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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 31.05.1898
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- 1898-05-31
- Erscheinungsdatum
- 31.05.1898
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- Deutsch
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Fertige Bücher. 4085 122, 31. Mai I8S8. dänischer Seite in dem Eiderdänentum ihr Extrem erreichten. Bauditz ist frei von Haß und Ingrimm, obwohl er ein guter Däne ist. Die Höhe deutscher Kultur erkennt er willig an, und seine Lieblingsgestalt, Jochumsen, stellt Goethe's Faust in die erste Reihe aller Bücher. Daß ihm bei der Einquartierung der Hauptmann aus gut Berlinisch jeden Morgen -Juten Morjen- wünschte, war ihm daher höchst fatal, daß er aber vor dem Kriegsgericht gefragt wurde, ob er Deutsch verstände, versetzte ihn in fassungslosen Zorn: -Ob ich Deutsch verstehe?» wiederholte er zornbebend. -Ich habe einundzwanzig Jahre in dieser Sprache unter richtet, spreche sie fließend — wohl zu merken, ohne JargonI — und kann all- großen Klassiker zitieren I- Bauditz aber gicbt an einer Stelle von dem Feinde folgendes freundliche Bild: „Man gewöhnt sich ja allmählich an alles, und so gewöhnte sich denn die Stadt auch an ihre Einquartierung. Ein wenig Uebermut, ein wenig Kleinlichkeit mußte man sich ja von den Siegern gefallen lassen, im wesentlichen aber führten sich die Mannschaften so gut auf, wie man es von siegreichen Truppen in Feindesland nur erwarten konnte, und als die Woche vergangen war, sah das Ganze nach außen hin ziemlich friedlich aus. Die Militärmusik spielte regelmäßig auf dem Marktplatz — aber ohne andere Zuhörer, als die Deutschen selber — die Offiziere lust wandelten im Wäldchen und die Soldaten schleuderten unten am Hafen herum, spieen in das salzige Wasser und kauften trockene Seesterne von den Knaben. — — — — Ernst, ja düster ist das Kolorit von CH. Niese'S „Auf der Heide'. Die Schlacht bei Jdstedt ist soeben geschlagen worden, jene Julischlacht des Jahres 1850, die für Jahre hinaus den Hoff nungen der Schleswig-Holsteiner auf Losreißung von Dänemark ein Ende bereitete, und in ganz Deutschland bei der Zurückhaltung der beiden deutschen Großmächte als tiefe Schmach empfunden wurde. Damals sang Geibel: „Ach, da's um Treu und Mut bei uns geschehn. Da neigt' ihr Haupt und starb die deutsche Ehre — Fragt nach bei Schleswig zwischen Meer und Meerei Dort liegt sie eingescharrt; die Winde gehn Mit Pfeifen drüber hin. Wann wird sie auserstehn?' In solchen Tagen ist für Lust und Freude wenig Raum, die Augen blicken spähend und sorgenvoll, und viel Worte macht nie mand, der's ernst meint. Damit ist auch die Stimmung be zeichnet, die über CH. Niese's neuestem Werk ausgebreitet liegt. Dunkle Gewitterwolken hängen am Himmel, die Menschen gehen einher, als ob sie drückende Lasten aus den Schultern trügen, und die schweigende Heide dünkt uns der beste Genosse zu den wort kargen Menschen. Viel ausdrücklicher, als in Bauditz' Roman, werden wir in „Aus der Heide' in eine Zeit nationaler Kämpfe hineingeführt, unter denen die Bande der Familie und Freund schaft zu brechen drohten. Die elektrische Spannung sprüht überall in Funken aus, Bauer und Pfarrer, der Edelhos wie die Königs halle haben ihr Teil davon. Der Roman CH. Niese's trägt überall den Stempel de« innerlich Erlebten an sich, es sind die Empfin dungen ihrer Eltern, die Erzählungen der alten Generation, die Wurzel geschlagen haben und in dichterischer Ausdrucksweise vor uns treten. Ein junger Kieler Student, der bei Jdstedt