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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 28.07.1903
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1903-07-28
- Erscheinungsdatum
- 28.07.1903
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- Deutsch
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172, 28. Juli 1903. Nichtamtlicher Teil. 5817 Verleger heißt: »Thron und Altar und vaterländische Ge sinnung« dadurch für bedroht. Aber die von den Jugendschristenausschüssen geübte Kritik ist nur die äußere, auf einem begrenzten Gebiete liegende Erscheinung eines Übels, das auch auf vielen andern Gebieten der Literatur und des öffentlichen, wie privaten Lebens sich unheilvoll bemerkbar macht. Es handelt sich darum, die Ursache des Übels zu erfassen und wo möglich unschädlich zu machen, damit nicht unser ganzes Volk vergiftet wird. Der deutsche Buchhandel mag sich einmal darauf prüfen — es wird meines Erachtens höchste Zeit dazu —, wie weit er mitschuldig ist an diesen Ursachen. Ernst Moritz Arndt — das war ein deutscher Mann mit starken, zornigen Worten — hat einmal im Jahre 1812 oder 1813 gesagt: »Schaden, die man leidet (d. h. die man nicht mit Wort oder Tat bekämpft), sind fast ebenso schlimm, als die, welche man tut.« Die damalige Zeit war hart und rauh, und dementsprechend waren ihre Worte. Ich meine es, als Kind einer jüngern, verfeinerten und parlamentarischen Zeit, auch nicht ganz so hart, sondern ziehe dieses Wort nur vergleichsweise heran. Aber wenn eine Verlagsbuchhand lung in einem Rundschreiben vom Juli d. I. einen Autor dadurch empfiehlt, daß sie von ihm sagt: »Sein höchster Glaube ist die Respektlosigkeit«, und von chm rühmt, daß er keinen Autoritätsglauben besitzt: dann ist die Sache nicht damit abzutun, daß man sie mit dem Mantel der »Kunst« beschönigt. Es gibt unwandelbare sittliche Forderungen, die durch keinerlei sogenannte Kunst angetastet werden dürfen, vor deren Schranken die Freiheit der Kunst vielmehr ihre Grenze finden muß. Es gibt nichts Schlimmeres und Zersetzenderes als Witzeln über alles. Wenn im deutschen Buchhandel im Laufe der letzten Jahre eine große Anzahl von sogenannten Witzblättern ent standen sind, die ihren »Witz« fast ausschließlich auf sexuellem Gebiet suchen, d. h. auf Erregung geschlechtlicher Sinnlichkeit spekulieren — für mich ist das hochverräterische Tendenz, natürlich nicht im Sinne unserer strafgesetzlichen Bestimmungen, sondern dadurch, daß unsere Heranwachsende Jugend durch diese Blätter entsittlicht und entnervt und da durch unwehrhaft gemacht wird —, so weiß ich ganz genau, daß der deutsche Buchhandel als solcher für diese Auswüchse nicht verantwortlich gemacht werden kann. Aber wenn der deutsche Buchhandel diese Giftpflanzen nicht nur toleriert, sondern wenn sogar die Firmen einer großen Stadt öffent lich anzeigen, daß sie sich zum gemeinsamen Bezug eines der widerlichsten dieser Witzblätter zusammengeschlossen haben, dann fällt das m. E. unter das oben zitierte Arndtsche Wort (natürlich in gemildertem, modernem Aus druck, also vielleicht: »dann ist das nicht kalr!« — Ich wähle absichtlich ein Fremdwort.) Die Zettelpakete, und zwar fast jedes ohne Ausnahme, »stinken« jetzt förmlich durch eingelegte Rundschreiben über obszöne und laszive Bücher, Bilder und Postkarten. Namentlich machen sich in jüngster Zeit »masochistische« und »sadistische« Ankündigungen in schreckenerregender Weise darin breit. Immer jedoch wird dabei gerühmt, daß »der Ausdruck sich in den Grenzen des Dezenten — rein Künstlerischen bewegt«, oder wie die Floskeln sonst lauten, mit welchen die Kunst als Staffage hervorgeholt wird. Namen sollen und dürfen an dieser Stelle nicht genannt werden, sonst ließen sich leicht ganze Spalten damit füllen. Und der deutsche Buchhandel schweigt dazu. Kein Wort der Abwehr, geschweige denn der Entrüstung wird laut, wenigstens nicht öffentlich. Soweit ich mich entsinne, war es Kantate 1892, als der nun verstorbene Hamburgische Kollege Christian Borffen in der Hauptversammlung öffent lich dagegen sprach. Damals war es zumeist die populär- Börsenblatl für de» deutschen Buchhandel. 70. Jahrgang. medizinische Literatur sexueller Art, gegen die er sich an jener Stelle richtete, während wir gegen das Eindringen unzüchtiger Schriften vom Auslande die Hilfe des Reichskanzleramtes angerufen hatten, wobei wir Unterstützung durch Unter schriften aus allen Teilen des Deutschen Reichs fanden. Wie viel schlimmer ist es, Gott sei es geklagt, seit 1892 aus diesem Gebiete und im Gebiete des Deutschen Reichs selbst geworden! Und alle diese Veröffentlichungen werden, man achte nur darauf, in den Schutz und Schirm der Kunst gestellt! Da ist der Grund des Übels. Ich behaupte zunächst schlechtweg, daß die Kunst in vielen ihrer Vertreter heute eine alles beherrschende, jeglicher Rücksichten auf Autorität und Pietät, Glaube und Sitte und Vaterland bare Stellung prätendiert und leider zu einem guten Teile auch schon erlangt hat. Ich schränke den Satz aber gleich da durch wieder ein, daß ich der echten Kunst wahrlich keine engen Grenzen durch Prüderie, Frömmelei und dergleichen ziehen möchte. Wenn aber eine Asterkunst sich in den Dienst einer gewinnbringenden Spekulaltion auf niedrige Begierden und Leidenschaften der Menschen stellt, dabei deutsche Art und deutschen Glauben mit Füßen tretend: dann muß diese Kunstausschlachtung bekämpft werden! Um so mehr muß sie das, weil, als vor einigen Jahren gesetzliche Be stimmungen zur Verfolgung solcher Kunstauswüchse ge troffen werden sollten, diese auch vom Buchhandel mit der Begründung zurückgewiesen wurden, daß die Kunst frei bleiben müsse. Natürlich meinte man damit nur die echte Kunst. Von dieser Kunstepidemie, so möchte ich einmal sagen, sind auch weite Kreise der Volksschullehrer ergriffen, was, im Zusammenhang der Entwicklung betrachtet, nicht ver wunderlich ist. Das hat sie dahin geführt, die Jugend schriften nur yach ästhetischen Gesichtspunkten zu beurteilen, und zwar so, wie sie die Ästhetik auffassen und beurteilen. Die »Respektlosigkeit«, der Mangel an »Autoritätsglauben« ist, nach meiner Erfahrung und Überzeugung, dabei in manchen der Ausschüsse stark vorherrschend. Wenigstens habe ich von einem warmen Gefühl für Vaterland und Glauben in den Beurteilungen nichts spüren können. Diese Strömung zu bekämpfen, ist durchaus nötig. Eine Jugend, die mit Ästhetik, mit Kunst aufgepäppelt wird, wird uns ein schlaffes Geschlecht bringen. So sieht es noch nicht aus in der Welt, daß wir unsere Jugend zu künstlerischer Beschaulichkeit erziehen dürften. Die Jugend verlangt auch gar nicht danach, eignet sich, wenn sie gesund ist, auch gar nicht dafür. Für unsere Jugend darf es nicht heißen: Mehr Kunst! Mehr Klinger! Mehr Dehmel!, sondern es muß heißen: Mehr sittliche Kraft (neben der physischen natürlich)! Mehr Blücher! Mehr Arndt! Aber, wie ich schon eingangs bemerkte, ich bin der Meinung, daß die Kunst überall zu breiten Raum be ansprucht, daß sie die Vorherrschaft erstrebt und Gesetze über sich und neben sich nicht dulden will. Es gibt jedoch noch höhere Güter als die, welche die Kunst einem Volke zu bieten vermag. Die sittliche Tüchtigkeit und Empfänglichkeit steht viel höher als die künstlerische Tüchtigkeit und Em pfänglichkeit. Deshalb sollen wir die angestrebte Despotie der Kunst überall bekämpfen, nicht nur im Gebiete der Jugendschriften. Den Auswüchsen der Kunst, jenen ver giftenden und das Mark verzehrenden, wie ich sie oben kurz gekennzeichnet habe, dabei Kampf bis aufs äußerste! Sonst könnte es uns, trotz aller übrigen Reformen im Buchhandel, gehen, wie im Evangelium Matthäi 16, 26 zu lesen ist. Hamburg, 23. Juli 1903. Justus Pape. 772
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