9138 Nichtamtlicher Teil. 238, 12. Oktober 1905. nicht schwer zu erkennen. Jeder Besitzer eines Geschäfts ist dem ausgesetzt, daß seine Geschäftsverhältnisse der Kon kurrenz bekannt werden. Jeder Beliebige, eventuell auch zu künftige Konkurrent oder sonst ein guter Freund braucht nur einen Gehilfen vorzuspannen, um sich über das ihn interessierende Geschäft zu orientieren, über den Umfang, den Kundenkreis usw. Dadurch, daß die Auskünfte seitens der Mitglieder auch an den Ortsgruppen - Vorsitzenden der Allgemeinen Vereinigung gehen können, erhält der betreffende junge Mann einen Einblick in die Verhältnisse der Geschäfte am Platze. Die Versicherung der Geschäfts stelle: »Die Erhebung ist streng vertraulich« ist im besten Fall eine Selbsttäuschung. Jedes Mitglied kann Auskunft verlangen (für telegraphische Auskünfte ist eine besondere Numerierung vorgesehen), und wie es letztere verwendet, kann die Leitung der Allgemeinen Vereinigung nicht kon trollieret!, ebensowenig wie die Qualifikation der Auskunstertciler. Es ist klar, daß es zur Untergrabung jeder Autorität führen muß, wenn die Angestellten angeleitet werden, Be richte über die Zustände im Geschäft zu erstatten; der Ge hilfe oder Schreiber fühlt sich da zum Aufseher über seinen Prinzipal gesetzt. Auch wenn ihm vieles unbekannt ist, so wird er eben angeleitet, auszuspüren, was er nicht weiß, und kommt sich dabei noch wichtig vor. Vom gesunden Sinn der Gehilfenschaft zeugt es, daß seitens der Geschäfts stelle häufig über den Mangel an Auskünften geklagt wird. Das ist ein Beweis, daß viele unter den Gehilfen eine deutliche Empfindung davon haben, daß sie durch die Aus füllung der Stellenbeschreibungsbogen eine Pflichtverletzung begehen. Daß diese Auskunfterteilung von der Leitung der All gemeinen Vereinigung so eifrig betrieben wird, hat aber offenbar seinen Grund nicht allein in dem Bestreben, die Gehilfenschaft im Kampf ums Dasein zu unterstützen — das wäre vielleicht noch ein mildernder Umstand —, sondern sie ist zugleich ein neuer Versuch, den Prinzipalen gegenüber den Aufseher zu spielen. Dies Bestreben kann man, wenn man das Vorgehen der Allgemeinen Vereinigung verfolgt, öfter beobachten; es ist erst kürzlich wieder hervorgetreten bei einer an sich guten und löblichen Einrichtung. Bald nach Begründung der Allgemeinen Bereinigung wurde eine Aufforderung an die Chefs gerichtet, ihren Angestellten im Sommer Urlaub zu erteilen. Diese Anregung fiel auf fruchtbaren Boden, soweit derartige Einrichtungen nicht schon vorhanden waren. Im vorigen oder vorletzten Jahre aber war der Aufforderung ein Er suchen beigefügt, der Geschäftsstelle mitzuteilen, ob und wie viel Urlaub erteilt würde. Eine Anzahl Chefs ging hierauf ein, und was war das Ergebnis? Der Geschäftsführer der Allgemeinen Vereinigung setzte sich hin, um in einem längern Aussatz die ihm freiwillig gemachten Angaben zusammen- zustcllen und den Chefs, die Einwendungen gemacht hatten, gute Lehren zu geben, wieviel Urlaub sie zu geben hätten, usw. Daß er die Verhältnisse in den einzelnen Geschäften gar nicht beurteilen konnte, störte ihn hier wie in andern Fällen nicht im geringsten. Die Allgemeine Vereinigung erscheint dadurch im Lichte einer Aufsichtsbehörde. Ich komme zum Schluß So freundlich man, wie es beim Einsender der Fall ist, den Bestrebungen zur Besserung der Lage der Gehilfin gcgcnübersteht, so scharf muß ma» sich gegen die geschilderten Übertreibungen wenden. Die Er haltung patriarchalischer Zustände ist heutzutage nicht mehr möglich, ja nicht einmal wünschenswert; immerhin aber liegt die Erhaltung eines auf gegenseitigem Vertrauen be ruhenden Verhältnisses im beiderseitigen Interesse, und daß die charakterisierten ebenso einseitigen wie unzuver lässigen Auskunfterteilungen das denkbar unge eignetste Mittel sind, ein solches Vertrauen wachzurnfen oder zu erhalten, dürfte jedem klar sein, dessen Blick nicht durch der Parteien Haß nnd Gunst getrübt ist. VviMielini» <>6i' ini ^Eikinimvi' LiMolstel! äes Lorsenvereins äer Deutscüen kuciibänäler iuisIivKtzntlen LtzitMlu'il'tell Oktober 1905.