mit gekämpft und verwund, t worden ist, wird zu dänischen Verwandten nach Nordschlcswig geborgen. Im Heidegehöft bei der gemüts liefen, wortarmen Großmutter und dem wackren Vetter, der typischen Gestalt eines jütischen Bauerhofsbesitzers findet er Ge nesung, zugleich aber ergreift ihn eine mächtige Leidenschaft zu einer romantischen Mädchengestalt, die ins Pfarrhaus hineingeweht ivorden ist; man weiß selber kaum wie. Diese Leidenschaft zu Magda verknüpft sich in spannendster Weise mit seiner Bekannt schaft mit dem Grasenhause auf Trolleborg. Mit vollendeter Meisterschaft, mit prägnanter Wahrheit sind sie alle geschildert, die dem Buch Leben und Inhalt geben; wie viel Psychologie liegt in der Zeichnung der hoheitsvollen Gräfin und ihrer Beziehung zu Hans Christian I wie ist da so vieles, was sich nur empfinden läßt, noch keine feste Gestalt gewonnen hat, mit seinen Strichen angedeutctl Wie chevaleresk weiß die Dichterin den charakterlosen, liebenswürdigen Grasen, wie grausig den Hauslehrer Bagge — ein ins Kranke gezogener Möller — zu pointieren! Groß zeigt sie sich überhaupt in der Kleinmalerei: die markante Gestalt des Knechts Riß. die junge Magd, die schließlich zur Brandstifterin wird, der Pfarrer und die Pastorin mit dem Leidenszug im Gesicht, die ihre ganze Jugend vergraben und ab getötet hat, die prächtige Krügerin Willatzen mit ihrem Thee- punsch, der weichherzige Grafensohn und die beiden Komtessen, sie alle sind Kabtnettsstücke in ihrer Weise. Manche Scene ist so drastisch, daß man sie mit zu erleben glaubt, so das Diner in Trolle borg, so der Opfergottesdienst in der Kirche oder der Brand des Ge höfts. In schweren Schlägen entlädt sich endlich verheerend das Ge witter. Die Katastrophe bricht über das Bauerngehöft und das Grafenhaus, über Frau Svendrup und den Grafen, über Bagge und Magda, über HanS Christian und Lars herein, Dunkel um hüllt uns am Ende wie zum Beginn, aber in der Ferne zeigt sich doch schon die erste Röte des werdenden Tages. Es war eben mit Schleswig-Holstein nicht anders, als es mit jedem Menschen, jedem Volke ist und wie es damals Hans Christian ging: „Hinter sich ließ er die Heide, das Moor, und ein Stück seines Lebens. Und fremd lag die Welt vor ihm. Aber er fühlte die Kraft in sich, sie zu erobern. Er war ein Träumer gewesen, aber er wollte ein Mann werden.' Die Jugend von 1850 hat dann vierzehn Jahre später verwirklicht gesehen, was bei Jdstedt zu Grunde zu gehen drohte, die alte Generation, die alles verloren wähnte, hatte re signiert gedacht wie die Pastorin: „Ich bin müde und alt geworden; ich sehne mich nach meiner Jugend und meiner Harfe. Beides ist verloren und kommt nie wieder, denn das Schöne im Leben zieht vorüber wie ein Traum.' Wir rechnen „Auf der Heide' zu dem Gehaltvollsten, was uns die ausgezeichnete Schriftstellerin in reicher Schaffensfreude geboten hat. Würdig reiht sich den beiden besprochenen Romanen ein in Wesen und Inhalt grundverschiedener dritter an: O. Verbeck's „Einsam'. Das Lokalkolorit fehlt, auf die breite Basis des All gemeinmenschlichen wird der Konflikt gestellt. Die hochbegabte Verfasserin hat die Seelenkämpfe einer unglücklich verheirateten Frau zum Vorwurf genommen und den an sogenannten spannenden Stellen armen Stoff in einer Weise vertieft und psychologisch er gründet, daß man ihrer Menschenkenntnis fast ein höheres Lob spenden möchte, als der künstlerischen Darstellung; vielleicht ist diese nicht ganz einwandfrei; sie hat einige Längen und Wieder holungen und wirkt dadurch bisweilen mehr quälend, als ergreifend. Doch sind das Einwände, die