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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 08.10.1903
- Strukturtyp
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- 1903-10-08
- Erscheinungsdatum
- 08.10.1903
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- Deutsch
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7872 Nichtamtlicher Teil. 234, 8. Oktober 1908. 2. Die Tätigkeit der Zensur in Rußland vor der Regierung Alexanders II. Tatsächlich stellte sich die Zensur mit dem Erscheinen von Preßerzeugnissen ein, und sogar schon vorher. Als die handschrift liche Literatur des Raskols unter Alexej Michajlowttsch entstand, wurde gegen sie sofort die Strafzensur angewendet. Die geist lichen Synoden und die Moskauer Patriarchen überlieferten die Handschriften dem Anathema, und die weltlichen Behörden erhoben gegen ihre Verfasser Verfolgungen. Außer ihrem Kampf mit den Raskolniken strebte die Moskauer Geistlichkeit auch danach, einige Meinungsverschiedenheiten in Glaubenssachen, die sich in den Werken der Kiewer Theologen zeigten, mit Gewalt zu beseitigen. Einige solche Werke wurden, weil man in ihnen die Einflüsse der »lateinischen*) Häresie- sah, den Flammen übergeben. Die Re formen Peters des Großen fanden in der Masse des Volks sehr wenig Beifall, was das Erscheinen vieler Pasquille hervorrief. Peter unterdrückte eine solche Opposition mit den strengsten Mitteln, wobei nicht nur die Pasquille selbst, sondern auch ihre Verfasser betroffen wurden, die man zu ermitteln suchte und harten Strafen unterzog. In der Absicht, die Teilnahme der Mönche an der Herstellung der oppositionellen Literatur zu hindern, erließ er 1701 einen Ukas mit folgendem Wortlaut: »Damit es den Mönchen nicht möglich ist, in den Zellen Schriften zu schreiben, werden sie dort weder Tinte noch Papier haben; aber im Speise saal wird es einen bestimmten Platz zum Schreiben mit Bewilligung des Obern geben.« Die Verbreitung weltlicher Bücher, besonders solcher über praktische Wissenschaften, hinderte Peter nicht, sondern förderte sie in jeder Weise. Die Buchdruckerei der Akademie der Wissenschaften entzog er dem Einfluß der Geistlichkeit vollständig. Peter selbst war nicht nur der Begründer, sondern auch der Re dakteur und sogar der Korrektor der ersten russischen Zeitung, der -8t. kstsrburAsirijs, 1Vjoäowo8ti« (St. Petersburger Nachrichten).**) 1742 erfolgte die Verordnung der Kaiserin Elisabeth, daß die 8t. kstsrbui-Asüija Wjeäomosti vor ihrem Erscheinen von dem -Senatskontor« durchgcsehen werden sollten, was dadurch veranlaßt war, daß in der Zeitung einige llngenauigkeiten in Bezug auf die allerhöchsten Belohnungen zuyelassen worden waren; aber die Zensur des Senatskontors erstreckte sich augenscheinlich auch nur auf den Teil der offiziellen Nachrichten. Besondere Beilagen zu den 8t. ?stsr- burAsüija'lVjsäomosti mit dem Titel »Bemerkungen« u. dergl. (die Titel wechselten mehrmals) erschienen unter persönlicher Verant wortung der Redakteure. Das konnte auch nicht anders sein, weil die damaligen besten geistigen Kräfte des Landes — Tredjakowskij, Lomonossow u. a. — in einer zu sehr bestimmten und abhängigen Beziehung zu der Regierung standen, als daß die Besorgnis irgend einer Opposition von ihrer Seite Platz greifen konnte. Alles, was an Zwischenfällen bei der Herausgabe der Journale Vorkommen konnte, hatte seinen Grund nur in der verletzten Eigenliebe der Akademiker selbst und in ihren gegenseitigen Zwisten. Die da mals herausgegebenen Journale wurden bald der »Durchsicht» dieses oder jenes Akademikers, bald aller gemeinsam empfohlen. Derselben Akademie (anfangs in der Person des Akademikers Popow, dann Koschelnikows und Rasumowskijs) wurde auch die Aufsicht über die Privatpublikation Sumarokows, die »M'juckoljubi- naja ktsoüsla« (Arbeitsame Biene) übertragen. Die Zwiste mit Lomonossow, der sich das ihm nicht zukommende Recht, die »Irjuä. ktsobsla« zu kritisieren aneignete, führten bald zum Aufhören von Sumarokows Zeitschrift. Genaue Regeln, die den Bezug von Büchern aus dem Auslande bestimmten, gab es nicht. Es lag auch kein einziger Fall gerichtlicher oder administrativer Verfolgung wegen einer Veröffentlichung von Werken vor. Das ist auch ganz begreiflich, weil die gesamte Literatur damals einen offiziellen oder halboffiziellen Charakter hatte und deshalb auch die Be hörden zu ihr eher eine beschützende Stellung einnahmen. Es kamen Verbote von Büchern vor; aber bei der allgemeinen Schwer fälligkeit, Trägheit und Unwissenheit der Gesellschaft riefen solche Vorfälle nicht die geringste Unzufriedenheit hervor. Als Elisabeth 1748 den Ukas erließ, daß diejenigen »russischen und ausländischen Bücher, in denen während der frühern zwei Regierungen bekannte Personen erwähnt werden, der Uss-soiouoos-Akademie vorzulegen sind-, wurde in die Akademie ganz freiwillig eine Menge von Büchern und sogar Karten gebracht, die, wie der Senat bald darauf erklärte, gar nicht der Vorlegung unterlagen. Unter Elisabeth wurde auch verboten, -Artikel über die Vorgänge am Hofe Ihrer Kaiserlichen Hoheit« zu drucken, was aber ganz spur los vorüberging. In den ersten neun Jahren der Regierung Katharinas U. *) »Lateinisch« ist in russischen theologischen Werken soviel wie »römisch-katholisch«. **) S. «Zweihundertjähriges Jubiläum der russischen Zeitungs presse« im Börsenblatt 1902 Nr. 269. herrschte dasselbe System und entwickelte sich sogar noch weiter. Aber schon in dem Ukas der Kaiserin vom 6. (17.) September 1763 klang eine gewisse Dissonanz durch: -Es verlautet, daß in der Akademie der Wissenschaften Bücher verkauft werden, die gegen das Gesetz, gegen die gute Sitte, gegen Uns selbst und die russische Nation gerichtet und in der ganzen Welt verboten sind, wie z. B. Rousseaus Emile, die Memoiren Peters III., die Judenbriefe in französischer Sprache und vieles Ähnliche. Und bei den freien Buchhändlern hier und in Moskau sind vermutlich noch mehr solche Bücher, die der Sittenverderbnis dienen, weil diese Läden keinem Ressort unterstehen. Und so ist der Akademie der Wissen schaften aufs strengste zu befehlen, daß sie darauf achte, daß in ihrem Buchladen solche Ungehörigkeiten nicht Vorkommen, und den übrigen Buchhändlern ist zu befehlen, daß sie alljährlich an die Akademie der Wissenschaften und an die Moskauer Universität Register der Bücher einsenden, die sie zu bestellen gedenken, und jene Anstalten sollen in diesen Registern diejenigen Bücher aus streichen, die gegen das Gesetz, die gute Sitte und Uns selbst sind. Und wenn hiernach ein Übertreter dieses Gebots bei dem Verkauf solcher Bücher betroffen wird, so ist der ganze Laden zu konfis zieren und zum besten des Waisenhauses zu verkaufen. Es wird übrigens dem Senat erlaubt, zu erwägen, was er zur Aus führung dieses Ukases für das Beste erachtet.« Die bald darauf folgende Übertragung der Zensur auf die Polizei rief nach einigen Jahren die folgende Bemerkung Radischtschews hervor: »ein ein ziger Polizeiwachtmcister kann den größten Schaden in der Auf klärung anrichten und den Gang des Verstandes auf viele Jahre hemmen: eine nützliche Erfindung, eine neue Idee verbieten und allen Großes entziehen.« 1784 wurde verboten, in den »Noslron- süija IVjsäomostr« (Moskauer Nachrichten) die »Geschichte des Jesuitenordens« zu drucken. 1785 beginnen die Verfolgungen Nowikows und der Moskauer Martinisten; 1787 erhielt Chrapo- mizkij den Befehl, »nach Moskau zu schreiben, es solle der Verkauf aller Bücher, die sich auf die Heiligtümer beziehen, aber nicht in der Synodaldruckerei gedruckt sind, verboten werden.« 1790 wurde Radischtschew in Fesseln nach Jlimskij Ostrog verschickt, weil er sein berühmtes Buch »Reise von Petersburg nach Moskau hatte drucken lassen, und das Buch selbst wurde verbrannt; 1792 wurde Nowikow auf 15 Jahre in die Festung Schlüsselburg ge setzt; 1793—1796 schmachteten 11 Buchhändler im Kerker (Koltschugin, Pereplcttschikow u. a.), weil bei ihnen verbotene Bücher gefunden worden waren; 1793 wurden 18 656 Exemplare verschiedener, als schädlich erkannter Bücher verbrannt; in demselben Jahre wurde Knjashinins Tragödie -Wadim« vernichtet. Die Regierung Pauls ist noch durch eine größere Vernichtung bezeichnet. Krylow, der schon unter Katharina seine Fabeln zu drucken begann, versteckte sich jetzt in der Provinz. Verschickung nach Sibirien hatte auch der berühmte Kotzebue zu erdulden, nur weil er einige Beziehung zur Literatur hatte. Bei der Person des Kaisers wurde ein besonderer »Rat Seiner Majestät« errichtet, dem alle Bücher vorgelegt werden sollten, die von der Zensur nicht erlaubt waren oder sogar nur Bedenken bei ihr erregten. Als unter Alexander I. das Ministerium der Polizei errichtet wurde, zu dessen Obliegenheiten es unter anderin gehörte, den Umlauf derjenigen Bücher zu kontrollieren, die, -wenn auch von der Zensur erlaubt, doch Anlaß zu verdrehten, der allgemeinen Ord nung und Ruhe zuwiderlaufenden Auslegungen gäben«, wurde die Konfiskation von Büchern, die schon die Zensur passiert hatten, zu einer gewöhnlichen Erscheinung. Noch verwickelter stand die Sache mit den in den Handel gebrachten Büchern in fremden Sprachen. Das Gesetz von 1804 schrieb den Buchhändlern ganz dunkel vor, nicht mit Büchern zu handeln, »die den Vorschriften zu wider sind-, und daß sie der Zensur von Zeit zu Zeit ihre Kataloge vorlegen sollten. Die Zensurinstitute hatten keine Möglichkeit, sich über alle in Europa erscheinenden Bücher auf dem Laufenden zu halten und sie in »unschädliche« und »schädliche« zu sondern, und deshalb konnten die Buchhändler von ihnen keine einigermaßen bestimmte Anweisungen er halten. Dabei drohte ihnen wegen Nichterfüllung des »Gesetzes« fortwährend »die Gefahr einer strengen Verantwortung und Be strafung nach den Gesetzen«. 1806 wurden bei dem Buchhändler Dienemann einige Exemplare des deutschen Werks -Der Feldzug von 1805« gefunden, der als ungünstig für die russische Armee anerkannt war. Gleich darauf richtete der russische General Wjasmitinow folgende Zuschrift an den Gouverneur: »Auf Aller höchsten Befehl Seiner Majestät des Kaisers wollen Sie anordnen, daß der hier mitfolgende Buchhändler Dienemann ins Ausland verschickt wird.« Auf Wunsch des Zensurkomitees selbst gab die Hauptverwaltung der Schulen einem Dresdner Buchhändler den Auftrag, der russischen Zensur Mitteilungen über Bücher zu machen, die einen (vom Standpunkt der Zensur aus) unzulässigen Inhalt hätten. Dies nützte natürlich nichts und rettete die Buch händler nicht vor einer Menge von Konfiskationen. (Fortsetzung folgt.)
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