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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 28.07.1908
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1908-07-28
- Erscheinungsdatum
- 28.07.1908
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- Deutsch
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Älber die Kulturbedeutung des Reifens und der Neisebeschreibungen von l)r. Ernst Schnitze, Hamburg-Großborstel. -Mit dem neuen Leben, das einem nach denkenden Menschen die Betrachtung eines neuen Landes gewährt, ist nichts zu ver- gleichen.» Gocthe in der -Italienischen Reise«. Von jeher haben Reisebeschreibungen starken Reiz für die Menschen gehabt. Wer von Abenteuern und Erlebnissen in fremden Ländern zu erzählen wußte, war iin Altertum wie in der Neuzeit, bei Kindern wie bei Erwachsenen eines großen Zuhörerkreises sicher. Das Heldenlied von dem Dulder Odysseus, der viele Meere und Länder gesehen, ist nicht nur eins der frühesten Epen des Menschengeschlechts, sondern übt noch heute ans jedes Gemüt unendlichen Zauber aus. Frühzeitig erkannten manche Völker, daß das Reisen dem einzelnen wie der Gesamtheit Anregung, geistigen und materiellen Gewinn, Nutzen aller Art brachte. Die Phönizier, die auf ihren Handelsreisen die damals bekannten Meere durchmaßen und an völlig unbekannte Gestade vordrangen, haben nicht nur vielbeneideten Reichtum erworben, sondern sind auch Vermittler der Kulturschätze der damaligen Welt geworden. Es gelang ihnen, in ihrer Pflanzstadt Karthago ein Reich zu schaffen, das das ganze Mittelmeer — zu jener Zeit den Mittelpunkt der Erde — beherrschte. Ebenso machten Handelsfahrten und Kolonialgründungen auch die Hellenen in kürzester Frist groß. Ihr materieller Wohlstand stieg schnell zu bedeutender Höhe; mehr noch wurde ihr geistiges Leben durch diese Seefahrten angeregt und schöpfte daraus mannigfache Anregungen, um sich zu der Vielgestaltigkeit, Tiefe und Erhabenheit zu entwickeln, die wir noch heute an ihm bewundern. Die Kreuzzüge des Mittelalters riefen die hohe Kulturblüte des mittelalterlichen Frankreichs und zugleich die Anfänge eigenen Geisteslebens in Deutschland hervor. Die Schiffe Venedigs und Genuas brachten dem Abendlande die Schätze des Orients und stellten ihre Herren in gleiche Reihe mit den Mächtigen der großen Welt. Die Handelsfahrten der deutschen Hansa schufen den deutschen Städten Reichtum und Macht, Bildung und Geistesleben. In gleicher Weise beruht die Kulturbedeutung Hollands, Frankreichs und Englands in den letzten Jahrhunderten zum großen Teil auf ihren überseeischen Fahrten, die ihren Bürgern neben dem Aufschwung kaufmännischen Lebens auch eine Befruchtung der Kunst, der Literatur, der Wissenschaft brachten. Aber nicht nur die Völker gewinnen durch Reisen äußeren und inneren Vorteil — der einzelne zieht fast noch größeren Gewinn daraus. Die Erziehungsreisen der Prinzen und junger Edellente seit dem sechzehnten Jahr hundert sind für ihre Bildung von unendlicher Bedeutung gewesen; in ihren Wurzeln gehen sie bis auf die Kreuzzüge zurück. Die britische Reiselust, von dieser Sitte stark genährt, hat dem ganzen englischen Volke einen Anstrich des Welt männischen und Weltbeherrschenden gegeben. Gerade von den größten Geistern ist oft ausgesprochen worden, welchen alle Tiefen aufwühlenden Einfluß Reisen auf die Bildung des einzelnen ausüben können. Goethe zählte von dem Tage, da er Rom betrat, »einen zweiten Geburtstag, eine wahre Wiedergeburt«. An einer anderen Stelle der »Ita lienischen Reise« sagt er: »Hat man sich nicht ringsum vom Meere umgeben gesehen, so hat man keinen Begriff von Welt und von seinem Verhältnis zur Welt«. Was bedeutende Menschen in fremden