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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 29.01.1916
- Strukturtyp
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- 1916-01-29
- Erscheinungsdatum
- 29.01.1916
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- Deutsch
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Redaktioneller Teil. K 23, 29. Januar 1916. der Käufer mit dem Detaillisten zusommentrisft, beim Buch handel also die Beziehung des Sortimenters zum Bücher- ltebhaber. In den kleinen Verhältnissen des alten Deutschland und bet dem sozial fest umgrenzten Kreis der Bücherliebhaber kannten in der Regel die Sortimenter ihre Kunden genau. Wenn der Sortimenter ein Buch angezeigt sah, dann wußte er, daß dieser oder jener Kunde Interesse dafür haben werde; er ließ es sich bedingungsweise kommen und schickte es seinem Kunden zur Ansicht. Verleger und Verfasser wußten also ganz genau, wenn sie ein Werk Herausgaben, das überhaupt Menschen interessieren konnte, daß es durch die Sortimenter sofort wenigstens einem sehr großen Teil der in Deutschland dafür.vorhandenen Menschen vorgelegt wurde; wer das Buch aus diese Weise nicht in die Hand bekam, der erfuhr dann sicher von ihm durch Bekannte, die es erhalten hatten. Dadurch kam eine große wirtschaftliche Stetigkeit in den Buchhandel. Ein eigentliches Risiko für den Verleger war selten und wurde dann der Sache wegen ausgenommen, und konnte auch ausgenommen werden. Der Verfasser konnte er warten, nur mit den Schwierigkeiten kämpfen zu müssen, die in der Natur seines Werkes lagen. Der Sortimenter konnte bei angestrengter Tätigkeit, Umsicht und Urteil aus eine sichere Einnahme ohne allzugroße Kapitalaufwendung rechnen. Diese alten Verhältnisse sind nur noch im wissenschaft lichen Buchhandel vorhanden, weil hier eben der enge Kreis, der zu überschauen ist, sich gehalten hat. Ein Verleger, der ein wissenschaftliches Werk herausgibt, kann mit einiger Sicher heit Voraussagen, wieviel Exemplare er verkaufen kann, und der Sortimenter, der eine gelehrte Kundschaft hat, weiß, was er jedem vorlegen mutz, überall sonst aber sind diese alten Verhältnisse verschwunden. Die Ursachen sind: die außerordentliche Zunahme der Be völkerung, das überwiegen der Großstädte, die sozialen Ver schiebungen und die mit allen diesen Momenten zusammen hängende Steigerung der Bücherproduktion ins Unübersehbare. ' Die Bevölkerung Deutschlands hat sich seit den sechziger Jahren beinahe verdoppelt. Viele Menschen, die früher keine Bücher kauften oder sich mit dem jährlichen Kalender begnügten, kaufen heute Bücher; der gebildete Mittelstand ist relativ ver armt, da seine Einnahmen nicht mit den Einnahmen anderer Stände, den gestiegenen Preisen für das Notwendigste und den allgemeinen Bedürfnissen gestiegen sind; die Gebildeten sind heute auch in ihrem Beruf angestrengter als früher, und die vermehrten Sorgen kosten Zeit: kurz das eigentliche Stamm publikum der alten Buchhändler ist zurückgegangen. Bei diesen aber hat der Sortimenter immer doch eine bestimmte Vor stellung, welche Bücher es schätzen würde: der Geistliche kauft andere Bücher als der Arzt, der Rechtsanwalt andere als der Offizier. Die Städte sind größer geworden, damit wird die persönliche Bekanntschaft des Sortimenters mit den Kunden mehr und mehr unmöglich; der Sortimenter weiß nichts mehr von dem Mann, der vor seinen Ladentisch tritt. Das äußere Zeichen für die veränderte Lage ist, daß die Ansichtssendungen der Sortimenter an die Kunden fast ganz verschwunden sind; fast ebenso verschwunden ist der runde Tisch mit den Stühlen davor in dem alten Geschäft, wo die Kunden sich niederlietzen und in den ausliegenden Büchern blätterten und lasen. Dieser veränderte Zustand wäre angemessen, wenn der Kunde die Bücher vorher könnte, ehe er zum Sortimenter kommt, denn vom Sortimenter kann er nicht mehr in der früheren Weise aufgeklärt werden Hieraus erklärt es sich, daß in immer steigendem Matze die Verleger direkt an das Publikum Prospekte schicken; sie erfahren die Adressen direkt oder indirekt durch Adreßbücher und gehen allgemein nach Stand und Stellung der zu Be- schickenden, wie sie sich aus den Adreßbüchern ergeben. Daß eine solche Propaganda äußerst kostspielig ist, ist klar, denn der Anhalt, den der Verleger hat, ist zu gering. Es ergibt sich aus diesem Zustand auch, daß immer wieder von Ver legern der Versuch gemacht wird, Bücher durch große Reklame ins Publikum zu bringen. 102 Mit Recht hat man gegen diese Reklame die schwersten Bedenken. Es ist ja schon ganz augenscheinlich unwürdig, wenn geistige Dinge behandelt werden wie Hühueraugenmittel oder Hosenträger. Es ist das aber auch im liefern Sinn unrecht. Das Buch soll den Menschen erheben, belehren, bessern, erfreuen: dazu muß es für ihn so hoch stehen, daß er es erstrebt, es darf ihm nicht aufgedröngt werden. Das Ergeb nis ist natürlich, daß nur sür solche Bücher eine große Reklame gemacht werden kann, die aus einen sehr großen Leserkreis rechnen; in den meisten Fällen — nicht in allen — sind das natürlich dumme Bücher; denn von guten Büchern können nur solche von unmittelbar praktischem Wert, der jedem ein leuchtet, sofort weit verbreitet werden; jedes nicht unmittelbar praktische Buch, das sofort weit verbreitet wird, muß not wendig mindestens platt sein. Immerhin wird die Reklame schon deshalb keine sehr große Gefahr werden, weil sie sich bei Büchern nur sehr schwer bezahlt macht. Es entstehen durch sie andere soziologisch interessante Folgen, die nicht hierher gehören, so, indem z. B. das Cliquenwesen in der Literatur, das ja ein natürliches Produkt ist und immer da war, sich zum Reklameverband umwandelt. Aber eine andere Folge dieses Zustandes bildet eine große Gefahr. Unzweifelhaft ist in den letzten Jahrzehnten die Bücher- Produktion stärker gestiegen, als die Nachfrage auch bei kon solidierten Verhältnissen hätte steigen können. Da sie einer unbekannten und unorganischen Masse von Käufern gegenüber- siehen, haben es die Verleger aufgegeben, den Willen der Käufer zu erforschen, sondern Wersen aufs Geratewohl eine große Menge Bücher jeder Art ziemlich wahllos hinaus, in der Hoffnung, daß in der Menge der eine oder andere Schlager sein wird, der sie dann für die Unkosten der anderen bezahlt macht. Es ist das ein Gedanke, der heute überall in ähn lichen Verhältnissen auftaucht. Die Theater leiden unter den selben Umständen, und so ist auch bei ihnen die Wahl- und Ziellosigkeit der Produktion und das Hoffen auf den Schlager eingetreten. In Ländern wie England, wo die heutigen Ver hältnisse schon länger bestehen, hat sich das bereits konsoli diert. Es gibt dort das »Buch der Saison«, das jeder ge lesen haben muß, natürlich eine ganz dumme Scharteke, um die sich im nächsten Jahr kein Mensch mehr kümmert. Wie weit wir in Deutschland von der Vollendung dieses Zustandes entfernt sind, mag man sich überlegen. Der Schlager, der erhofft wird, mutz natürlich billig sein, sonst ist das Glück nicht möglich. Dadurch werden die Ver leger veranlaßt, alle ihre Werke zu billigen Preisen heraus zugeben. Dar hat das Buch überhaupt entwertet, denn das Billige wird ganz instinktiv weniger geschätzt wie das Teure; und das hat die Lage der Verleger sehr fragwürdig gemacht. Schillers Wallensteinkosteieseinerzeit drei Taler und zehn Silber groschen; heute, wo zehn Mark von damals mindestens zwanzig Mark wert sind, kann der Verleger ein entsprechender neues Drama mit höchstens vier Mark ansetzen. So ist es denn dahin ge kommen, daß manche Leute sagen, das Verlegen sei eine Be schäftigung wie etwa die Jagd, die viel Vergnügen macht, aber auch viel kostet.^ Für die Dichtung hat diese Krisis des Buchhandels die Folgen, daß ihre Stellung noch viel schwieriger wird, als sie früher war. Ein neuer Dichter, der den Leuten etwas zu sagen hat, ist ja nie mit offenen Armen ausgenommen worden, wenn nicht irgend welche Zusälle mitspielten. Jede wahre Kunst hält den Menschen einen neuen Imperativ vor, gegen den sie sich natürlich sträuben, solange sie können: indem sie sie lächer lich finden, oder unmoralisch, oder kalt, oder am besten, in- dem sie über sie schweigen. Die Kritik nimmt durchaus nicht eine besondere Stellung ein, indem sie etwa die Leute zwingt, gegen ihren inneren Widerstand sich mit dem Neuen zu be schäftigen, sondern sie folgt eher dem Publikum, als daß sie es führt. Kommt nun zu diesem natürlichen Widerstand auch noch die Desorganisation des Büchermarktes, die Über schwemmung mit Büchern, die unmöglich alle ausgenommen
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