ständische und berufliche Differenzierung, die allmähliche Entstehung des modernen Staates, neue Wissenschaften und neue Bildung erzeugen daneben neue Gattungen von Kalendern, die sich von seiner Urgestalt mehr und mehr entfernen. Die monarchi schen Beamtenstaaten brauchen nun ihre Hof-, Staats- und Adreß kalender, die in ihrer Vielzahl die territoriale Zerrissenheit des alten Reiches traurig widerspiegeln. Den Interessen der Höfe und des Adels dienen die genealogischen Handbücher, von denen der »Gothaische Almanach« bis in die Gegenwart reicht, dem Offiziersstand die mili tärischen Kalender. Das klassische Zeitalter der deutschen Dichtung und das sich an ihr entzündende Interesse immer weiterer »schön geistiger« Kreise ruft die Musenalmanache und poetischen Taschen bücher ins Leben, die anfangs manches Meisterwerk Schillers und Goethes erstmalig bringen (z. B. »Geschichte des 30jährigen Krieges« s1791j, die »Lenien« f1797j, »Jungfrau von Orleans« s1802j, »Die natürliche Tochter« s1804j) und mit den erlesensten Schöpfungen der Kupferstecherkunst, namentlich eines Chodowiecki geschmückt sind, bis sie allmählich in eine Massenfabrikation seichtester Unter haltungsware ausarten und vornehmlich der Mode, der »eleganten Welt« und dem Geschmack des »Frauenzimmers« dienen. Als Curiosum erwähnen wir einen gestochenen illustrierten Kalender auf 1839, der nur 14X19 mm mißt. Große Weltereignisse spiegeln sich in einem »Revolutionskalender« und einem »Kriegs- und Siegeskalender« wider. Mit der Annäherung an die Gegenwart wächst dann, wie all bekannt, die Spezialisierung des Kalenders ins Unermeßliche, in dem Maße, wie sich die Berufe, die Zweige des öffentlichen Dienstes, die Jnteressenverbände usw. vervielfältigen. Als einer der frühesten Berufskalender wird ein reizender »bergmännischer Kalender« (Frei berg u. Annaberg 1791) gezeigt. Das Zeitalter der Reklame entdeckt den Kalender als geschäftliches Werbemittel. Die Almanache und Ab reißkalender großer Verlagssirmen und werbender Kunst- und Kultur institute bringen dabei, zum Teil anknüpfend an beste Traditionen der Vergangenheit, Jahresgaben von bleibendem literarischem, künst lerischem und volksbildnerischem Wert. Haben wir schon seit Anfang des 19. Jahrhunderts Ansätze zu einem landschaftlich betonten und abgegrenzten Kalender, so sind doch die »Heimatkalender«, die in glücklicher Zusammenfassung nützliche Ratgeber und Erzieher zur Heimatkenntnis und Heimat liebe sein- wollen, im wesentlichen erst ein Erzeugnis der Nachkriegs zeit. So begrüßenswert sie in Tendenz und Wirkung auch sein mochten, so bekundeten sie doch gleichzeitig in der Zeit unserer staatlichen Ohn macht eine entsagende Abkehr vom Staats-uud Volksganzen und einen beschaulichen Rückzug auf engste landschaftliche Bindung. Demgegen über sind die Kalender der NSDAP, und ihrer vielen Unterglieöe- rungen, der Deutschen Arbeitsfront, des Auslanddeutschtums usw. auch an ihrem Teil sinnfälliger Ausdruck einer unter kraftvoller Füh rung wie nie zuvor geeinten, mit Energie geladenen und von neuen Idealen erfüllten Nation. vr. A. Schill (Dortmund). 11V
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