Ländern ge sehen haben, hat ihren Geist vielfach so in Anspruch ge nommen, daß sie wie unter einem Zwange standen, bis sie ihre Beobachtungen und Ansichten niedergeschrieben und der Öffentlichkeit übergeben hatten. Einige der prächtigsten Bücher der ganzen Weltliteratur sind auf solche Weise entstanden. Die unendliche Fülle der Literatur der Reisebeschreibungen enthält natürlich auch manche weniger wertvolle und unendlich viele wertlose Werke. Indessen ist sie reich genug an denkwürdigen und schönen Büchern, die uns zeigen, wie sich die Einrichtungen und Sitten eines fremden Volkes in einer feinen und klugen Seele spiegeln. Vielfach kann gerade der Fremde, der mit offenein Blick und mit gespannter Aufmerksamkeit ein Volk bei seiner Tätigkeit wie bei seinen Vergnügungen beobachtet, ein viel richtigeres Urteil fällen als der Inländer selbst. Wirklich sind fremden Beobachtern unzählige wichtige Verbesserungs vorschläge zu verdanken. Auch im übrigen sind der Austausch von Kulturgütern und die gegenseitige Befruchtung der Kulturen mit An regungen und Gedanken oft genug Reisen und Reisenden zu danken. Welche ungeheure Ausbreitung hat der Handels verkehr zwischen allen Völkern des Erdballs dadurch erfahren! Welcher staunenswerte Austausch der materiellen Kultur güter ist dadurch hervorgerufen worden! In Europa würden Tee und Kaffee, Kartoffel und Tabak, viele Obstsorten und Bäume unbekannt sein, Amerika würde keine Pferde, keine Rinder, keinen Weizen haben, wären sie nicht durch Reisende und Ansiedler dorthin gebracht worden. Und wie hat sich nun gar die Weltanschauung der modernen Völker durch Reisen verändert! Die Entdeckungen des Columbus gaben der Menschheit zum erstenmal die Sicherheit, daß die Erde wirklich eine Kugel ist. Sie schlossen einen neuen Weltteil von riesiger Ausdehnung auf, dessen Besiedelung durch die weiße Rasse der europäischen Auswanderung der letzten Jahrhunderte ein weites Tor öffnete. Zugleich schufen sie der Wissenschaft eine reich sprudelnde Quelle neuer Beobachtungen und boten ihr zahl lose Anregungen für das Nachdenken über Sitten und Ge bräuche, über die Formen des Zusammenlebens der Menschen, über die Erscheinungen und Gesetze der Natur. Die Gesamtheit der Reisen hat den Gesichtskreis der Menschheit außerordentlich erweitert. Man sah, daß die Beobachtungen, die man zu Hause in der seit alters her gewohnten Umgebung gemacht hatte, von denen in anderen Teilen der Welt völlig abwichen. Unter fremden Breiten fanden die Reisenden einen anderen Sternenhimmel, sie sahen Tiere und Pflanzen, die in ihrer Heimat unbekannt waren, sie lebten unter den kräftigenden oder entnervenden Einflüssen eines abweichenden Klimas. Die Sprachen der Menschen, auf die sie trafen, waren ihnen fremd; ihre Sitten und Gebräuche, ihre Religionen und ihre Toten bestaltung, ihre Art, sich zu kleiden und sich zu nähren, erregten ihr lebhaftes Erstaunen; bald wurde dieses vom wissenschaftlichen Forschungseifer abgelöst. Kehrte der Reisende nach Hause zurück, so wußte er so viele absonderliche Dinge zu erzählen, daß ihm die daheim Gebliebenen mit höchster Verwunderung lauschten. In der Einförmigkeit des Lebens von Menschen, die nie über ihren engeren Umkreis hinausgekommen waren, mußten solche Schilderungen wie ein starker, berauschender Wein wirken. Ganz neue, für unmöglich gehaltene Dinge wurden hier be richtet, die alte Vorurteile über den Haufen warfen, neue Begriffe ins Leben riefen, den Gesichtskreis erweiterten. Wer sich dadurch zum Nachdenken anregen ließ, dessen Welt anschauung mußte, wenn auch unmerklich, dadurch verändert werden. Die Art, wie sich Natur und Welt, die Bedeutung
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