Suche löschen...
Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 09.04.1900
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1900-04-09
- Erscheinungsdatum
- 09.04.1900
- Sprache
- Deutsch
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id39946221X-19000409
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id39946221X-190004093
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-39946221X-19000409
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungBörsenblatt für den deutschen Buchhandel
- Jahr1900
- Monat1900-04
- Tag1900-04-09
- Monat1900-04
- Jahr1900
- Links
-
Downloads
- PDF herunterladen
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
2800 Nichtamtlicher Teil. 82, 9. April 1900. schränkte, zu früher ungeahnter Mannigfaltigkeit, zur Em pfindung der zartesten Abstufungen entwickelt. Es wäre bedauerlich, wenn dieser Reichtum der Organisation in der Folge der Zeiten eine Rückbildung erfahren sollte, wie wir sie nach dem Höhepunkte griechisch-römischer Kunst während eines Jahrtausends auf dem Gebiete der Plastik wahrnehmen konnten. Befürchtungen in dieser Richtung sind in der That nicht unbegründet. Das Untersuchungsfeld hierfür war seit einem Dritteljahrhundert besonders Frankreich für Charcot und seine Schule; sie stellte den pathologischen Zustand des Auges fest, in dem der Degenerierte alles ohne feste Umrisse wahrnimmt (k^skagmus), ferner die Farbenblindheit (^ollro- wstoxsie), derzufolge der Maler alles fahl und einförmig grau, wenn auch in gewissen Helligkeitsabstufungen, empfindet Auch das tosende Gelb-Blau-Rot des Impressionisten Besnard erklärte uns in ihren letzten Ursachen Gilles de la Tourette durch den Hinweis darauf, daß diese Farben am ermüdeten oder gestörten Auge als »peripherische« an den äußersten Teilen der Netzhaut am längsten fortwirken.*) Wir besitzen seit einem halben Jahrhundert also in der That eine Anzahl Werke der Malerei, die nicht nur dem Mißverstände über Ziele und Zwecke der Kunst entstammen, sondern thatsächlich ungesunden Eigenschaften und Richtungen der Seele und ihren neuropathischen oder degenerierten Sinnesorganen. Sind wir zu dieser Erkenntnis gelangt, so haben wir für vieles Auffällige in der modernen Farben prophetie hinreichende Erklärung gefunden. Wir werden ihr dann auch nicht mehr die Wahrheit ihrer eigenen Empfindung bestreiten. Wir lehnen uns aber nach wie vor dagegen auf, ihre überreizten Organe des Gehirns als Medium für unsere Wahrnehmungen irgendwie anzuerkennen und damit unsere gesunden Sinne zu verabschieden. Bei einen: Volke schwerer, ausdauernder Arbeit, wie wir Deutsche es sein müssen, haben derlei degenerative Elemente hoffentlich nicht lange Bestand. Auch sind die meisten unserer Sezessionspraktiker ganz gesunde Naturen, die nur dem Nachahmungs- und Bequemlichkeitstriebe unterliegen. Die Wellen der sogenannten neuen Litteratur- und Kunst-Aera werden wieder ruhiger dahingehen, wenn wir, Auge in Auge mit der Vollnatur unserer großen Dichter, den Gespenstern der Entartung, wie sie uns in der Dichtung hauptsächlich vom Norden her, in der Kunst vom Westen und Nordwesten aus im Augenblick gefangen nehmen, mit erfrischten, einheitlicheren Sinnen entgegentreten. Der Kunst ihre Zukunftsaufgaben vorausbestimmen zu wollen, werden wir uns nicht anmatzen. Jede Zeit hat hierin ihre Bedürfnisse, und in der Gegenwart hat es an Aufträgen für die Oeffentlichkeit unseren deutschen Künstlern wahrlich nicht gefehlt. Für die Kleinarbeit aber wird unser größter Dichter in seinem glücklichen Triebe, der Natur in ihrer Körper- und Seelenschöne, in ihrer Erhabenheit und in ihrem schaffenden Wechsel nachzugehen, uns ein Weg zeiger bleiben. Er mahnt die schöpferische Nachwelt, sich dem Werdeprozeß alles »Menschlichen, selbst mit all seinen Irrungen« anzuschließen, das Zerstörende aber nicht als Hauptsache zu behandeln! In seinen Charakterverschieden heiten bewegen sich Menschen von Fleisch und Blut, und insofern unsere modernen Dichter ähnliche Gestalten in einer bemerkenswerten Eigentümlichkeit ihres Seelenlebens uns vorführen, haben sie mit ihren Werken volle Berechtigung. Alle Bemühungen um »neue Ziele« werden sich als unfrucht bar erweisen und ins Abenteuerliche Umschlagen, wenn sie unkörperliche, schattenhafte Probleme, wenn sie mit Vorliebe *) Ueber die Seelenzustände der -neuen Literatur- und Kunst- aera- gicbt uns Max Nordau in seinem Werke -Entartung, 2 Bde., 1826- die interessantesten Aufschlüsse. die Rück- und Verbildungen des Natürlichen erfassen. Auch soll die Kunst zwar in Formen der Wahrheit zu uns reden, aber uns mehr darreichen, als auf der Straße aufgelesene be deutungslose Zufälligkeiten! Wir