Suche löschen...
Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 20.03.1905
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1905-03-20
- Erscheinungsdatum
- 20.03.1905
- Sprache
- Deutsch
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id39946221X-19050320
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id39946221X-190503206
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-39946221X-19050320
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungBörsenblatt für den deutschen Buchhandel
- Jahr1905
- Monat1905-03
- Tag1905-03-20
- Monat1905-03
- Jahr1905
- Links
-
Downloads
- PDF herunterladen
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
^ 66, 20. März 1905. Sprechsaal. 2733 trugen eifrige Sammler wie Cicero, Ciceros Freund Atticus und andre einzelne »Bücher« zu Bibliotheken zusammen, vielleicht auch schon, ohne sie zu lesen, und nur aus Freude am bloßen Besitz. Die Freude am Besitz ist die stärkste Triebfeder jedes Sammelns, und das Interesse des Buchhandels erheischt es, die in dieser Form auftretende Bibliophilie in jeder Weise zu hegen und zu pflegen. Da es nun unbestrittene Tatsache ist, daß es einen erschreckend großen Prozentsatz von Menschen gibt, dem der Besitz eines Buches die gleichgültigste Sache von der Welt ist, so muß es sogar die Hauptaufgabe des Buchhändlers sein, solche Sammler zu schaffen, die in echter Freundschaft dem Buch zugetan sind. Wer aber ist ein echter Bücherfreund? Derjenige, der mit dem Buch umgeht wie mit einem wahren Freund, der, um dies zu können, das ureigenste innere Wesen des Buches erfaßt hat, d. h. es für den besten Freund des Menschen hält, gleichviel (und darauf kommt es hauptsächlich an!) wie die äußere Form des Buches sei, — er wünscht, das Buch zu besitzen in allererster Linie seines innern Werts, nicht seines Kleides wegen, und er verlangt nicht, daß das Buch in Frack und Claque vor ihm erscheine, damit es seines Umgangs würdig sei. Diese Defi nition trifft auf einen großen Teil der modernen Bibliophilen leider nicht zu. Der moderne Bibliophile liebt nur erst dann das Buch, wenn es infolge seiner Seltenheit (die eine eingebildete und eine wirk liche sein kann) und seines hohen Preises wegen der wi86ra pledg nicht zugänglich ist. Der Bibliophile früherer Zeiten hat diese Leidenschaft, wie nicht bestritten werden kann, ebenfalls gehabt, aber der moderne Bibliophile geht nahezu ausschließlich auf solche Kostbarkeiten und läßt alles andre unbeachtet liegen. Das kommt recht deutlich zum Vorschein, wenn man die jüngsten Blüten der Bibliophilie betrachtet, die Sucht nach ersten Ausgaben und nach Büchern mit Holzschnitten. Wenn der selige Sebastian Brant das erlebt hätte, würde er auf seinem Narrenschiff sicher auch den Holzschnittnarren erwähnt haben; denn was kann es Närrischeres geben, als die erste Ausgabe eines Buchs mit dem vielfachen Preise der zweiten zu bezahlen, obwohl man weiß, daß die Holzschnitte in beiden Ausgaben gleich gut sein müssen, weil sie in beiden von ein und demselben Galvano gedruckt sind! Da nun gottlob jedem Narren seine Kappe gefällt, brauchte man sich nicht zu ereifern, wenn nicht jene Manie eine große Gefahr für den Buchhandel in sich schlöffe, eine Gefahr, vor der zu war nen es die höchste Zeit ist. Aus einem guten, am Schluß dieses Artikels genau bezeich nten Grunde ist der Bibliophile von heute ein ungeheuer eifriger Proselytenmacher, der seine auf ganz bestimmte Äußerlichkeiten gerichtete Schule stetig zu vergrößern sucht und damit Hand an die Lebenswurzel des noch von einer andern Seite arg be drängten Durchschnittsbuchs legt. Von dieser andern Seite droht ein sehr gefährlicher Gegner, der, wie jeder wahre Bücherfreund mit Bedauern längst bemerkt haben wird, von Tag zu Tag an Macht gewinnt, und das ist die Tagespresse. Die Tagespresse (hier sollte jeder Buchhändler drei Kreuze schlagen) wird den Buchhandel mit Haut und Haar verschlingen, wenn er sich nicht mehr dagegen wehrt als bisher. So wie die Sache heute steht, hat der auf eine große Tageszeitung abonnierte Durchschnittsmensch überhaupt nicht notwendig, seinen Fuß in eine Buchhandlung zu setzen; denn die großstädtische Tagespreffe bringt ihm alles ins Haus, zum Teil sogar jetzt schon viel mehr, als er braucht. Von dem das Kochbuch ersetzenden Küchenzettel angefangen, durch alle Schattierungen der schöngeistigen Literatur hindurch bis zur Musikbeilage und zum medizinischen und juri stischen Ratgeber. Wer nicht täglich über vierundzwanzig Muße stunden verfügt, ist gar nicht in der Lage, alles das zu sich zu nehmen, was ihm der geschäftige Journalist mundgerecht, sehr mundgerecht sogar, vorsetzt. Außerdem geht nun noch Hand in Hand mit der täglich wachsenden Tagespresse die Manie des Bilder betrachtens, eine Manie, der ja einige der neuesten Zeitschriften ihre Riesenerfolge verdanken. Für ein Bildchen verkauft der moderne Mensch seine Erstgeburt; aber es darf beileibe kein Text dabei sein. Am Bildchen (wo es verschämt auftritt, auch Buch schmuck genannt) befriedigt heute eine erdrückend große Menge ihre geistigen Bedürfnisse, und aus diesem Stumpfsinn rüttelt sie höchstens ein oder der andre literarische Skandal, den sie dann Börsenblatt für den deutschen Buchhandel. 