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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 20.02.1882
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- 1882-02-20
- Erscheinungsdatum
- 20.02.1882
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- Deutsch
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42, 20. Februar. Nichtamtlicher Theil. 779 Anzahl, und „größer" sage man nur von dem, was kleiner ist als „groß". Heißt das nicht die Sprachlehre aus den Kopf stellen? Und nun gar jenes „verfaßt!" Gedichtet, geschrieben, producirt, sogar „gebracht" in Gottes Namen, aber nur ums Himmels willen nicht „verfaßt", welches sozusagen einen hand werksmäßigen Betrieb, ein äußerliches Forttagelöhnern zu sound soviel den Band bezeichne. Und der Mann, der sich gegen dieses „verfaßt" so erbittert auflehnte, nannte sich doch selbst auf dem Titelblatte seiner neueren Romane: „Verfasser des Soundso!" Noch mehr! Wenn ich ein Buch „sehr gut" nannte, war der Autor meistens zufrieden; „recht gut" versetzte ihn in Zorn und „ganz gut" machte ihn rasend. Sonderbar! Etwas Besseres als „ganz gut", was jeglichen Fehler ausschließt, kann man doch von einem Werke nicht sagen. „Ganz", das ist das Absolute, während „sehr" noch ins Bereich des Relativen fällt. Und dennoch gilt „ganz gut" als das geringste Lob; es habe einen Beigeschmack von aufmunternder Protection, auch lege man dabei den Ton nicht aus das „ganz", sondern auf das „gut". Als bitterster Tadel wird es aber empfunden, wenn man etwas „im Ganzen recht gut" nennt. Das wolle nur besagen, heißt es, daß das Werk von schlechten Einzelheiten wimmle; und doch, sollte man meinen, wären die Einzelheiten im „Ganzen" mitgerechnet. Eine ähnliche Begrisssverkehrung lernte ich kennen, als mir einst ein gangbarer Feuilletonsammler einen groben Brief schrieb, weil ich seine Feuilletons nur „geistvoll" genannt hatte, da sie doch anerkanntermaßen „geistreich" wären. „Geistvoll" sei ein Ausdruck des Wohlwollens für Geschreibsel, das nur hie und da Spuren von Geist zeige; „geistreich" aber ein sichtlich unparteiisches, sachliches Wort für Arbeiten, die wirklich voll Geist seien. Also was voll Geist ist, ist nicht „geistvoll", sondern „geistreich", — und „geistreich", was noch einen Comparativ und Superlativ zuläßt, ist mehr als „geistvoll", obgleich doch nichts auf Erden voller als „voll" sein kann. Unter solchen Erfahrungen erlernte ich nach und nach jene kritische Terminologie, bei der man ziemlich sicher sein kann, die hervorbringenden Genies nicht zu verletzen. Der Wortschatz, über den dieser Dialekt versügt, ist aber auch eigenthümlich und werthvoll genug. Ich schreibe hier kein Wörterbuch, darum will ich nur bei einigen auserlesenen Epitheta verweilen, die mir schon die größten Dienste geleistet haben. Wie schwierig wäre z. B. meine Lage, wenn ich das Wort „vornehm" entbehren müßte! Ist etwas recht steifbeinig, langweilig, einförmig und farblos, so nenne ich es meist vornehm. Dem Autor fehlt alle Anmuth; er ist ebenso wenig einer Wendung fähig, als ein Krokodil. Vornehm! Kein Tröpflein Blut pocht in seiner Prosa, kein Nerv zuckt in seinem Verse. Vornehm! Jedes Wort gähnt den Leser aus vollem Halse an. Vornehm! Aus dreihundert Seiten geht der Mann auch nicht ein einziges Mal aus sich heraus. Vornehm! Mit diesem Worte thue ich so, als glaubte ich, er wolle nicht, wo er doch nicht kann. Da ich aber doch nicht auf Alles und Jedes „vornehm" sagen darf, so wechsle ich sehr zweckmäßig mit „discret" ab. DiscretI Wäre dieses goldene Wort noch nicht vorhanden, man müßte es schleunigst erfinden. Es gibt kaum einen elastischeren, schmiegsameren Entoutcas in der kritischen Rüstkammer. Discret! Das schmeckt selbst dem Indiskretesten, denn es liegt darin etwas Künstlerisches, Bild nerisches, weises Maß mitten im Uebersluß, die Maske der Selbstbeschränkung für alle Beschränktheit. Ein Schriftsteller kommt über kurze Anläuse nicht hinaus. DiscretI Es fehlt ihm jeder Sinn für Farbe, alle seine Gestalten