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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 07.10.1902
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1902-10-07
- Erscheinungsdatum
- 07.10.1902
- Sprache
- Deutsch
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233, 7. Oktober 1902. Nichtamtlicher Teil. 8023 Schreibern Fehler und Nachlässigkeiten vorzuhalten. Für die fremden Geschäftsfreunde ist's ja gut genug — wenn's nur schnell geht. Infolge meines direkten Protestes ist jetzt in jenem Hause Wandel geschaffen worden, nicht bloß zum Vorteil der auswärtiger! Geschäftsfreunde, die sich bisher Nachlässig keiten haben ruhig gefallen lassen, sondern auch zum noch größern Vorteile der Firma selbst. Fort mit den nachlässigen, halbgebildeten dabei aber eingebildeten Gehilfen! Mögen sie einen andern Beruf er greifen — wenn nur der Buchhandel sie los wird! Solche Leute, nachlässig in ihrem Arbeiten, sind auch lax in ihrer Moral; sie nehmen's nicht so genau mit dem oder jenem, was sie thun. Mit erspartem Salär nicht, sondern allenfalls mit dem Gelbe, das Vater oder Mutter hergeben, werden sie eventuell »Nachfolger« einer alten Firma, oder, ihren Namen ver steckend, gründen sie eine anonyme Firma wie z. B.: »Sonnen- Verlag« — »Verlag Jupiter« — oder dergleichen. Und die ausposaunten Artikel eines solchen anonymen »Verlags« sind gewöhnlich »interessante« Bücher. Wenn ich auch die Produkte dieser neuen Verleger gewöhnlich meide, mit denen diese die deutsche Littecatur bereichern, so sind doch Cirkulare, Plakate, Buchzeichen u. s. w, die mir unter die Augen kommen, widerlich genug. Und dabei spreizen sich solche Leute noch mit der Angabe, sie druckten ihre Bücher im Interesse der Moral — und wer sich diese nicht als Novitäten zuschicken läßt, dem wird die Rechnung geschlossen u. s. w. Das gefällt mir nicht. In Amerika scheint solches Lesefutter nach und nach zu verschwinden — in Deutschland dagegen, den Anzeigen nach, in Aufnahme zu kommen. Ich wünschte, daß ich mich täusche. Anderswo habe ich eine beinahe zwanzig Jahre alte Geschichte von einem »Komma« erwähnt, wie diese mir noch in der Erinnerung stand — nicht ganz deutlich. Jetzt habe ich aber unter meinen Prioatpapieren die Nummer 36 der Gartenlaube von 1883 gefunden. Darin steht auf S. 591 und 592 folgendes: Nur ein Komma. Kleine Ursachen — große Wirkungen! Ist das zuweilen der Fall in den großen Haupt- und Staatsaktionen der allgemeinen Weltgeschichte, warum nicht auch einmal im stillen Alltagsleben? Warum soll nicht auch ein Komma, oder vielmehr die Auslassung eines solchen, dem Leben eines gewöhn lichen Sterblichen ein oder mehrere Jahre verbittert haben? Nachfolgend der Beweis davon. Ich hatte bis vor etwa zwei Jahren eine angenehme, ziemlich freie und lohnende Stellung in der Redaktion einer der größten Verlagsbuchhandlungen Deutschlands inne. Durch etwas zu aus gedehnten Gebrauch meiner Freiheit verlor ich die Stellung, fand dann eine andere in einem gleich großen Konkurrenzgeschäft, die ich aber, da sie mir in mancher Beziehung nicht sehr zusagte, meinerseits bald wieder aufgab. Nun suchte ich lange, ohne etwas Passendes finden zu können, so daß ich Anfang vorigen Jahres, entrüstet, daß die alte Welt mich nicht zu schätzen verstand, beschloß, die neue Welt mit meiner Persönlichkeit zu beglücken, schnell nach Hamburg fuhr und dort ein Billet nach New Jork löste. Das Erste, was die meisten nach Amerika auswandernden jungen und bisweilen auch ältere Leute in New Jork thun, ist gewöhnlich, ihr Geld so schnell wie möglich durchzubringen; daß ich keine Ausnahme bin, bewies ich glänzend, denn von den 50 Dollar (etwa 210 Mark), mit denen ich New Dork betrat, hatte ich nach acht Tagen kaum noch sechs! Ich wünschte jetzt, mein wahrscheinlich etwas langes Gesicht zu sehen, als sich dies Resultat meines -Kassemachens- herausstelltc. Noch an demselben Tage wurde eifrig die Zeitung studiert, ob denn keine passende Stellung sich darin fände, und richtig, wie für mich gemacht: -Gesucht ein Korrektor, welcher der deutschen, englischen und lateinischen Sprache mächtig ist. Schriftliche Gesuche sind zu richten an St. u. Comp.» Ich ging in die erste beste Papierhandlung, kaufte mir Brief bogen und Couverts und frug nach der nächsten Gelegenheit, um einen Brief schreiben zu können. Mit Zuvorkommenheit brachte mir der Besitzer Tintenfaß und Feder, so daß ich mein Gesuch gleich im Stehen auf dem Ladentisch niederschrieb, dann faltete und couvertierte ich es, schrieb die Adresse und brachte es, um ganz sicher zu gehen, selbst in die betreffende Buchhandlung (eine der größten New Dorks). Obwohl ich mir mit der Abfassung meines Gesuchs nicht besondere Mühe gegeben hatte, ferner auch wohl anzunehmen war, daß sich sehr viele Bewerber um die betreffende Stellung melden würden, war ich doch der besten Hoffnung, dieselbe zu erhalten, denn die Orthographie ist gleichsam Fleisch und Blut von mir selbst. Es verging jedoch ein Tag nach dem andern, ohne daß ich die erwartete Einladung erhielt, noch auch sonstwie Beschäftigung fand, und so ging ich denn etwa vierzehn Tage nach Absendung meiner Offerte, nachdem ich unter dessen natürlich Wertsachen rc. verkauft hatte, persönlich zu Herrn St. Ich wurde in einen kleinen, abgesonderten Raum des mächtigen Saales gewiesen, wo ich denn auch den von mir ge suchten Herrn fand und mich ihm vorstellte. Herr St. sagte, mein Name käme ihm bekannt vor, und als ich ihm erwiderte, ich hätte mich vor zwei Wochen zu der ausgeschriebenen Korrektor-Stellung gemeldet, ging er an ein Seitentischchen, wühlte in einem Haufen dort liegender Papiere und zog eins davon hervor, indem er sagte: -Richtig, jetzt erinnere ich mich. Ja, Herr Sch-, Sie kann ich nicht brauchen, Sie sind zu leichtfertig.- Mir fielen alle meine Sünden bei, ich war wie vom Donner gerührt. Daß ich in betreff meines Lebenswandels und Charakters bisher etwas leichtfertig war, wußte ich gut genug; wie aber die Kenntnis davon aus Deutschland schon bis zu den Ohren des Herrn St. in New Dork gedrungen sein sollte, war mir ein voll ständiges Rätsel. Ich stammelte bloß: -Wie wissen Sie —» -Nun, wenn Sie in Ihrem Gesuche, daS man doch gewöhnlich mit besonderer Aufmerksamkeit abfaßt, gleich in der ersten Zeile, bei der Datum-Angabe eine Nachlässigkeit begehen, so ist man wohl zu der Schlußfolgerung, die ich machte, berechtigt.» Ein tiefer Seufzer der Erleichterung entquoll meiner gepreßten Brust; also nicht moralisch leichtfertig, sondern nur schriftlich, nun, das konnte nicht so schlimm sein, dessen war ich gewiß. -Ja, aber was für einen Fehler habe ich denn gemacht?» -Gleich im Datum, nach New Dork, haben Sie das Komma ausgelassen.» -Herr St., darüber ließe sich doch streiten — - -Was, Sie wollen das noch bestreiten?» ereiferte sich der leicht erregbare Herr, mein Gesuch mir fast unter die Nase haltend, -hier sehen Sie!» -O, Sie mißverstehen mich, ich bestreite nicht die Thatsache, daß ich das Komma ausgelassen habe, sondern ich sage nur, daß man über dessen Existenzberechtigung doch verschiedener Meinung sein könne.- -Nein, Herr Sch., das kann man nicht; so ein Komma oder Punkt ist ein sehr wichtiges Ding. Lassen Sie z. B. bei 10 000.00 Dollar den Punkt weg, dann heißt es eine Million Dollar, statt zehn Tausend.- -Ja, Herr St., das stimmt; aber bei einem Datum ist es doch etwas anderes, ob da zwischen New Dork, Leipzig oder Konstantinopel und dem Monatstage ein Komma —- Wenn das auch am Sinn nichts ändert, muß es doch stehen, und ein sorgfältiger Korrektor wird es nicht auslassen.» Herr St. wurde immer erregter, ich dagegen, da mir plötzlich einfiel, was auf dem Spiele stand, wurde nun sehr ruhig, sehr höflich und sogar etwas wehmütig. -Bitte, Herr St., suchte ich sachte einzulenken, -Sie werden mir doch zugeben, daß die einzelnen Herren Verleger und Drucker ihre einzelnen, besonderen Bestimmungen hinsichtlich der Ortho graphie haben und —- -Aber die Interpunktion hat ihre allgemeinen Regeln. Ich will Ihnen ganz ruhig sagen (er war aber nichts weniger als ruhig), -von den vielen Bewerbern um den Platz hätte ich Sie engagiert, Ihre Handschrift gefällt mir, Ihr sonstiger Brief eben falls, das Zeugnis, von dem Sie eine Abschrift beigelegt haben, ist gut, und das Haus selbst, in dem Sie angestellt waren, ist eine noch bessere Empfehlung. Aber das Komma« (er meinte na türlich das Nichtvorhandensein des Kommas) -bricht Ihnen das Genick. Ich kann Sie absolut nicht brauchen.» Das Herz — oder war es der Magen? — sank mir so zu sagen bis in die Stiefel. Das war allerdings deutlich gesprochen und nichts dagegen zu machen, wie sich bald herausstellte; denn ob wohl ich es in allen möglichen Tonarten versuchte, Herrn St. um zustimmen, so blieb dieser doch bei seinem Ultimatum, drehte mir schließlich schweigend den Rücken zu und wandte sich zu seiner früheren Beschäftigung an seinem Pulte. Das war ebenfalls deutlich; ich machte also meine Abschiedsverbeugung, die freilich, wie ich fürchte, nicht ganz so tief ausfiel, wie die zur Begrüßung, und ging .... (Ich kann mir lebhaft denken, daß sehr viele Leser hier eine Pause machen, und ) (V, 2 folgt.) 1055*
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