nur Teile, in keinem Falle das Ganze treffen, das von ungewöhnlichem Talent auch nach der technischen Seite Zeugnis ablegt. Der Roman Hot draußen ein gewisses Aussehen gemacht. In der „Christi. Welt' ist er in zwei längeren Essays besprochen worden Für und wider die Lebensauffassung und das sittliche Urteil der Hanna Wasenius haben sich Stimmen erhoben. Wir können uns nur Guido Burkhardt anschließen, der für die Unan fechtbarkeit der Charakterzeichnung, resp. der sittlichen Lebens auffassung der Heldin in die Schranken getreten ist (Nr. 11). Um die kranke und durch Schuld anderer in äußerste Not ge ratene Mutter vor Elend zu bewahren, reicht Hanna wider strebend einem reichen ungeliebten Manne die Hand zum Lebens bunde. Das mag sittlich nicht zu rechtfertigen sein, es bleibt doch durch seine Motive edel und ist glaubhaft und gerecht fertigt. „Darin liegt gerade das Tieftragische, daß sie die Schuld auf sich ladet, ohne sie recht zu verstehen, weil sie von der Vor stellung getragen wird, sie thue es der Mutter zu Liebe. Aber die Schuld ist da und muß sich auswirken. Hanna geht ihrem tragischen Verhängnis entgegen.' Dieses wird für sie aber um so furchtbarer, als es ihr beim Verlassen der Kirche bei der Trauung wie Schuppen von den Augen fällt, daß sie den Lehrer Rettenbacher liebt und er, der stumme Arbeitsmensch, ihre Neigung mit Leidenschaft erwidert. Als die Mutter bald darauf stirbt, ihr Opfer also umsonst gewesen ist, steigert sich das Unglück der Ehe ins Unerträgliche. Ihr Mann, dem es an einer gewissen Gm mütigkeit nicht fehlt und der sie in seiner Art brutal und zärtlich zugleich liebt, spürt mit scharfem Instinkt die innere Un treue der Frau — auch da schon, wo sie noch den Versuch macht, ihm eine gute ergebene Gattin zu sein — und macht ihr mit seiner Eifersucht das Leben zur Hölle. Immer mehr zieht sie sich fröstelnd auf sich selbst zurück, ihr Seelenleben beginnt, da der Mann sie von allen früheren Beziehungen und Freunden, selbst der geliebten Musik und dem Pfarrer hermetisch abschließt, zu verkümmern. Klafterweit fühlt sie sich von dem Manne geschieden, der trotz allem in eine Scheidung nicht willigt. Da tritt eine plötzliche Verände rung ein: der Mann stirbt, und Hanna ist frei. Am Sterbebette, als sie, von Mitleid mit dem Leidenden ergriffen, ihm eine leichte Zärtlichkeit erweist und er ihr dafür mit einem letzten Blick des Dankes antwortet, wird es ihr klar, daß auch sie in der kurzen Ehe schwere Schuld auf sich geladen hat, daß sie dem Mann, der, an ihre Neigung glaubend, sie geheiratet, das Leben nicht weniger verbittert und verkümmert hat, als sie an seiner Seite geduldet hat. Wie soll sie das sühnen, da ihr Gatte nicht mehr am Leben ist! Vergebens sucht sie in philanthropischer Thätigkeit Vergessen und innere Genesung zu finden. Vergebens kehrt sie der Welt den Rücken und strebt in Resignation zum Ziel zu gelangen. Sie meint wohl, die furchtbar harte Schule habe alles in ihr ge- tödtet, selbst die Liebe. Doch das ist Täuschung. Es ist Retten bacher, der einst von ihr Geliebte, der sie zu höheren Zielen und einer Lebensaufgabe emporhcbt. „Er zeigt ihr in einer wahrhaft dramatisch gesteigerten Unterredung, wie das begangene Unrecht gesühnt werden muß durch thätige Liebe im Dienste der Mensch heit'. Unvergleichlich zart, aber lebenswahr klingt der Schluß in der Hoffnung aus, daß die heilende lindernde Zeit auch ihren Schinerz auslöschen und zwei Menschen, die einander lieb haben, in, vielleicht noch ferner, Zukunst vereinigen wird.
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