sind grau wie Fleder mäuse. Discret! Er versteht es nicht zu charakterisiren, und vollends ist er verloren, wenn er ein heißes, überwallendes Wort der Leidenschaft finden soll. Discret! In seinen Schilderungen ist kein Auge, in seinen Dialogen keine Beredsamkeit, seine ganze Darstellung entbehrt der Prägnanz. Discret, überaus discret! Es gibt aber auch Schriftsteller, die am liebsten im Dunkeln munkeln und bei denen man nie erräth, wo sie eigentlich hinaus wollen. Diese Gedankenhehler sagen eine Menge Dinge, die nichts sagen, hinter denen jedoch augenscheinlich erschrecklich viel steckt. Sie schreiben gewissermaßen in lauter Vordersätzen, denen die Nachsätze fehlen. Eine Abhandlung des Herrn vr. Dunkel mann ist immer voll der interessantesten „Winke" nach dem Nirgends hin. Auch ist er jener berühmte „Perspectiveneröfsner", und zwar am liebsten nach Richtungen, wo nichts zu sehen ist. Ich war seinen Werken gegenüber eine Zeit lang in keiner ge ringen Verlegenheit. Endlich fand ich das Wort „bedeutend" — und mir und ihm war geholfen. In der That, ein Ding, dessen Bedeutung man so lange umsonst sucht, muß sehr be deutend sein. Seitdem habe ich die Essays des vr. Gedanken strich, die „Stunden der Wahrheit" von Prof. Fallacius, die „bereits in zehnter Auflage vorliegende" Broschüre: „Acut und chronisch" von Quidamshausen und noch viele andere unbedeutende Schriften „bedeutend" genannt, ohne daß es mir irgend einer der Herren Verfasser nachgetragen hätte. Meine Stellung bringt es mit sich, daß ich viele neuere Romane kritisiren muß, die ich unmöglich lesen kann; sie sind eben nicht zu lesen. Roh empfundenes, brutal geschriebenes Zeug, aus die gemeinste Neugier, den gierigsten Flicßpapierhunger be rechnet, jedes Capitel anzusehen wie eine Zeitungsrubrik voll Tagesneuigkeiten. Für diese Sorte habe ich zwei höchst em- pfehlenswerthe Faulenzer, die unter jeden Text passen, nämlich „sensationell" und „effectvoll". Verfasser und Verleger finden dabei ihre Rechnung und der Kritiker schließlich auch, denn der gebildete Leser weiß zwischen den Buchstaben dieser Worte zu lesen. Sensationell, das erscheint jedenfalls in Lieferungen und hat auf der letzten Seite eine „Notiz für den Buchbinder", daß er dieses Werk nicht in Kalbleder, sondern in Gänsehaut zu binden habe. Sensationell, das liest sich gewiß, wie aus dem Französischen übersetzt, und ist doch nur aus dem Englischen gestohlen. Sensationell, das ist jene gewisse Prosa mit kurzen Zeilen, wo jeder Satz eine neue Alinea beginnt. Sensationell, ach ja, das wollen wir doch geschwinde nicht lesen! ... Und dazu nun noch „effectvoll". Eine effectvolle Schreibart, ein effectvoller „Styl" (diese Herren haben ihren Stil immer mit „h"), effectvoll erfunden, effectvoll componirt, effectvoll durch- gesührt, effektvoll geschmiert. Die handelnden Personen sind eigentlich gar keine Menschen, sondern Puppen, ich nenne sie also „Charaktere", oder wenn sie irgend eine Absonderlichkeit zur Schau tragen, geradezu „Typen". Dieses Wort hat in solcher Anwendung große Verbreitung gesunden. Typus, typisch, das kann man heutzutage auf Alles sagen, was kein Typus, was nicht typisch ist. Während doch ein Typus aus Zügen besteht, die vielen Dingen gemeinsam sind, gehe ich am sichersten, wenn ich — und mit mir Tausende von Kollegen — Dasjenige einen Typus nenne, was ganz apart aussieht, etwas Verrücktes, einen Sonder ling, eine Mißgeburt. Während sonst Typus die Regel bedeutet, belegen wir mit diesem Worte am liebsten die Ausnahme. Kommt es dann schließlich zur Katastrophe, so haben wir auch für diese ein sehr gutes Beiwort. Wir nennen sie in Gottes Namen „tragisch". Je weniger sie motivirt ist, je zufälliger, uner warteter sie hereinbricht, desto tragischer finden wir sie. Ein Ziegelstein vom Dache, eine unbedeckte Kalkgrube in finsterer Nacht, eine zu spät eintreffende Begnadigung, ein ungeschickter weise losgehender Revolver, — tragisch! Man sieht wohl, daß Ilk *
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