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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 23.11.1881
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1881-11-23
- Erscheinungsdatum
- 23.11.1881
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- Deutsch
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5310 Nichtamtlicher Theil. ^ 270, 23. November. Gemeinde besitzt, ist ein Zeugniß für das Walten geheimer Kräfte in dem Volksleben. Unter seinem Banne stehen neben Anderen auch Viele, die das Prädicat „Bildung" nicht missen mögen. Zu den ursprünglichen Empfindungen, deren sich auch der verfeinerte Bewohner einer große» Stadt nicht entäußcrt hat und schwerlich jcnials entäußern wird, gehört auch das grnselnde Gefallen an ruchlosen Thaten. Freilich sind die Nerven eines eifrigen Zeitungslesers gegen die sich bis zur Trostlosigkeit wieder holenden Schaudergeschichten ziemlich abgestumpft und es wider strebt der zeitgemäßen Empfindelci, dieselben aus rohgemalten Tafeln dargestellt zu sehen; nichtsdestoweniger hat der Leierkastenmann und Träger einer blutumflossencn Schrcckenstafcl mit seinen Liedern auch für den „Verwöhnteren" einen eigenen unsagbaren Reiz, in ähnlicher Weise, wie auch sein spaßiger Gesell, das Kasperle der Puppen komödie. Denn mit der kindlich zu nennenden Theilnahmc an beiden Gestalten verbindet sich eine, sei's auch ungewisse, Er innerung geschichtlicher Art; hier der Hanswurst der alten Volks dichtung, dort der letzte Sproß der fahrenden Sänger des Mittel alters. Der letztere aber weiß gar wohl, daß ihn in den meisten Fällen nur ein polizeiliches Gebot den „Bauern" zuweist. Für Hunderttausende unseres Volkes bilden seine „Morithatcn-Licder" oder seine Gesänge vom unseligen Geschicke Treuliebcnder will kommene Lesung, die Quelle mancher neuen Volkslieder, darunter solche von nicht geringem Werlhc, und alle Goldschnitt-Lyrik und -Epik wiegt in ihren Kreisen den Eindruck einer einzigen „Mori- that" kaum hinreichend auf. Den ländlichen Besuchern der Jahr märkte und Kirmsen, namentlich ihrer gcmülhstieferen Hälfte, ist das „Lied" des Bänkelsängers noch immer unentbehrlich; nicht selten findet man in den Truhen der Landmädchcn von Groß mutter und Mutter her übererbtc Bündel besonders „schöner", d. h. schreckhafter oder rührender Berichte. Mit großer Pietät, welche zugleich für die Unmittelbarkeit der Ucberlicserung zeugt, haben die gegenwärtigen Erscheinungen die alte Form nach innen und außen bewahrt. Zwischen einem Titel wie: „Einseitige, kurtzc, warhafftige, schreckliche, unerhörte Uistoriao rc. rc.", der einem Schriftchen aus der Mitte des 17. Jahrhunderts entstammt, oder demjenigen eines gleichzeitigen Opusculums: „Ein Schön, new Licdt, genandt das Vogel gesang. Im thon: Wer singen kann heb mit mir an", und andrerseits den Aufschriften moderner Erzeugnisse, z. B.: „Wahrhaftige Beschreibung des neuesten ent setzlichen Erdbebens in Südamerika, wodurch die Stadt Cucula zerstört worden ist rc. rc." oder: „Acht schöne neue Lieder. Das Erste: Im Walde. Mel.: Ich wollt' zu Land ausreiten" — ist nur ein unwesentlicher augenfälliger Unterschied. Und doch liegen volle dreihundert Jahre zwischen den Entstchungszeitcn dieser und jener Producte. Aber nicht bloß in den Titeln ist die einzige Aehnlichkeit des Acußern zu finden: auch die eine jegliche Schreckensthat in ost recht zweifelhafter Symbolik ver sinnbildlichenden Holzschnitte stehen ganz im Charakter der an gedeuteten Verwandtschaft; sehr oft bleiben die neueren Leistungen hinter den älteren Vorbildern weit zurück. Und ein Cultur- historiker späterer Zeit, welcher geneigt sein könnte, unser ganzes Volksleben im Lichte der herrschenden allgemeinen Bildung zu betrachten, mag staunen über den sich ihm nach dieser Seite offenbarenden Gegensatz. Kräftige, wirkungsvolle Klarheit der dargestelltcn Scencn ist dem Zeichner erste Bedingung. Gezückte