verlangen für ihre »Bil dungen« neben der Handfertigkeit, die sie hervorbrachte, eine schöpferische Zuthat, die auch das Kleinste, 'Geringste zu einer gewissen Bedeutung erhebt. Kleine Mitteilungen. Vom Reichsgericht. Vergehen gegen das Postgesetz. (Nachdruck verboten.) — Der seltene Fall, daß das Reichsgericht im Revisionsverfahren selbst auf eine höhere Strafe, als die von der Vorinstanz festgesetzte, erkennt, ereignete sich in der Sitzung des 2. Strafsenats am 6. April d. I. Es handelte sich um den folgenden Fall. Der Kaufmann Richard Siering in Berlin, der ein Schreibmaschinengeschäft be treibt, wollte im Frühjahr 1897 seinen Reisenden nach Hamburg senden, vorher aber die Interessentenkreise durch ein Rundschreiben aufmerksam machen. Dieses Rundschreiben hatte er durch Buch druck Herstellen lassen und die einzelnen Exemplare hatte er in unverschlossene und mit Adressen versehene Umschläge thun lassen. Von dem Inhaber der Hamburger Privatpost, dem Kaufmann Günther, hatte er sich 4000 Privatpostmarken senden lassen, die dann auf die Couverts geklebt wurden. Die größere Hälfte der Sendungen, die zusammen 9550 Stück ausmachten, blieb zunächst noch ohne Marken. Alle zusammen wurden in zwei große Kisten gepackt und sollten so nach Hamburg gesandt werden. Da die Abreise des Vertreters sich verzögerte, so benutzte der An gestellte Sierings Wehnert seine freie Zeit dazu, um einen großen Teil der Couverts zu verkleben, da sie in Hamburg verschlossen den Adressaten zugestellt werden sollten. Siering selbst will von diesem Zukleben keine Kenntnis erhalten haben. Im September 1897 gingen dann die beiden Kisten mit den Briefen als Eisen bahnfrachtgut nach Hamburg ab, wurden von dem Reisenden Sierings in Empfang genommen und an Günther weiterbefördert, der die einzelnen Briefe, nachdem sie sämtlich verschlossen worden waren, durch seine Boten den Adressaten zustellen ließ. Später erfuhr die Postbehörde von diesen Manipulationen, und auf ihre Veranlassung wurde gegen Siering, Günther und Wehnert An klage wegen Vergehens gegen das Postgesetz erhoben. Das Landgericht I in Berlin hat am 22. August v. I. Sie ring zu einer Geldstrafe von 1146 und zum Ersatz des de- fraudierten Portos in Höhe von 286 X6 50 H verurteilt, die beiden Mitangeklagten dagegen freigesprochen. Briefe, verschlossene wie unverschlossene, dürfen nach dem Postgesetze von einem Postorte nach einem andern nur durch die Post versandt werden. Hiergegen hat Siering gefehlt, indem er die einzelnen Sendungen zusammengepackt durch die Eisenbahn nach Hamburg gesandt hat. Daß die Couverts teilweise verklebt waren, ist ihm vom Gerichte nicht zugerechnet worden, da ihm eine Kenntnis von dem erwähnten Thun Wehnerts nicht nachgewiesen worden ist. Zu Gunsten Sierings hat das Land gericht angenommen, daß nur das Porto für 9550 Drucksachen sendungen zu je 3 ^ defraudiert worden sei, und als Strafe den vierfachen Betrag von 9550X3 H festgesetzt. Das Gericht ging dabei von der Erwägung aus, daß S., wenn er die Versendung durch die Reichspost gewählt hätte, sicherlich diese nur durch Buch druck hergestellten Rundschreiben als offene Drucksachen versandt haben würde. Neben der Geldstrafe hat das Gericht noch auf den Ersatz des defraudierten Portos erkannt. Wehnerts Frei sprechung erfolgte, weil seine Thätigkeit lediglich als straflose vor bereitende Handlung angesehen wurde. Der Angeklagte Günther wurde deshalb freigesprochen, weil ihm, der nur in Hamburg durch den dort anwesenden Reisenden Sierings die Briefe zuge stellt erhalten hatte, nicht nachgcwiesen werden konnte, daß er Kenntnis von dem Versand der Briefe von Berlin aus hatte. Gegen das Urteil hatte Siering Revision eingelegt. Sein Verteidiger plaidierte für Freisprechung, da der Dolus gefehlt habe. Siering behauptet nämlich, er habe einen Postinspektor ge fragt, ob er offene Briefe resp. Drucksachen mit der Eisenbahn nach auswärts senden dürfe und diese Frage sei bejaht worden. Der Reichsanwalt machte hiergegen geltend, daß es sich dabei um einen Irrtum Sierings über das Strafgesetz handle, der ihn nicht vor Bestrafung schlitze. Das weitere Vorbringen des Ver teidigers, daß als defraudiert höchstens das Paketporto angesehen werden könne, wurde vom Reichsanwalt unter Hinweis auf die neuere Rechtsprechung als unbegründet bezeichnet. Gegen das Urteil hatte aber auch der Staatsanwalt Revi sion eingelegt. Er war der Ansicht, daß als defraudiert nicht das Porto für Drucksachen, sondern das für geschlossene Briefe anzusehen sei, da der Wille des Angeklagten Siering dahin ge gangen sei, jedem Adressaten einen verschlossenen Brief zustellen
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder