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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 06.11.1902
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- 1902-11-06
- Erscheinungsdatum
- 06.11.1902
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- Deutsch
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Umschlag zu 258. Donnerstag, den 6. November 1902. Leipziger Neueste Nachrichten vom 26. Oktober 1902: Wz tler Mltanlctiauung eines früheren Priesters. Erst seit wenigen Jahren pocht die Los von Rom-Bewegung in Oesterreich an die Pfeiler des mittelalterlichen Kirchentnms, und schon ist eine ganze Lilteratur hierüber entstanden. Manch' flammender Protest gegen römische Werkgcrcchtigkcit und psäsfische Selbstüberhebung, manch' opfermutiges Zeugnis für die heiß errungene, evangelische Weltanschauung tritt uns da entgegen, aber noch fehlte, mit Fr. Nippold zu reden, „ein hervorragender, wissenschaftlicher Niederschlag der um fassenden geistigen Bewegung". Jetzt haben wir auch dies. Es ist ci» gewaltiges, über 1:i<m Seiten dickes Buch, dessen gediegener Inhalt jeden Gebildeten mit Bewunderung erfüllen mich, ein eminentes GcistcSwcrk, das schon deshalb überall Aussehen er regen wird, weil sein Pcrfasscr — ein früherer römisch-kakholischcr Geistlicher ist. Franz Mach, der vormalige Religions-Professor am k. k. Staats-Obergymnasium in Saaz, früher bekannt als ein be geisterter Verfechter des Ideal-Katholizismus, hat Rom verlassen und sich selber zur Rechtfertigung das Thema erörtert „Das Religions und Weltproblem",st zugleich gedacht als „dogmcnkcitische und naturwissenschaftlich - philosophische Untersuchungen für die denkende Menschheit". In einer das Ganze einleitenden, bescheidenen Lebensskizze erzählt Mach mit ungeschminkten Worten von der kümmerlichen Geistesdressnr, die er als angehender Kleriker dnrchzumachen hatte, und von den Zweifeln, Gewissensnöten, heimlichen Studien und brutalen De mütigungen seiner Priesterzeit. Wir sehen das unbefriedigte Ringen eines unermüdlichen Wahrheitssuchers, der schließlich die längst ge fühlte Kirchenfessel abwirft, um eben der Wahrheit näher zu komme». Ein Ketzer, der von Glück sagen kann, daß die mittelalterliche Ver brennungspraxis vorbei ist, möchte seine Mitmenschen „in religiöser Be ziehung ans einem höheren, freieren Standpunkte sehen", und sie „ins besondere zu einer reineren, vergeistigten Aussassung des Christentums im Sinne und nach dem Willen seines Stifters emporgehobcn wissen." Es sind keine Illusionen, die uns geboten werden. „So ist und bleibt", sagt der Verfasser gleich zu Anfang, „die Verallgemeine rung der einfachen, objektiven, nüchternen Wahrheit, selbständigen, ge reiften Denkens, ein Ideal, dem wir uns zu nähern suchen sollen und müssen, ohne daß es die Menschheit als solche je wird erreichen können." Das ist weder ein leichttnntigcr Optimismus noch ein trostloser Pessimis mus. Kein Dogma und keine Konfession darf sich als alleinseligmachend ansgeben, und wenn sich theologische Spitzfindigkeiten hier ausschlaggebend dünken, dann braucht man wohl nur an Goethes Spottvers zu erinnern: „Mit Worten läßt sich trefflich streiten, mit Worten ein System bereiten". Leo XIII. hat durch die Eneyklika »Xstsrni xatris" (1879) kurzer Hand die scholastische Philosophie des Thomas von Agnino als die offizielle Philosophie der römischen Kirche proklamiert. „Die Welt sieht daraus wenigstens, was das Papsttum auch der Gegenwart noch immer möchte, wenn es nur könnte: ein Znrückschrauben des Zeigers an der Uhr der gesamten geistigen Entwickelung der Menschheit um — sechs Jahrhunderte . . . ." Mit viel Scharfsinn und einer staunenden, übrigens in dem ganzen Werke zu Tage tretenden Belesenheit in der einschlägigen Lilteratur, weist der Verfasser die Unmöglichkeit aller „Gottesbcwcise" nach und wendet sich damit u. A. auch gegen den ersten Kanon des vatikanischen Konzils: „Wenn Jemand behauptet, der eine und wahre Gott . . . könne durch das, was lvon ihm) erschaffen worden, mittels des natürlichen Lichtes der menschlichen Vernunft nicht mit voll kommener Sicherheit erkannt werden, der sei im Bann." .Nach ein gehender Beleuchtung der chinesischen, indischen, persischen, babylonischen, asstirischen, phönizischen, egyptischcn, hebräischen, arabischen, griechischen, und altgermanischen Religionsvorslcllnngen wendet sich der Verfasser zur „Gottcslchre des heutigen dogmatischen Christentums". Geht er auch sicherlich zu weit, wenn er das letztere als ein Produkt der von Paulus „eingelcileten Vereinigung des von Jesus resormierten Judentums mit dem Hellenismus" bezeichnet, so ist andererseits nicht zu ver kennen, daß der eigentliche, ursprüngliche Hauptzweck des Christentums nur war, „das Gefühl inniger Liebe, unwandelbarer Einheit und festen I Vertrauens des Menschen zur Gottheit zu erwecken und zu beleben". Mit Energie betont Mach daS Gcsctzmntzig-Natürlichc der Wclt- entniickclnng. ohne aber darum in einen nnchristlichcn Materialis mus zu versinken. Ruhig und sachlich setzt sich der frühere Kleriker mit Darwin, Büchner, Hackel u. s. w. auseinander, um dann auf rein wissenschaftlichen Wege zu dem Schluffe zu kommen: „Der Materialismus als Versuch der Welterklärung ist . . . eine schlechte, d. h. unbrauchbare Hypothese, weil er zum Verständnisse der Wellwirklichkeit, ihrer Dinge und Erscheinungen, nicht ausreicht". Neben der „Materie" darf keinesfalls der „Geist" geleugnet werden, d. h. man soll nach Mach einen „Ideal-Realismus" anerkennen, „deren irdischer Abschluß der Mensch ist". Den GotteSglanbcn kann man „Niemandem ausdrängen oder auszwingcn", man kann ihn nur als eine „wesentliche Bedingung des Seelcnsriedens und LebenSglückcs" Persönlich-innerlich erfahren. Der radicale Gottesleugner ist im Grunde genommen ein denkbar unglücklicher Mensch; er sieht „das All", mit Jean Paul zu urteilen, nur als „die kalte, eiserne Maske der gestaltlosen Ewigkeit". Der Gottesglanbe hingegen ist schon des halb etwas ungemein Tröstliches und Erhebendes, weil mit ihm „der Glaube an eine fortgesetzte übernatürliche Leitung und Regierung der Welt und deren Dinge und Geschehnisse durch Gott, also der Glaube an eine übernatürliche göttliche Vorsehung innig verbunden" ist. Das klingt freilich anders als der Dvgmenzwang der römischen Gelehrsam keit mit ihrer „absoluten Glaubens-Intoleranz", wo überdies in Folge der „Unfehlbarkeit", wie Mach noch betont, „eine Selbstkorrcktnr und ein Rückzug unmöglich ist." Der zweite Teil des BucheS geht in der Hauptsache von speziellen, völlig vorurteilSsreien Bibelstudien aus und betont vor Allem den ge schichtlichen Charakter der Person Jesu. Die schlichte, einfache, volks tümliche Lchrweise Christi, „nicht ein abstruses, schwer verständliches, spcculntiv-dogmalisches System voll abstrakter Begriffe" ist in den Evangelien zu finden. Eine unbefangene Würdigung der Sittenlehre Jesu kann zeigen, daß jede naturwidrige Askese, wie sie z. B. in der römischen Cölibatsdisziplin zu einem verhängnisvollen Ausdrucke ge kommen ist, gegen den wahren Sinn des Christentums verstößt. „Luther", so urteilt der mutige Expriester, „vollbrachte darum eine wahrhaft löbliche, vernünftige, echt christliche und gewissenbefreicnde That, als er Cölibatszwang und Ordensgelübde beseitigte." Ausführlich werden dann unter stetem Hinweise auf den histo rischen Hintergrund die Hindernisse, die Schnelligkeit und die Mittel der Ausbreitung des Christentums, sowie dessen sittliche Wirkungen be handelt. Interessant sind u. A. die Ausführungen über die sich all mählich steigernde Macht des römischen Bischofs. Mit dem Jesusworle „Mein Reich ist nicht von dieser Welt" stimmt cs nicht zusammen, wenn die späteren Päpste alle Prärogativen einer weltlichen Herrschaft, deren Glanz und deren diplomatischen Apparat beanspruchten, „mag zu Gunsten eines zwitterhaften „PabstkönigtnmS" was immer geltend ge macht werden". Ueberall gerät Mach in Widerspruch mit Roms Lehre, und dazu hat ihn, das merkt man besonders an den letzten Kapitel» seines Buches, nicht zum Wenigsten ein ernstes Studium der Philosophie getrieben. Das Ideal des Verfassers ist eine positive, alle Kulturvölker vereinigende Religion, gegründet ans der Neligions- und Sittenlehre Jesu, „wie sie uns in den Evangelien überliefert wurde, und deren Summe das eigentliche, reine Urchristentum ausmacht". Ob sich „aus dem Labyrinthe theologischer Schulen und Systeme" wirklich einmal ein Weg „zur religiösen Einheit und damit zum Frieden" ergeben wird? „Christentum und Christenheit, wer diese schnitt' zu einem Kleid!" so hat schon Walther von der Vogelweidc sehnsuchtsvoll gesprochen. Aber wir meinen, dieses Ideal ist fast zu groß, als daß es die Mensch heit dieser Erde jemals in schöne Wirklichkeit nmgcsetzt schauen dürste. Immerhin ehrt es den wahrheitseisrigen Konvertiten, wenn er im Anklang an Herder nur eine, echte Menschenreligion verlangt, — „und das ist das recht verstandene Christentum." *) Das Religions- und Weltproblcm. Dogmenkritische und naturwissenschaftlich - philosophische Untersuchungen für die denkende Menschheit. Von Franz Mach. 2 Bände Großoktav. Preis brosch. Mk. 20,—, geh. Mk. 24,—. E. Pierson's Verlag in Dresden. Verantwortlicher Redakteur: MaxEvers — Verlag: Der Börsenverein der Deutschen Buchhändler zu Leipzig. Druck: Na mm L Seemann. Sämtlich in Leipzig, Deutsches Buchhändlerhaus, Hospitalstrage.
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