Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 22.01.1883
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- 1883-01-22
- Erscheinungsdatum
- 22.01.1883
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- Deutsch
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305 17, 22. Januar. Nichtamtlicher Theil. mehr als russischen Mas zu einer, obendrein vollständig unlogi schen und sinnwidrigen Rechtschreibung zwingen zu wollen und dazu nach ultramontanem Recept die Versrdnungsmacht des Staates über die Schulen zu gebrauchen oder vielmehr zu miß brauchen. Nu, get zu Euern vererten Lerern und tut, was sie Euch befelen!" Und ich hofse, das wird die Anweisung jedes deutschen Baters an seine Kinder sein, aller derjenigen, welche keinen jäh - muthwilligen, dictatorischen Durchriß zwischen ihrer eigenen, an Goethe, Schiller und Humboldt gebildeten Schreibweise und derjenigen ihrer nächsten Nachkommen wollen. Zu jedem Gesetz erlaß ist die Zustimmung des Parlamentes erforderlich, und das Parlament für eine Sprachumänderung ist einzig das gesammte deutsche Volk. Es würfe ein erschreckendes Licht auf die Indo lenz desselben, wenn es sich durch ein Verordnungsblatt über Nacht eines seiner unveräußerlichen Rechte berauben ließe. Selbst verständlich finden sich viele Tausende bereit, auf einen derarti gen Wink von Oben sofort mit verständnißvollem Augenaufschlag auch an ihrer Muttersprache Henkersdienste zu versehen und nach dem Wunsch des Mufti ihr die Glieder zu verrenken, zu hängen, köpfen, rädern und verbrennen. Es gibt eben Leute genug, die auch ein „I-s. lauxus, o'sst moi!" nicht als ein Sakrileg em pfinden, wenn ein bsnolloinm daraus aufsprießt. Und ebenso selbstverständlich wird sich mehr als ein würdevoller Schulrath in staunender Ehrerbietung vor dem großen, geheimräthlichen Schriftevangelium zu Boden geneigt und sich beflissen haben, in seinem untergebenen Wirkungskreise aufs schleunigste die schonungslose Ausrottung jeder mißliebigen Schreibart anzube fehlen. Doch ich bin Gott Lob! noch überzeugt, daß die Mehrzahl unserer Schulmänner — wenn auch nicht Schulleiter — sich nur mit knirschenden Zähnen in den über sie geübten Zwang fügt und ungeduldig, aber zuversichtlich der steten Wiederkehr des Sonnenmorgens harrt, an dem der ganze nächtliche Popanz spuk unter lautem Gelächter der Zuschauer spurlos in den Boden zurückverschwinden wird. Von einer Betheiligung des gesammten übrigen, unabhängigen und nicht augendienerischen deutschen Volks an der Peter-Squenz-Komödie kann selbstbegreiflich nicht die Rede sein — bezeichnend genug dafür erscheint die energische Art, in der Fürst Bismarck selbst sich für seine Kreise die „neue Orthographie" verbeten — und schwer begreiflich ist es mir nur geworden, daß meines Wissens sich bisher keine einzige Stimme laut in der Oeffentlichkeit gegen die Antastung unseres natio nalen Eigenthums erhoben hat. Glaubt man das letztere so sicher geschützt, daß es ausreichend sei, den Ansturm des geheim räthlichen Widderkopfes gegen unser Sprachbollwerk allein durch privaten Spott unschädlich zu machen? Es gibt Vergiftungs stoffe, die außerordentlich langsam und unmerklich wirken, schließ lich aber doch, wenn nichts gegen sie angewandt wird, ihr Ziel, einen Organismus völlig z» untergraben, erreichen. Das Blei, mit dem der Geheimrath Müller oder Schulze den ersten Ent wurf seiner Ausrottungsidee zu Papier gebracht hat, könnte dazu gehören, und mich bedünkt cs als Pflicht des lebenden Schrift stellers, vor zu großer Vertrauensseligkeit in die Nothwendigkeit schließlichen Sieges der Vernunft zu warnen. Wer einigermaßen in den Läuften menschlichen Streber thums Erfahrung gesammelt hat, wird sich nicht darüber ver wundern, daß der geheimräthliche Kehrbesen noch eine Anzahl anderer Wassergeister aus Ritzen und Löchern über unsere Schrift hereingerufen. Allerorten erachten die geborenen „Verbesserer" ihre Zeit für gekommen, betrachten unsere bisherige Schreibweise als