72. Jahrgang. mit Gier hinunterwürgt, um für eine lange Zeit wieder alles zu meiden, was mit einem wirklichen Buch auch nur eine ent fernte Ähnlichkeit hat. Es ist ja auch eine gar zu schlimme Sache, so ein Buch. Hat man es gelesen, so »liegt es herum«, »nimmt Platz weg«, und die bekanntlich nur von der Sucht, »schnell und mühelos reich zu werden,« befangenen Antiquare geben nichts dafür, wenn man es verkaufen will. Dominiert das Bilderanstieren heute doch schon so, daß kaum jemand es wagt, einen Vortrag zu halten, er sei wissenschaftlich oder populär, der nicht von einer ganzen Serie von Lichtbildern gestützt wird! Alle diese Leute, der Zeitungsleser und die Bilderjockel, sind für das Durchschnittsbuch verloren, und auf der andern Seite steht als verhätschelter Liebling des Buchhandels der Bibliophile mit seinen ins Ungeheure geschraubten Ansprüchen, die zu befriedigen oft ein Ding der Unmöglichkeit ist. Wir müssen also vor allen Dingen danach streben, in den Leuten, die unsre Schwelle glücklich überschritten haben, wahre Bücherfreunde großzuziehen, und sollen uns ja hüten, die heutige Bibliophilie in solche Kreise hineinzutragen, die jetzt noch Sinn können, und die sich zu Torheiten verleiten lassen, die die Freude an einer nur dem Inhalte nach geschätzten Bibliothek nicht auf- kommen lassen. Wer über unbeschränkte Mittel verfügt, der soll wer aber als gewöhnlicher Sterblicher nur einen kleinen Etat für Bücher hat — und bei den heutigen Lebensverhältniffen sind das doch die meisten —, den sollen wir mit allen Kräften abhalten, sein schranke zu lassen, nur damit er sagen kann, er besitze von einem Buche, das er vielleicht nie lesen wird und nie zu lesen wünscht, die erste Ausgabe. Der wirklich lüsterne Seltenheitenjäger wird Käufer sollen wir nicht künstlich verkrüppeln, indem wir ihn des augenblicklichen Vorteils wegen auf Seltenheiten Hetzen. Man wird mir entgegnen (und an dieser Stelle ist das schon öfters erwähnt worden), wir sollten froh sein, daß wir nun endlich auch in Deutschland Bibliophilen hätten, die auf Auktionen und im Handel hohe Preise willig zahlen, und es wäre Unsinn, so etwas nicht zu fördern. Wer das behauptet, ist kurzsichtig; der Fall sein wird, auch die Delikatessen nicht mehr reizen, können wir unsre gesamten Bücherlager ins Wasser versenken, dort, wo es am tiefsten ist. Es ist keine Kunst, und das muß hier einmal betont werden, in gewissen Büchern eine Hausse zu schaffen und nachher mit den erzielten Preise urdi et ordi Parade zu machen, indem man sich als großen Antiquar preisen läßt; Kunst aber ist es, als Buchhändler so tätig zu sein, daß man erzieherisch auf die leider in so geringer Anzahl vorhandenen Bücherkäuser einwirkt in der Richtung, daß man die Bücherliebhaber zu Bücher- freunden macht, zu solchen Freunden, die ein einmal gelesenes Buch nicht als Last empfinden, sondern sich seines Besitzes freuen, ohne zu fragen, ob es ein Galakostüm trägt oder einen schlichten Rock. Es geht ein bedenklicher Zug durch die moderne Bibliophilie, der Paroenüzug, Äußeres dem Innern vorzuziehen, und das rührt an den Grundgedanken des Buchs. Und leider wird dieses dem Buche außerordentlich schädliche Bestreben von Tag zu Tag mehr Anhänger bekommen, in dem Maße, als die humanistische Bildung von der Realbildung zurückgedrängt wird; denn von jeher waren es fast nur die humanistisch Gebildeten, die am Buche hingen, mochte das Buch gekleidet sein, wie es wollte. Wenn erst die Leute mehr Oberwasser bekommen werden, die auf der Real schule gelernt haben mit einer handvoll Formeln einen Brücken bogen zu konstruieren oder einen Hochofen zu Heizen, dann kann der Buchhandel eine Trauermesse halten und sich begraben lassen; der moderne Bibliophile wird ihn nicht viel vermissen, denn Se. Majestät der Herr Techniker werden sicher noch das Problem lösen, eine komplette Schillerausgabe herzustellen, die nur 50 Gramm wiegt und dabei doch so dick und weich ist, daß man 362
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder