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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 06.02.1903
- Strukturtyp
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- Band
- 1903-02-06
- Erscheinungsdatum
- 06.02.1903
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- Deutsch
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1082 Nichtamtlicher Teil. ^ 80, 6. Februar 1903. Von den stbyllinischen Büchern. Zu allen Zeiten hat das Übernatürliche, das Geheimnis volle, das Wunder, die Prophezeiung die Menschen ange zogen; und das war ganz natürlich, denn je weiter entfernt die Menschheit von der Lösung der sie umgebenden Rätsel der Natur war, desto eifriger und kritikloser mußte sie die Lehren entgegennehmen, die ihr durch angeblich von den Göttern be vorzugte und mit ihnen in Verbindung stehende Persönlich keiten wurden. Die Sagen des Altertums sind im Grunde eine Notwendigkeit für den forschenden Geist gewesen, und selbst hocherleuchtete Geister haben fest an Dinge geglaubt, die heute unsrer Schuljugend nur noch ein Lächeln ab ringen. Auch heute noch gibt es Leute genug unter den sogenannten Gebildeten, die an -Ahnungen« und ähnliche Sachen glauben, und die große Sekte der Spiritisten ist auch nicht gerade geeignet, uns ein Recht zu geben, daß wir uns mit der Überlegenheit unsrer Intelligenz über das Altertum brüsten dürfen. An Gewässern und in Felsklüften hausende Nymphen, die nach dem Ratschluß der Götter das Schicksal der Städte und Reiche verkünden, hießen Sibyllen, ein Name, der vielleicht vom äolischen also Gottesratschluß abgeleitet worden ist. Sammlungen angeblicher Sibyllen orakel waren zuerst wahrscheinlich in Kleinasien im Umlauf. Von einer kleinasiatischen Sibylle erzählt Vergib Am Apollotempel bei Cumä, der ältesten griechischen Nieder lassung in Kampanien in Italien, wohnte Detphobe, die von Kyme in Kleinasien eingewandert war, in einer Höhle. Nach ihrem Wohnsitz ist sie als cumäische Sibylle bekannt geworden, die dem König Tarquinins Superbus neun Rollen ihrer Weisheitsbücher zum Kauf anbot. Als dem König der geforderte Preis zu hoch erschien, warf sie drei Rollen ins Feuer und forderte für die übrigen sechs dieselbe Summe. Wiederum abgewiesen, wunderten weitere drei Rollen in die Flammen und als die Sibylle endlich für die letzten drei Rollen denselben hohen Preis verlangte, zahlte ihn der König endlich. Im Tempel des kapitolinischen Jupiter wurden die libri Libzckliiü aufbewahrt, um bei wichtigen Fällen befragt zu werden. Als diese Sammlung im Jahr 83 vor Christo mit dem Kapitol ein Opfer des Feuers geworden war, ließ der Senat im Jahr 76 die in Kleinasien kursierenden Sibyllenorakel sammeln. Nach der Mitteilung des christlichen Schriftstellers Lactantius fand man zu Erythrä an der jonischen Küste an 1000 Verse sibyllinischer Weissagungen, die, nach Rom gebracht, eine neue Sammlung bildeten. Alle diese Originale sind verloren gegangen, und man kennt nur einzelne Teile davon aus Citaten und andern Schriften. Die sibyllinischen Bücher beschränkten ihre Existenz aber nicht auf das Heidentum, sondern waren auch im Judentum und Christentum angesehen und verehrt. Sibyllinische Bücher nannte man eine Sammlung jüdischer und altchristlicher Prophetien. Schon 1545 sind acht Bücher dieser Handschriften durch Xystus Betulejus mit einer anonymen, wahrscheinlich dem sechsten Jahrhundert angehörenden Vorrede heraus gegeben worden. Diese Sammlung hat Kardinal Mai zu Anfang des vierzehnten Jahrhunderts um vier weitere vermehrt, und alle zwölf pflegt man unter dem Titel Oraoula Abzülins, zusammenzufassen. Die einzelnen griechisch geschrie benen Bücher bilden kein abgeschlossenes Ganzes; sie sind von ver schiedenem Alter (vom zweiten Jahrhundert vor bis zum dritten Jahrhundert nach Chro und werden von den Kirchenschriftstellern öfter als göttliche Aussprüche zitiert. Der Inhalt, der oft wild durcheinandergeht, besteht zum größern Teil aus einer in die Hülle der Prophetie gekleideten Erzählung über Ver gangenheit und Zukunft von Völkern und Reichen, Ländern und Inseln, Städten und Tempeln. Hand in Hand mit der Prophetie gehen Mahnungen, Drohungen und Verheißungen.