einen, durch hohen Urtheilsspruch aufs Rad geflochtenen Leichnam und schwärmen als lautkrächzende Raben um diesen herum. Die liebenswürdigen Vögel verlangen aufs nachdrück lichste nach einem neuen Federkleid für die titanenhafte Bedeu tung ihres Geistes, und als echte Stymphaliden sind sie keines wegs durch das halbe Ausrottungsverfahren des Nihilisten an der Spree befriedigt. Das Getränk muß nicht nur verschüttet, sondern auch das Gefäß zerschlagen werden. So sehen wir denn auch „die Maulwürfe hurtig fortwühlen", um die allgemeine Stimmung gegen unsere deutschen Schriftzeichen aufzuwiegeln und lateinische an die Stelle derselben zu bringen. Sie haben Gründe dafür, nicht nur wie Brombeeren, sondern wie Maul beeren, und ganze Schubkarren voller physiologischer, internatio naler, philologischer, philanthropischer, ästhetischer und tollhäus- lerischer Gutachten obendrein. Es fehlt ihnen absolut an gar nichts, als an deutschem Gefühl und an einfachem Menschen verstand, und — vorläufig noch — an einem Geheimrath, der ein Schuldecret erließe, daß hinfort bei augenblicklicher Relegations strafe kein deutscher Buchstabe mehr geschrieben werden dürfe. Aber ich rathe nach dieser Richtung den Heraufführern des neuen goldenen Zeitalters doch etwas Vorsicht an; man weiß nicht, wenn die Löwin einer neuen großen Verbesserung im Gehirn des Herrn Müller oder Schulze geweckt wird, mit welchem Wurf sie uns beglückt. Möglicherweise könnten die Freunde und Verbrüderer „mit den romanischen Sprachen" doch ein wenig verdutzt wahrnehmcn, daß wir über die ersehnte, lateinische Mittelstufe der Entnationalisirung durch den neuen Ukas in ra pidem Vorschritt gleich zu chinesischen Schriftzeichen gelangt seien. Ich hoffe, auch hierin wird das deutsche Volk noch so viel Selbstbewnßtsein und Ehrfurcht vor seiner Vergangenheit besitzen, daß es nicht ernsthaft Gründe für oder wider die von Vätern ererbte Schrift seiner Muttersprache abwägt, sondern dieselbe als „ungeschriebenes Gesetz" mit dem Herzen behütet. Mag Derjenige, der in die Schachte der Wissenschaft hinuntersteigt, sich aus be^ sonderen, im Uebrigen zumeist auch noch recht fragwürdigen Zweckmäßigkeitsgründen in die sogenannte internationale Gewcrks- kleidung einmummen; oben im freudigen Licht danken wir für das Ansinnen, auch uns sämmtlich mit dieser Bergmannsknappen tracht zu beglücken, die nichts weiter als eine von einigen Schneiderseelen ausgedachte neue Mode ist, um unter der all gemeinen Schablone uns den Rest unserer Volksindividnalität fortzufingcrn. Sie denken: Sitzt nur das fremde Kleid erst auf dem Leib, so geht auch die innere Eigenart rasch den Weg des Fleisches nach. Und sie haben nicht Unrecht; mit einem Schlage hätten sie uns von dem Antäusboden unserer Vergangenheit in die Luft gehoben. Schon das nächstfolgende, in den Schulen mit lateinischen Schriftzeichen aufgesäugte Geschlecht würde mit Mühsal zu kämpfen haben, üm unsere literarische Hinterlassen schaft von Jahrhunderten zu verstehen, bald nach dem Vorbild von „Ai'ueou 8nut, uou IsAnotur" sagen: „das ist unverständ liches Altdeutsch", und die „alten Schmöker" mißächtlich in die Ecke werfen. Es sollte mich Wunder nehmen, wenn der erste „Pater Lamvrmain" dieses hübsch ausgesonncnen Gedankens nicht unter den Collegen der Perle von Meppen zu suchen wäre. Der Heerbann, den die Stimme solcher berufenen Rufer in die Wüste in Bewegung setzt, besteht vorwiegend aus einer erheblichen Anzahl wohlsituirter Leute, deren Hauptbeschäftigung sich an der möglichst genußreichen Verwerthung ihrer Lebens renten abmüht. Darunter finden sich nicht wenige besonders feine Köpfe, welche unablässig auf der Lauer liegen, ob irgendwo die Werbetrommel für eine „Verbesserung" gerührt wird, um sofort den Gassenhaufen hinter derselben zu vergrößern. Manche betreiben dieses Geschäft aus Langeweile, manche als eine Art Sport oder aus Lust an jeglicher Neuerung, die meisten in dem
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