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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 07.09.1899
- Strukturtyp
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- Band
- 1899-09-07
- Erscheinungsdatum
- 07.09.1899
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- Deutsch
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208, 7. September 1899. Nichtamtlicher Teil. 6377 oft genug hören. Im traulicheren Gespräch oder Briefwechsel geht auch der gebildete Engländer, wenn ihm Herzens einfachheit geblieben ist, gern auf den germanischen Stamm seiner Sprache zurück, vr. Johnsons lateinisierte Schreib weise ist überhaupt nicht mehr so sehr im Schwange, wie früher. Mancher neuere englische Schriftsteller hat sich reinerer Sprache befleißigt. Wie es aber fortwährend steht, wenn etwa zu wissenschaftlichen Zwecken neue Ausdrücke geschaffen werden sollen, davon sind mir manche schlimme Fälle vorgekommeu. Als vor Jahren im »Verein für Volks kunde« betreffende Ausdrücke der deutschen Fachwissenschaft übersetzt werden sollten, wandte man sich deshalb an mich, nachdem englischerseits an der Aufgabe verzweifelt worden war. Allein vieles ließ sich eben doch nicht im Englischen schaffen, und man behalf sich mit dem deutschen Worte. Die englische Sprache hat an Zeugungskraft zu große Einbuße erlitten. Wer des Englischen wirklich mächtig ist, der weiß, daß infolge des Absterbens der Beugungs- und sonstigen Formen oft bedenkliche Unklarheit entsteht. Wenn wir von dem Sohne einer Witwe sprechen, der ein Geschäft führt, so ist das ganz deutlich. Aber »tüs sou ok a n-ickov ^vllo oou- ckuots a busirwW« läßt uns im Zweifel, ob er oder die Witwe das Geschäft führt. Ist es der Sohn, so muß man beim Schreiben einen Beistrich nach »vickov« setzen. Ist es die Witwe, so bleibt der Beistrich weg. Nun kann man aber beim Reden doch kein Komma sprechen. Viele sind aber in England in Sachen der Scheidezeichen sehr schlecht beschlagen. Da ergeben sich Dunkelheiten, und man muß brieflich oder mündlich wieder fragen. Reden wir von einem Vetter und einer Base oder recht hübsch französisch von einer Cousine, so ist das auch klar; ebenso wenn wir eines Freundes oder einer Freundin erwähnen. Im Englischen ist sowohl der Vetter als auch die Base »a oousiu«, der Freund und die Freundin »it kriouär. Da hat man denn immer wieder zu fragen, ob Mann oder Weib gemeint ist. Wenn wir das weibliche Geschlecht durch Anhängung von »in« leicht bezeichnen, so kann man das im Englischen nicht. Der Bär und die Bärin müssen, etwas drollig, als »Er-Bär« (üs-bsar) und »Sie-Bär« (süo-bsar), der Geißbock und die Ziege als »Er- Geiße« und »Sie-Geiße« kenntlich gemacht werden. Doch es würde zu weit führen, all die Verluste zu nennen, die das Englische, nicht zum Vorteile der Klarheit oder Schön heit, erlitten hat. Viele aus ganz verschiedenen Wurzeln stammende Wörter sind überdies durch Verwitterung der maßen zerrieben worden, daß sie im Ton und in der Schrift jetzt gleichlautend, in der Bedeutung aber natürlich immer noch verschieden sind. Da muß man gelegentlich auch zweimal lesen, ehe der Sinn deutlich wird. Die arme deutsche Sprache! Zur Zeit Friedrichs des Großen, von dessen Thron die deutsche Muse schutzlos, un- geehrt ging, der das Nibelungenlied für »keinen Schuß Pulver wert« erklärte und Deutsch noch weit schlechter schrieb als Französisch — ja, wahrlich, unsere geringe Muttersprache verpaßte damals eine admirable Chance. Sie approchierte ja einst einer brillanten Periode, wo sie des inkomparablen Honneurs zu partizipieren schien, zu der sublimen Dignität einer melierten Langue eleviert zu werden. Schon der Tannhäuser hatte im Mittelalter dafür vor gearbeitet. Er schantierte von der Tschoie, die er als Dulz amis von Frauen empfand. Er schritt an rivitzren vorbei und durch planiuren, hörte die Nachtigall toubieren; da mußte natürlich auch er parlieren. Bei der Fontane sah er die schöne creatiure, die Süße von faniure. So lauteten des Tann- häusers parolle, wenn er von amüre schantierte und die Liebste salvierte. k«chru»dlich,lafttt Jahr,an». Als uns später die unsägliche Ehre zu teil ward, im dreißigjährigen Kriege von verschiedenen fremden Heeren auf den Bauch und in den Boden getreten zu werden, da blühte der Versuch, aus Deutsch eine Mischsprache zu bilden, noch schöner empor. Leider wurde dann eine Anzahl Schrift steller und Dichter, von denen manche nicht einmal besonders vaterländisch dachten oder fühlten, von der »nationalen Marotte« des »teutsch gesinnten Purismus« (was wir in unserer Einfalt Sprachreinigung nennen) ergriffen; und so blieb uns das lästige Erbteil einer nicht genügend ver- kauderwelschten Zunge. Jetzt hätten wir — so lautet die akademische »Parolle« von Berlin — nichts Eiligeres zu thun, als Englisch, die kommende Weltsprache, auf den Schild zu erheben und unser bißchen Deutsch, weil es in seinen Beugungsformen noch nicht genügend verwittert und allzu germanisch ge blieben ist, an den Nagel zu hängen. Indessen, man gedulde sich doch ein wenig. Im Zeitungsdeutsch, wo die Misch sprache wieder so hübsche Fortschritte macht, kann man ja schon von den »Fluten des Neckar oder des Rhein«, sogar von der »Reise des Kaiser« lesen, auch von den »Eiern des Kibitz« u. dgl. m. Da, wie man uns belehrt, »der Drang nach nationaler Einigung gestillt ist« — nämlich unter Ausschließung unserer alten österreichischen Lande —, so ist unsere nächste Auf gabe als »Weltnation«, einem ausländischen Volke sprachlich die Bahn zur Weltherrschaft zu ebnen. In Anbetracht, daß Amerika, wie hinzugefügt wird, und Großbritannien samt Ansiedelungen (Pardon: Kolonieen) ohnedies einen un geheuren Einfluß auf die Ereignisse der Welt üben, so ver steht sich die genannte Pflicht für den Deutschen von selbst. Handelte er anders, so würde er sich eines kleinlichen »natio nalen Chauvinismus« schuldig machen. So lehrt, wenn die Berichte in verschiedenen Blättern genau sind, der Geheime Rat Professor vr. Diels von der Akademie der Wissenschaften zu Berlin zu Ehren Leibnizens. O, Lessing, Goethe, Schiller und wie ihr alle heißt, verhüllet euer Antlitz — ihr, die ihr noch so ziemlich »puristisch« Deutsch schriebet! Ich weiß, was Jacob Grimm einst über das Englische sagte. Bei aller Verehrung dieses Meisters der Sprachsünde kann ich ihm darin ebensowenig beipflichten, wie in seinem Versuche, uns unter das Römerjoch der Lateinschrift zurück zuzwingen und alles wieder mit kleinen Buchstaben zu schreiben, sogar im Anfang eines Satzes, wodurch das Lesen und das Verständnis gewiß nicht erleichtert wird. Gleichviel, wie die deutsche Schrift entstanden ist, mir dünkt sie schöner und sozusagen wärmer anheimelnd, als die starre, gerad linige Lateinschrift. Die deutsche Schrift ist, wie die gotische Baukunst, dem Baumwuchse vergleichbar. Zumal deutsche Dichtung in der kalten, starren lateinischen Schrift ist mir schwer erträglich. Ich habe dies Gefühl stets gehabt, seit der Zeit, wo ich auf der Hochschule Gotisch, Alt- und Mittelhochdeutsch und Niederdeutsch trieb; und dies Gefühl will nicht weichen. Man sagt wohl: die deutsche Schrift sei ursprünglich gar keine deutsche. Aber ist denn die Schrift der Römer und der Hellenen nicht auch aus anderer Schrift erwachsen? Für den Deutschen geziemt es sich natürlich, nur das ganz Fremde zu schätzen. Sonst ist es ja »nicht weit her«. Zur Weltschrift, wie man's nennt, werden sich weder die Russen noch die Griechen herbeilassen. Die Griechen können es auch kaum, ohne ihre Sprache zu schädigen. Für den deutschen Michel jedoch ist die Annahme der Latein schrift verbindlich, selbst auf die Gefahr hin, daß das kom mende Geschlecht die früheren Bücher gar nicht mehr zu lesen vermöchte. Oder soll unser ganzes Schrifttum auf Reichskosten umgedruckt werden? 849
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