*) Die ältesten Schriftsteller kennen nur eine Sibylle und auch der unter dem Namen Nirabilia Kornes bekannte Führer durch Rom aus dem zwölften Jahrhundert bekundet nur von einer dieser weisen Frauen. Er erzählt, daß dem zweiten römischen Kaiser, Oktavian, als er auf der Höhe seiner Macht stand, göttliche Ehren erwiesen worden seien. Da habe ihm einst die Sibylle am Himmel bei der Sonne eine Jung frau mit goldner Krone gezeigt, die ein Kind auf ihrem Arm getragen habe. Die Frau habe ihm gesagt, das Kind sei Gott und herrsche über alle Herren im Himmel und auf Erden. Da sei der Kaiser niedergekniet, habe das Kind angebetet, ihm geopfert, einen Altar auf dem Berg errichtet und sich selbst nicht mehr anbeten lassen wollen. Dieses Wunder sei in der Nacht, als Christus geboren wurde, geschehen, und die Kirche führe den Namen ara oosli. Diese Erzählung hat die Kunst vielfach zum Vorwurf genommen. Die Szene, wie die Sibylle dem Kaiser die Er scheinung am Himmel zeigt, ist besonders für Altarflügel sehr häufig gemalt lind auch in zahlreichen Holzschnitten wiedergegeben worden. Mer schon sehr früh erscheint bei den Schriftstellern des heidnischen Rom auch eine Vielheit von Sibyllen. Bevorzugt wird die Zahl 10, und sie erscheinen als die persische, die libysche, die delphische, die erythräische u. s. w. Der letztem wird u. a. die Prophezeiung von den »Zeichen des jüngsten Gerichts« zugeschrieben. Auch diese zehn Sibyllen sind häufig plastisch dargestellt worden. An dem Chorgestühl des Ulmer Münsters finden sich zehn Sibyllenbiisten, die Jörg Syrlin der ältere (1419— 1474) geschnitzt hat. Jede von ihnen hält ein Spruchband, das ihre Prophezeiung, natürlich ganz kurz, in lateinischer Sprache enthält. Diese Art der Darstellung hat die graphische Kunst übernommen. Die erste, im Jahr 1481 in Rom gedruckte Ausgabe der Sibyllenorakel beruht höchst wahrscheinlich auf einer handschriftlichen Ausgabe. Mittlerweile waren die Ans sprüche der Sibyllen so verändert worden, daß sie den Lebens- und Leidensschicksalen Christi entsprachen. Als die älteste dieser gedruckten Sibyllendarstellungen gilt ein Blockbnch, mit dessen Reproduktion sich Paul Heitz in Straßburg, der bekannte Wiedererneuerer alter Drucke, ein neues Verdienst erworben hat.**) Wer von dem idyllischen Rorschach am Bodensee mit dem in die Höhe keuchenden Bahnzug durch das romantische Steinachtal zum erstenmal nach St. Gallen fährt, der ist überrascht von den prächtigen und weitläufigen Bauten, die noch von dem alten mächtigen Benediktiner-Kloster erzählen. Die altberllhmte Stiftsbibliothek, die dem Fremden mit Ausnahme des Sonntags jederzeit geöffnet wird, bietet mit ihren reichen Jnkunabelschätzen, wertvollen Werken und Handschriften eine wahre Augenweide für den Bücher freund. Unter den Kostbarkeiten dieses ehemaligen Klosters, das mehrere Jahrhunderte eine großartige künstlerische und wissenschaftliche Tätigkeit entfaltet hatte, und von denen nur an die Nibelungenhandschrist erinnert sei, befindet sich auch das einzige uns erhaltene Exemplar jener ältesten Darstellung der Orasula LibMina. Die einzelnen Blätter sind auseinander geschnitten, auf leere Papierbogen geklebt und mit einem 1517 in Hagenau gedruckten »Rationariuw *) Vardenhewer in Wetzer und Weltes Kirchenlexikon. 11. Bd. S. 246 u. ff. **) Oraoula LidMina (Weissagungen der zwölf Sibyllen), nach dem einzigen, in der Stiftsbibliothek von St. Gallen aufbewahrten Exemplare herausgegeben von P. Heitz, mit einer Einleitung von W. L. Schreiber. Straßburg, I. H- Ed. Heitz (Heitz L Miindcl). 26 S., 1 Textillustration und 24 Tafeln. 20
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