Suche löschen...
Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 21.09.1870
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1870-09-21
- Erscheinungsdatum
- 21.09.1870
- Sprache
- Deutsch
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id39946221X-18700921
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id39946221X-187009216
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-39946221X-18700921
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungBörsenblatt für den deutschen Buchhandel
- Jahr1870
- Monat1870-09
- Tag1870-09-21
- Monat1870-09
- Jahr1870
- Links
-
Downloads
- PDF herunterladen
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
2974 Nichtamtlicher Theil. JZ 217, 21. September. Die Kolportage-Literatur läßt den Sortiments-Buchhändler ganz links liegen. Der Verleger, als der Fabrikant, wendet sich über die Köpfe der Sortimenter, als der Commissionäre und Wiederver käufe, hinweg direct an das Publicum; und zwar an ein Publicum, das bis dahin für den Buchhandel eigentlich noch gar nicht eristirte, an die große Masse, an die untern Schichten des Volks, die früher Bücher kaum dem Namen nach kannten, geschweige denn, daß sie solche kauften. Mit einem Worte: die Colportage-Literatur mußte sich ihr Publicum erst schaffen. „Die Menge thuts, die Menge muß es bringen!" lautet der Wahlspruch der Colportage-Literatur; sic hat stets die große unge schiedene Masse im Auge: Mann und Weib, Alt und Jung, und sie speculirt auch auf den Aermsten; daher producirt sie massenhaft und anscheinend — spottbillig. Was sie bringt, muß vou vorn herein auf die allgemeinste Theilnahmc rechnen können, den bequemsten compactesten Genuß versprechen; und deshalb ist der stehende, der hauptsächlichste Artikel der Colportage-Literatur der — Roman ge worden. Sic cultivirt, wie gesagt, auch mancherlei andere Formen der Unterhaltung, der Bildung und Halbbildung, aber doch nur nebenbei: immer ist und bleibt der Colportage-Roman das Haupt- sabrikat, weil er die gangbarste Waare bildet. Es eristiren gegenwärtig allein in Berlin wohl über zwanzig Firmen, die sich fast ausschließlich mit dem Verlag von Colportage- Romanen beschäftigen, und alljährlich gegen hundert solcher Romane drucken lassen. Dazu die gleichartigen Verleger in Sachsen, Süd- dcutschland und namentlich in Oesterreich, wo die Colportage neuer dings einen besonders reichen Flor treibt, und man darf Wohl ohne Uebertreibung behaupten, daß in Deutschland Jahr für Jahr etwa fünfhundert Colportage-Romane das Licht der Welt erblicken. Ja, die Concurrenz ist bereits eine große, ganz enorme, und deshalb sind von Seiten jedes einzelnen 'Verlegers die gewaltigsten Anstrengungen nothwendig. Schon der Prospect des neuen Romans, welchen er von Haus zu Haus tragen, in jede Wohnung, vomKeller- bis zum Dachgeschoß, werfen läßt, nicht selten in einer halben Million von Exemplaren über Stadt und Land ausstreut: schon dieser Prospect ist eine Art von Preisaufgabe, muß ein Meisterwerk sein. Er muß die hinreißendste Beredsamkeit, den pompösesten Styl, die blumigste, bilderreichste und farbenglühendste Sprache entfalten; er muß noch nie Dagewescnes versprechen und alles bisher Dagcwesenc in Schatten zu stellen wissen. Er wird allerdings auch in ziemlich stereotyper Form, nach einem durch die Erfahrung bewährten Receptc angefertigt; als Hauptingredienz dürfen gewisse Krastworte und er schütternde Wendungen wie: Giftbecher, Todsünden, Kirchen schändung, Folter und Scheiter Haufen, Nacht des Wahn sinns, grauenvolles Grab, blutiges Gespenst, entsetz liches Gerippe, Teufel in Menschengestalt, Höhlen der Verbrecher, Onalen der Unschuld, königlicher Tiger, mord lustige Katze -c. rc. nie fehlen; und andererseits wieder auch idyllische, zarlpoetische und glühendsiunlicheWortbilder, wie: Wald stille, Meeresbrauscn, duftende Citronenhainc, blü hende Pomeranzenwälder, Engel des Friedens, Tri um pH derLiebe, üppige Schön heit, verlock ende Reize, siedendes Blut, berauschender Genuß rc. rc. keineswegs ver gessen werden: — wie gesagt, die Ingredienzien stehen fest; doch die Kunst der Mischung läßt der Intelligenz des Verlegers einen weiten Spielraum, gibt ihm Gelegenheit zu zeigen, ob er Talent und Genie besitzt. Das aber hat vor allen anderen Collegen ein Ber liner Buchhändler bewiesen, der im Colportage-Roman gegenwärtig auch das Hauptgeschäft macht. Seine Prospecte stehen bis jetzt un erreicht da, sie lesen sich wie eine Art von Gedicht und sie sind mit unverkennbarer Begeisterung, voll Stolz und Freude ob der von ihm ongekündigten Werke geschrieben. Man höre z. B. folgenden Eingang: Die Geheimnisse einer Weltstadt oder Sünderin und Büßerin. Roman von George Born. Leserin, tratest Du je aus süßer Stille der Waldeinsamkeit hinaus an den Strand des brausenden ^Meeres, schlug je an Dein Ohr das gewaltige Rauschen der vom Sturm erregten wildempörten Wogen, sieh so, kommst Du zumal aus einem kleinen Orte, so erscheint Dir auf den ersten Anblick, bei Deinem ersten Eintritt das Leben und Treiben der lärmenden Straßen einer Weltstadt. Bitte, tritt jetzt an meiner sichern, erfahrenen Hand in sic hinein und öffne die Blätter der ersten Hefte des gewaltigen, in allen Landen, so weit die deutsche Zunge klingt, mit höchster Spannung erwarteten Werkes: „Die Geheimnisse einer Weltstadt oder Sünderin und Büßerin." — Sie enthüllen Dir Alles, was Deine Neugier und Wißbegier reizen mag: Die sieben Todsünden von Teufeln in Menschengestalt, die Heldennaturen, die Leidenschaften in den Hütten der Armen, in den Höhlen der Verbrecher, in den Palästen der Mächtigen; ja, alle Geheimnisse dieser Erde mit ihren wunderbaren Schätzen schaust Du hier, in sie alle wirst Du in dem einzig dastehenden Werke: „Die Geheimnisse einer Weltstadt oder Sünderin und Büßerin" völlig neu eingewciht! Wie man bemerken wird, sind die Kraftstellen, um ihr Gewicht deni Leser ans Herz zu legen, stets mit gesperrter Schrift gedruckt. Noch lockender und ergreifender dünkt uns ein anderer Prospect desselben Verlegers, in welchem er alle möglichen Instrumente: Flöten und Geigen, Drometen und Pauken erklingen läßt, und der also beginnt: Die schöne Creolin oder Herrin und Sklavin. Historisch-romantische Erzählung von Ernst Pitawall. In drei Welttheilen spielend entrollt uns dieser neueste Rdman Ernst Pitawall's in farbenreichen Bildern ein großartiges Gemälde der schwarzen und der weißen Sklaverei. — Auf weichem Pfühle ruht hier die schöne Creolin, die Gluth der Trope nmhaucht ihr Antlitz; denn sarbenprangcnd ist der Süden und heiß das Blut und verzehrend die Leidenschaft; doch sie, deren Winke unzählige Schwarze gehorchen, ist trotz der Pracht ihres Reichthnms nicht glücklich — ein Wurm nagt an ihrem Herzen, während sie der Sklaven, der Gefolterten Elend schaut; ach, und es graut ihr vor her Rache der Schwarzen, die da kommt unerwartet, plötzlich, grausam — und unerbitt lich, unaufhaltsam an sie hcrantritt. — Dort aber, geraubt von der heißen Küste Senegambiens, sehen wir den Neger als Sklaven arbeiten in den Zuckerrohr-Plantagen des Amerikaners; mit roher Hand entreißt der Pflanzer dem armen Nigger das schwarze Weib, die Sklavin gehört ihm, ihr Leib ist sein, aber nicht ihre Seele, und sie flieht, von Bluthunden gehetzt, dahin in die Wildnitz, wo der Jaguar brüllt und die schöngefleckte Schlange zischt unter dem duftigen Laub der blühenden Vanille.— Doch durch die Nacht tropischer Leiden schaft beider: der Creolin wie der Schwarzen, der Sklavin, leuchtet ein Stern, hell und klar und glänzend wie am Himmel das Bild des südliche» Kreuzes — das ist die Liebe, die kühne feurige, aber auch milden Sonnenschein spendende Liebe, die da versöhnend hineingreift in das Chaos der sich cmporthürmenden Gewitter, der gewaltig tobenden Stürme, des blitzschnell dahinranschenden Orkans. Schon der Prospect, die bloße Geschichtserzählung muß sich wie der Roman selber anhören, den Leser in die größte Spannung ver setzen, also daß er nicht widerstehen kann, auch wenn er von vorn herein nicht die geringste Neigung in sich verspürt, daß er flugs Feder oder Bleistift ergreift und auf das „einzig dastehende Werk" sub- scribirt. Um diese, wie der Prospect in der Regel feierlich versichert, „athemlose", „unheimliche", „haarsträubende" Spannung nicht be zweifeln zu lassen, werden stets einige Kapitelüberschriften aufgcführt, die, wie der Dvppeltitel des Romans selber, in der Seele des Lesers ein mehr oder minder starkes Gruseln erwecken müssen. Alle Col- portage-Romane tragen nämlich Doppeltitel, und was die Phantasie der Autoren rcsp. der Verleger schon in diesem Artikel zu leisten ver mag, ist wahrhaft erstaunlich. Z. B. „Der rothhandige Hugo, oder die tanzenden Leichen auf dem Rabenstein"; „Das Äuge der Basi lisken, oder die Nire auf dem blutigen Moor"; „Der Hölleugraf, oder der Schwur des Geweihten"; „Das schöne Mädchen von Samos,, oder die Schreckensnächtc in den Gefängnissen der sieben Thürme zu Konstantinopel"; „Amerika'sKinder derHölle und die finstern Geister Europa's, oder der Kampf um Menschenrechte", und viele andere mehr. Ebenso athmen auch die Kapitelüberschriften Spuk und Blut,
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder