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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 14.08.1901
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1901-08-14
- Erscheinungsdatum
- 14.08.1901
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- Deutsch
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die vor hundert und hundcrtundfünfzig Jahren geschrieben wurden, heute noch ihren Wert; wir lesen sie mit Bewunderung und Interesse und sind uns bewußt, daß unsere Enkel in hundert Jahren an unserer Korrespondenz nicht das gleiche Gefallen finden werden. In jenen Tagen, als trotz des hohen Portos die Briefe so inhaltsreich waren, versuchte die eben entstandene Briefpost der Schreibseligkeit ihrer Klienten dadurch Einhalt zu gebieten, daß sie anfing, das Briefporto nach dem Gewicht zu berechnen. Aber die schreibseligen Leute wußten sich zu helfen, sie erfanden die ganz dünnen Briefpapiere, die deshalb, weil sie die Portoeinnahmen der Post beschnitten, den spöttischen Namen -Postverdruß- er hielten, eine Bezeichnung, die selbst heute noch nicht ganz aus dem Papierhandel verschwunden ist. Auch der -Postverdruß- ist noch nicht ganz verschwunden; heute werden diese dünnen Papiere meist mit dem vornehmeren Titel -überseeisches Briefpapier- belegt, der freilich ebensowenig berechtigt ist, wie ihr älterer Name, denn der Weltpostverein hat selbst für die entferntesten Länder eine besondere Rücksichtnahme auf das Gewicht der Briefe überflüssig gemacht. Aber es gicbt noch immer viele altmodische Leute, die gern auf -Postoerdruß- schreiben; wenn sie dann zudem darauf bestehen, dieses dünne Papier auf beiden Seiten mit schwer leserlicher. Schrift zu bedecken, dann ist der Verdruß nicht auf seiten der Post, wohl aber auf seiten des Empfängers, der derartige Sendungen entziffern muß. Da aber die Welt vorwärts schreitet, die altmodischen Schreiber langer Briefe aussterbcn, und die jüngere Generation sich fast nur noch der Ansichtspostkarten bedient, so sind die Tage des -Postverdrusses- gezählt und er wird bald nur noch der Geschichte angehören. Man kann sich daher fragen, welchen Zweck cs hat, daß ich dieses gewiß nicht mehr zeitgemäße Theina in den Spalten des -Prometheus- wieder zur Sprache bringe. Die Antwort darauf ist einfach, ich sehe nämlich aus der Gegenwart, die keinen Bedarf mehr hat für den -Postverdruß- in die Zukunft und erkenne, daß, wie so viele andere Dinge, die der Vergangenheit angehören, auch der -Postverdruß- wie ein Phönix aus seiner Asche emporsteigen und eine neue Bedeutung für unser geistiges Leben gewinnen wird; freilich erst nachdem er in einen Jungbrunnen hinabgestiegen nnd einer vollständigen Umgestaltung unterworfen sein wird. Es soll hier nicht etwa von den Paus-, Seiden- und Butterbrot papieren und allen den anderen Formen die Rede sein, in denen dünne Papiere uns nützlich werden; ihre Wichtigkeit ist unver kennbar, aber man könnte schwerlich sagen, daß sie auf das geistige Leben der Nationen einen entscheidenden Einfluß ausüben. Es handelt sich für mich um eine sehr viel wichtigere Ausgestaltung der Papicrtechnik, die sich nicht mit einem Worte abthun läßt. Ich habe schon gesagt, daß die Jetztzeit keine Briefe mehr schreibt, d. h. Briefe im höheren Sinne des Wortes, wie unsere Väter und Großväter sie kannten. Unsere Zeit -korrespondiert» nur noch, sie -beehrt sich ergebenst mitzuteilen- u. s. w.. Das Dringendste wird in einen kurzen Satz gefaßt und der Post zu möglichst rascher Beförderung anvertraut. So gelingt es dem Einzelnen, Tag für Tag zwanzig, dreißig und mehr Briefe zu er ledigen, die für den Bedarf des Augenblickes von höchster Wichtig keit sind, aber schon nach wenigen Wochen zur völlig wertlosen Makulatur werden. Unseren Kindern bleibt es Vorbehalten, auch noch die Höflichkeitsfloskeln, die uns als ein Ueberbleibsel aus alter Zeit noch anhaften, aus der Korrespondenz zu entfernen und dieselbe damit völlig farblos, unerfreulich und telegrammartig zu machen. Aber es wäre sonderbar und ein gar schlechtes Zeichen für die Gegenwart und Zukunft, ivenn die Menschheit ganz das Bedürfnis verloren hätte, ihre Gedanken zu Papier zu bringen. Wenn auch die Mehrzahl von uns nur noch -erledigt-, so kommen doch hin und wieder verlorene Momente, in denen wir uns darauf er tappen, über die Dinge dieser Welt nachzudenken. Wenn wir uns aus solchem Idealismus erwischen, dann lassen wir aber das Er sonnene gleich drucken, damit es ja der Nachwelt nicht verloren geht. Auf die Nachwelt rechnen wir dabei deshalb, weil wir von der Mitwelt wissen, daß sie zum Lesen ebenso wenig Zeit hat wie zum Schreiben. Cs wird in der That heutzutage unendlich viel gedruckt, was außer dem Verfasser und dem Setzer kaum ein Mensch je liest. Aber in demselben Maße, in dem wir uns in different gegen alles Gedruckte verhalten, sind wir dafür besorgt, daß es ja nicht verloren gehe; alles mit Rücksicht auf die unglück liche Nachwelt, der wir die Aufgabe zugedacht haben, sich durch unsere ungeheure Produktion an Druckwerken hindurchznlesen. So entstehen Bibliotheken über Bibliotheken, staatliche, städtische, den Behörden, Aemtern und Gesellschaften gehörige, Privatbiblio theken, die ihren Besitzern ein Vermögen kosten, um nach ihrem Tode für den Papierwert (?) an den Antiquar verkauft zu werden, gut und schlecht gehaltene Bibliotheken, mit oder ohne Zettel kataloge, in Leder, Leinwand und Pappe gebunden — kurz: wir ersticken in Bibliotheken. Mancher hoffnungsvolle junge Mann, der noch mit un getrübten Augen in die Welt hineinblickt und den besten Vorsatz hat, für seine Mitmenschen etwas zu leisten, der sich noch gar nicht die Frage vorgelcgt hat, ob er sich auch zu denen gesellen will, die den Wust tausendfältig wiedergcdachter und immer wieder gedruckter Gedanken aufspeichern, läßt sich in einem schwachen Moment dazu verleiten, Mitglied von ein paar Ver einen zu werden, von denen er geistige Förderung erwartet. Sofort wird ihm kostenlos das Vereinsorgan zugestellt. Am Ende des Jahres sind es ein paar Bände, und wenn der hoffnungsvolle junge Mann vierzig Jahre alt ist, dann sitzt er da, begraben in der Gedankenlast seiner Fachgenossen, die ihn längst nicht mehr zu eigenem, originellem Denken kommen läßt. Und wenn wieder zwanzig Jahre ins Land gehen, dann tritt die materielle Schwierig keit hinzu, all das Gedruckte räumlich unterzubringen. Bücher gestelle reihen sich an Büchergestelle, alle Wände sind in Beschlag genommen von einem Schatze, der die Eigentümlichkeit hat, daß wir nach ihm lechzen, wenn wir ihn nicht haben, und dessen wir uns müde und unlustig fühlen, wenn wir uns in seinem Be sitze sehen. Von Zeit zu Zeit kommen freilich Tage, wo wir diesen Schatz als wahren Schatz erkennen, wo wir zu wühlen beginnen in dem geistigen Reichtum und selbst das als einen Segen erkennen, wenn wir nichts anderes darin finden, als die Ueberzeugung, daß unsere geistige Arbeit nur eine Wiederholung von dem ist, was auch hundert andere vor uns geschaffen haben. Mitunter aber em pfangen wir sogar eine Anregung, die uns zu neuem Schaffen anspornt, und dann blicken wir freilich mit Stolz auf die Hunderte von Bänden, die um uns her aufgebaut sind. In solchen Zeiten der Freude am Gedruckten häuft sich um uns her Band auf Band, mitunter fassen wir den Entschluß, uns ganz ins Studium zu versenken, irgend einen stillen Ort auf zusuchen und nur die Bücher mitzunehmen, die uns so wertvolle Gehilfen bei unserer Arbeit geworden sind. Bei solchen Gelegen heiten tritt an die Stelle des Gefühls einer geistigen Last, die uns durch unsere Bibliothek aufgebürdet wird, das nicht minder unerfreuliche einer materiellen. Sechs, acht Bücher schon haben ein Gewicht, das man nicht eine Zeit lang schleppen kann, ohne sich empfindlich ermüdet zu fühlen. Zwanzig, dreißig Werke, die wir auf einer Reise mitnehmen wollen, überschreiten bei weitem das zulässige Freigewicht auf der Bahn. Ein Konversations- Lexikon wiegt fast einen halben Centner und beansprucht etwa ein und ein halb Meter Raum auf unserem Büchergestell — kurz, wir sehen uns überall beengt und behindert durch den körperlichen Umfang nnd das Gewicht der Drucksachen, mit denen wir uns beschäftigen. Je wertvoller die Werke sind, die der Buchhandel in die Welt setzt, desto massiger treten sie in Erscheinung. Dickes Papier, bei Prachtwcrken fast kartonartig, breite Ränder, großer Druck und weiter Zeilenzwischenraum, alles das trägt dazu bei, den Büchern einen widerspenstigen Charakter zu verleihen. Cs kommt hinzu, daß der Verbrauch an Papier dermaßen anschwillt, daß man sich immer mehr fragen muß, ob die Welt auf die Dauer all das Papier wird produzieren können, dessen die Menschheit bedarf. Die Nutzbar machung des Holzes zur Produktion der Papierfascr ist nur ein zeitweiliges, kein dauerndes Auskunftsmittel; schon jetzt muß der Holzreichtum dünn bevölkerter und industriell unentwickelter Länder zu Hilfe genommen werden, um den eigentlichen Kulturländern ihren Bedarf an Papier zu liefern. Wie wird es, so muß man ich fragen, werden, wenn einmal alle Länder Kulturländer sein und in ähnlicher Weise nach Papier jagen werden, wie es heutzu tage nur einige thun? lleberlcgt man cs sich recht, so sieht man, daß hier auf einem neuen Gebiete dieselben Verhältnisse zu stände gekommen sind, wie ie einst in viel bescheidenerem Maße bei unseren briefschreibenden Vorvätern existierten; es ist Zeit geworden, daß wir unsere Produktion an Drucksachen cinschränken, nicht ihrem geistigen Inhalte nach — das läßt sich die Menschheit einfach nicht gefallen —, andern ihrem Gewichte und ihrem Volumen nach. Das Hilfs mittel dazu ist genau dasselbe, durch das unsere schreiblustigen Väter es fertig brachten, trotz der Einführung des Gewichtsportos an ihren langatmigen brieflichen Ergüssen keine Kürzungen vor zunehmen; wir müssen unsere Bücher nicht, wie nian es versucht hat, dadurch leichter und kleiner machen, daß wir mikroskopisch, einen Druck wählen oder knappere Ränder lassen — alles das würde anderweitige Nachteile mit sich bringen —, sondern dadurch müssen wir das erstrebte Ziel erreichen, daß wir statt des dicken Papiers, auf den: wir jetzt bessere Bücher zu drucken pflegen, -Postverdruß- wählen. Aber dieser Postverdruß muß, wie schon gesagt, umgestaltet werden, ehe er seinem neuen Zweck dienstbar- gemacht werden kann. Der Grund, weshalb man heutzutage gute Bücher auf dickes Papier druckt, liegt in der durch scheinenden Natur der Papierfaser; dünnes Papier ist eben
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