Dolche, geschwungene Henkerbeile, Leichen- und Kerkerbilder der jammervollsten Art sind seine Vorwürfe, irgend welche Beobachtung der Perspective oder Linienreinheit ist ihm Nebensache. Durch die Ausführung des Schnittes in einer Art negativer oder Schiefertafel- und! Schattenrißmanier erleichtert sich der Holzschneider seine Arbeit nach Kräften. Manche der Illustrationen lassen auf langjährigen Dienst schließen. Auch der Inhalt, die ganze Erzählungsweise der „Begeben heiten" und „Lieder" erinnert an eine langverschollene Zeit. Die althergebrachte Eintheilung ist gewissenhaft beibehalten. Voran geht der Bericht in Prosa und wiederholt sich der besseren Ein prägung ins Gedächtniß halber als „Lied", an das sich das moralische „Merke" zu knüpfen pflegt. Wie schon erwähnt, bilden erschütternde Naturereignisse, Grcuelthaten und ergreifende Men- schengeschickc die Themen der fliegenden Blätter. Es muß den „Dichtern" und „Verlegern" zum Lobe nachgesagt werden, daß sich unter den Tausenden von ihren Producten selten eines befindet, welches nur annähernd in frecher Frivolität und ganzer Ver wahrlosung mit manchem unserer Colportageroniane zu vergleichen ist. Auch eines sonstigen tendenziösen Charakters entbehrt die Durchschnittszahl der Blätter. Es ist dem Erzähler zu verzeihen, wenn er in einem Berichte, der sich das unglückliche Ende eines verführten Mädchens znm Vorwursc nimmt, von dem Hetzen der Hunde auf Menschen als einem „damals noch immer üblichen Feudalvergnügen adeliger Herren in abgelegenen Provinzen" redet, oder wenn ein Anderer der an Mädchen gerichteten Ermahnung zur Treue die Verse nachschickt: „Wollt ihr aber untren wer den — So heirathet doch nicht gleich — Denn auch ledig läßt sich spielen — In der Liebe mancher Streich." Mit derartigen persönlichen Anschauungen zu rechten, wäre unbillig; im Allge meinen läßt sich die Darstellnngsweise nur loben. Den Schwerpunkt des Flugblattes bildet das „Lied". Hier offenbart sich die ursprüngliche, durch ihre virtuose Behandlung des altgewohnten jambischen Versmaßes, ihre kühnen Metaphern und überraschenden Gedankensprünge, sowie die freie Anwendung der Zeitformen ergötzende Technik des „Dichters". Allerdings gelingt es wenigen derartigen Erzeugnissen der volksthümlichen Muse, schon infolge ihres seltenen Bckanntwerdens, eine gewisse Unsterb lichkeit zu erringen, wie z. B. das Lied vom Kutscher Ncumann, dem gehornen Kannibalen, von Eduard und Kunigunde, den Mördern des armen Gottlob Käsemeier oder von Friedrich Wilhelm Schulze, dem Wüthrich und Erzbarbar. Aber es steckt etwas von Busch'schem Geiste in Strophen wie z. B. derjenigen, womit das „Lied zu der zweiten Barbara Ubryk" beginnt: „Gräßlich ist's von einer Mutter — Grausam gen das eigne Kind (so. zu sein) — Und es ist ein Glück, daß wenig — Mütter allzu grausam sind!" So wird das „Lied zum Braut mord am Altäre" eingeleitet durch die Worte: Treue hatten sich geschworen — Elisa und Theophil, — Solche Schwüre, lieber Leser — Sind fürwahr kein Kinderspiel!" — Und endlich wird man nicht anstehen zu schaudern bei Lesung der teuflischen Vorsätze, welche ein verworfenes Paar in dem „Liede zur Be schreibung des gräßlichen Vatermordcs uni 100 Gulden" an den Tag legt: „Längst schon hatten sic beschlossen — Mord zu üben, an deni Alten — Und schon einmal an Zündhölzern — Sollt' zur Leiche er erkalten." — Die Druck- und Berlagsorte dieser Lieder, deren Heimstätte mehr das westliche als das spezifisch östliche Deutschland zu sein scheint, sind zahlreich: den schwäbischen Süden versorgt fast aus schließlich die I. F. Rictsch'schc Bnchdruckerei in Landshut i. B„ andere Lieder erscheinen in Hamburg, Berlin, selbst ans kaum gekannten Orten wie Balve, Warin in Mecklenburg tönen Klänge moderner Barden. Möge ihnen die Lust am Fabuliren nicht entschwinden! Leipzig, November 1881. Peter Hobbing.
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