Suche löschen...
Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 06.06.1899
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1899-06-06
- Erscheinungsdatum
- 06.06.1899
- Sprache
- Deutsch
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id39946221X-18990606
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id39946221X-189906062
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-39946221X-18990606
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungBörsenblatt für den deutschen Buchhandel
- Jahr1899
- Monat1899-06
- Tag1899-06-06
- Monat1899-06
- Jahr1899
- Links
-
Downloads
- PDF herunterladen
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
4128 Nichtamtlicher Teil. 128, 6. Juni 1899. Litteratur zu durchblättcrn, die im besten Sinne des Wortes verlockenden Ersatz für die bescheidene Ausgabe von 8» z Pfennig für das Bändchen bieten. Unter dem vom Redakteur W. T. Stead hcrausgegebenen »Penny-Dichtern« finden sich Bändchen, die jedes ein vollständiges Schauspiel von Shakespeare oder eine Auswahl von Dichtungen von Milton, Byron, Keats, Wordsivorth, Shelley, Longfellow, Burns u. a. enthalten. Hat der englische Arbeiter in seiner Schulzeit einzelne dieser Namen gehört oder vielleicht einige Verse aus einem oder dem andern ihrer Meisterwerke auswendig gelernt, so kann er sich jetzt im Handumdrehen in einigen ledigen Minuten für einen Penny — weniger als den Preis für ein Glas Bier — ein kleines, sauber gedrucktes und hübsch aus gestattetes Oktavheft von etwa 60 zweispaltigen Seiten mit einigen der besten Werke jener Meister erwerben. Hat er eine Frau, die gute Romane liebt, so kann er ihr für die gleiche, so mäßige Ausgabe z. B. Charles Kingleys »Hypatia«, Mrs. Gaskells »Mary Barton«, Charlotte Brontös »Jane Eyre« oder Hawthornes »Scarlet Letter« mit heimbringen - zwar in Gestalt einer Reihe längerer Auszüge, doch aber von »Kostebissen« besserer Sachen als die für Dienstmädchen und Laufburschen eigens berechneten Sensationsnovclletten. Ja Herr Stead hat in seinem rühmlichen Eifer, das englische Volk mit einer vielseitigen Penny - Litteratur zu versorgen, nicht einmal die Kinderstube vergessen. Unter seinen künst lerisch-illustrierten kleinen Kinderschriften finden sich Aesops Fabeln, Teile aus Grimms Märchen, lustige englische Kinder- stubenverschen und ähnliche klassische Kinderlitteratur, die bisher außerhalb der vermögenden und gebildeten Klassen kaum bekannt war. Daß wir modernen Menschen uns besser als unsere Vorfahren auf Kinder verstehen, geht schon aus unserer bildenden Kunst- und Erziehungslittcratur hervor, und es ist ein keineswegs unwichtiges Ding, daß die niedern Gesellschaftsklassen an diesen: schönen Knlturfortschritt Anteil erhalten. Ohne dieses wahrhaft demokratische Verkaufssystcm würden die englischen Penny-Bücher den Weg zu ihren Käufern sicher lich nicht finden und folglich überhaupt nicht hergestellt werden können. Daß sie ihren Verlegern noch Gewinn bringen, hat jedoch auch andere mitwirkende, für ein gewaltiges Handels- vvlk recht bezeichnende Ursachen. Nicht am unwichtigsten unter diesen ist die Tendenz des Annoncierungswesens, die Herstellungskosten aller auf Massenverbreitung berechneten Druckerzeugnisse herabzusetzen. Die großen Morgenzeitungen Londons erzielen ja ihren ungeheuren Verdienst hauptsächlich durch die Tausende gut bezahlter Annoncen in jeder Nummer. In England verwenden Fabrikanten und Kaufleute jährlich erstaunliche Summen auf Zeitungsanzeigen aller Art, und sicherlich entfällt der größte Teil der vielen Millionen Mark, die in London Jahr für Jahr für diesen Zweck ge opfert werden, auf die Bezahlung gedruckter Anzeigen in Zeitungen, Wochen- und Monatsschriften, sowie in Broschüren und Büchern — besonders natürlich in Broschüren und Büchern, die »kor tbs Million« berechnet sind. Die niedrigen Herstellungskosten dieser Druckwerke werden folglich zum großen Teil oder gänzlich durch die auf den Umschlag ge druckten oder bündelweise vor oder nach dem Texte ein- gehefteten Annoncen ersetzt. Schlägt man ein Heft von Steads »Penny-Dichtern« ans, so sicht man, daß Fabri kanten von Seife, Kakao, Stärke, Regenröcken, Abführmitteln, Brillen, Kindernährmitteln u. s. iv. die Gelegenheit, darin zu annoncieren, benutzt haben. Es giebt große Fabrikanten, die sogar ihre eigenen »Penny-Klassiker für das Volk« nur zu dem Zwecke, Annoncen ihrer Waren auf dem Umschlag anzubringen, Herausgeber: — eine Art Annoncen, die man nicht zu verschenken braucht, denn das Publikum ist gutmütig genug, dafür noch zu bezahlen. Eine Menge Kurzwaren- in London locken die Leute in ihre Läden nur dadurch, daß sie für wenige Pence saubere Abdrucke guter älterer Romane liefern, die natürlich an der Innenseite des Einbands mehrere besondere Blätter mit den Annoncen der Firma enthalten. Propagandalitteratur. Die bisher erwähnte englische Volkslitteratur hat, wie so viele andere Litteratur, den Zweck, kommerziell gewinn bringend zu sein. Die betreffenden Schriften sind in: all gemeinen nicht erst besonders verfaßt, sondern den älteren Litteraturschätzen der Nation entnommen und können deshalb zwar in hohem Grade allgemein bildend sein, sind aber doch nicht geeignet, geordnete Elementarkenntnisse auf einem be sonder:: Wissensgebiete zu vermitteln oder die politische und allgemein soziale Aufklärung des modernen Mitbürgers zu fördern. Den Bedarf an einer solchen hat man auf ge wöhnliche Buchhandelsweise durch eine Menge meisterhafte, von englischen Gelehrten und Technikern bearbeitete volks tümliche Handbücher zu decken gesucht. Diese sind oft der Band für einen Schilling käuflich, und bei den fortlaufend erscheinenden Serien begegnet man auch noch niedrigeren Preisen — so z. B. bei einer vortrefflichen populär-wissenschaft lichen Serie, deren sauber gebundene, reich illustrierte Bände in Kleinoktav und von etwa 200 Seiten nur neun Pence (75 Pfennig) kosten. Wie billig diese Bücher im Verhältnis zu ihren: Inhalt und ihrer guten Ausstattung auch sein mögen, so kosten sie doch zu viel, als daß sie unter den eigentlichen Arbeitern eine wirkliche Massenverbreitung er langen könnten. Handelt es sich in England darum, den Volksmassen bestimmte klare Kenntnisse auf dem Gebiete des politischen und sozialen Lebens beizubringen, so sind es stets Organi sationen mit besonderen Partei-Interessen und Lehrsätzen, die die Sache in Gang bringen und gegebenen Falles Geld und Kräfte für diesen Zweck opfern. Ein Bestreben, dem eng lischen Volke völlig unparteiische und rein theoretische Ein sicht in feine politischen Rechte und Pflichten, sowie in den Aufbau des Genreinwesens und die sozialen Lebensbedin gungen seiner Zugehörigen durch Penny-Litteratur zu ver mitteln, entdeckt man nur hier und da und dann stets als Ausnahmeerscheinung in der Parteilittcratur selbst. Die Engländer sind politisch und sozialökonomisch zu vollblütige und praktische Menschen, um eine platonische Vorliebe für sogenannte politische und soziale »Wahrheiten« zu hegen. Was für den konservativen Bodenfürsten und seine sozialen Parasiten bis zum fünften und sechsten Glicde eine politische Wahrheit ist, das ist eine politische Lüge für den liberal-radikalen me chanischen Arbeiter, der sich als Bodensvzialist den Boden fürsten und als treckes unionist dem Großkapitalisten — einfach aus wohlverstandenem Parteiinteresse — gegenüber- stellt. Der sozialökonomische Klassenkampf ist jetzt zwar sehr gesittet und im gesetzlichen Sinne friedlicher Art — es fehlt deshalb daran aber nicht. Die großen konservativen und liberalen Parteiverbände haben ihre »Litteraturabteilungen« mit Hunderter: von Flugblättern und Broschüren, die bei jeder Wahlgelegenheit unentgeltlich verteilt werden. Sie lassen auch eine Menge gediegener Sachen drucken — wie Anleitungen zun: Gebrauch der bürgerlichen Rechte unter neuen Gesetzen, z. B. llbs I-oes.1 Oovsrvment ö.et —, die für einen Penny oder wenig darüber verkauft werden. Die Verteilung dieser Litteratur erfolgt natürlich teils durch Wahlagenten und die that- kräftigeren Mitglieder der politischen Verbände, und teils bei Wahlversammlungen und überhaupt bei politischen Zusammen künften jeder Art. Die so häufige Veranstaltung solcher in England ermöglicht es, daß derartige Litteratur den Lesern, für die sie bestimmt ist, in die Hand kommt. Verteiler und
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder