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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 23.12.1905
- Strukturtyp
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- Band
- 1905-12-23
- Erscheinungsdatum
- 23.12.1905
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- Deutsch
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12040 Nichtamtlicher Teil. »1k 298, 28, Dezember 1905. und noch einmal im Applaus zu schwelgen. Alle literarischen Arbeiten sollten zurückbehalten und erst nach dem Tode des Autors herausgegeben werden. Er wiederholte dann seine oft zitierte Anschauung, daß es nicht schicklich sei, für lite rarische Arbeiten Geld zu nehmen. Drei Eigenschaften machen nach Tolstois Meinung den guten Schriftsteller: Er muß wirklich etwas Wertvolles zu sagen haben, er muß sich auszudrücken verstehen und er muß aufrichtig sein. Dickens habe alle diese Vorzüge, ebenso Dostojewskis. Thackeray hätte nicht viel zu sagen gehabt; er habe wohl die Sprache zu behandeln verstanden, aber er sei nicht aufrichtig genug. Tolstoi hält Dickens für den größten Romanschriftsteller des neunzehnten Jahrhunderts, seine Werke seien in echt christlichem Geiste geschrieben, sie würden für alle Zeit der Menschheit zum Segen gereichen. Tolstoi hat eine besondere Vorliebe für Ruskin: -Als Ruskin über Philosophie und Moral zu schreiben anfing», sagt er, »wurde er von allen ignoriert, am allermeisten von der englischen Presse, die eine ganz besondre Methode hat, alles zu übersehen, was ihr nicht paßt». Er habe sich ge wundert, daß man im Verhältnis zu Gladstone so wenig von Ruskin hörte. Wenn Gladstone irgendwo gesprochen habe, wären alle Zeitungen des Lobes voll gewesen; aber wenn Ruskin, der nach Tolstois Meinung ein viel größerer Geist sei, einen Vortrag hielt, so hätte man nichts davon gehört. Amerika, sagt Tolstoi, hat noch keine erstklassige Schriftstellerin wie die George Eliot und die George Sand heroorgebracht; er könnte aber durchaus nicht mit Turgenjeff übereinstimmen, der der Ansicht war, daß die Amerikaner nichts geschrieben hätten, was der Lektüre wirklich wert wäre. Er hält die amerikanische Literatur für sehr gut, und wenn er zu den Amerikanern zu sprechen hätte, würde er ihnen für die große Hilfe danken, die er von ihren Schriftstellern empfangen habe, die in den fünfziger Jahren florierten. Er nennt Garrison, Parker, Emerson, Ballon und Thoreau, nicht die größten vielleicht, aber die, die ihn am meisten beein flußt hätten. Weitere sind: Channing, Whittier, Lowell, Walt Whitman — ein strahlendes Sternbild und Größen, wie wir sie nur selten in der Weltliteratur anträfen. Er würde das Volk fragen, weshalb es diesen Stimmen, die doch durch die von Millionären oder erfolgreichen Generalen und Admiralen kaum ersetzt werden können, nicht mehr Auf merksamkeit schenke und fortfahre, das Gute zu tun, in dem es so vielversprechende Schritte gemacht habe. Als den größten amerikanischen Schriftsteller bezeichnet er Adin Ballou, einen Geistlichen in Massachusetts, dessen Name aber jetzt völlig vergessen sei. Die Stärke der amerikanischen Literatur entsprang nach Tolstois Ansicht dem den Angelsachsen eigenen religiösen Empfinden; doch verrate der oft leichtfertige Ton und die Sensationslust der amerikanischen Presse, sowie die Empfäng lichkeit des Publikums für Trivialitäten auch viel Ober flächlichkeit. -Man ist sich wohl noch nicht recht klar geworden, bis zu welchem Grad man die Presse gebrauchen kann«, sagte Tolstoi zu einem andern Besucher. Er hatte sich seit Jahren mit der Ausarbeitung eines Projekts beschäftigt, das es er möglichen sollte, eine Bibliothek der Weltliteratur in einer Form und zu einem Preise herzustellen, der sie selbst dem ärmsten Bauern noch zugänglich machen würde. Er wurde dazu durch den Erfolg angeregt, den man in Rußland mit dem Verkauf von billigen Traktaten erzielt. Diese behandeln meist religiöse Gegenstände, finden natürlich alle die Zu stimmung der Zensur, sind klar gedruckt und mit einem illustrierten Umschlag versehen; sie werden so Zros von einer Kopeke an aufwärts verkauft und auf dem in Ruß land üblichen Kolportagewege vertrieben. Bevor Tolstoi an dem Vertrieb persönliches Interesse nahm, verkaufte Sttin in Moskau, der bekannteste Großhändler in Rußland, jährlich 200 verschiedene Publikationen, von denen er durch schnittlich je 10 000 Exemplare, im ganzen also 2 000 000 dieser Hefte absetzte. Während der ersten drei Jahre, während deren Tolstoi an dem Unternehmen durch seine Flugschriften beteiligt war, sei das Geschäft und der Umsatz verdoppelt worden. In Rußland war Tolstoi der Unterstützung seines Projekts gewiß; das Unternehmen sollte aber eigentlich international sein. Es sei vielleicht nur ein Traum, so meint Tolstoi; er steht aber die Möglichkeit, eine Sammlung klassischer Literatur herauszugeben, die pro Band nicht über 5 Kopeken (10 kosten würde und zu gleicher Zeit in Frankreich, Deutschland, England und Rußland erscheinen könnte. Bei der Diskussion über die aufzunehmenden Bände sagte er, weder Milton noch Dante würden in ihr einen Platz finden; am liebsten möchte er auch Bunyan aus schließen; aber wegen der außerordentlichen Popularität von llbe UilZrim's Uroxrsss in Rußland würde er sich neutral verhalten. Ein Franzose und ein Kroat wären ihm bei der Ausführung seines Projekts behilflich Marcus Aurelius war nahezu zum Druck fertig; diesem Bande sollten Diogenes, Epiktet, Aenophons Nsrvorsbilis und LoonowieL, eine Auswahl von Plutarchs vergleichenden Lebensbeschreibungen, Platos Phädon und Gastmahl, eine gedrängte Ausgabe der Ilias und Odyssee folgen. Alle diese Werke, so meinte er, würden von der Landbevölkerung aller Länder geschätzt und ver standen werden. Horaz und Ovid lehnte Tolstoi ab; ebenso würde er keine der griechischen Tragödien in die Sammlung ein schließen. Juvenal, Seneca, Ciceros Do -nnieitia, Pascal, der erste Teil von Thomas a Kempis, Confucius, Mencius und Laotse wären aber nur zu empfehlen, ebenso ein Werk über die Grundzüge des Buddhismus. Victor Hugo zählt mit zu den ersten, die in die Auswahl aus der französischen Literatur ausgenommen werden würden. I-ss Aissrsblse sollten in jeder Zunge verbreitet sein. Der erste englische Autor, den er zur Aufnahme bestimmt hat, ist Shakespeare, obwohl er sich an andrer Stelle äußert, daß er nicht verstehen könnte, worin seine Vorzüge be ständen. Als sein erstes Werk würde King Lear, dann Macbeth und Hamlet ausgenommen werden. Robinson Crusoe würde natürlich herausgegeben werden, ebenso Gullivers Reisen. Betreffs Emersons war er im Zweifel; er würde aber Bacons Essays veröffentlichen und eine Auswahl von Burke, Theodore Parker und Matthew Arnold, mehr von Dickens, einige Werke Scotts und George Eliots (kslix Holt kbs kackisal und ^Ickkuv Lecks). Über die Aussichten, die diese Lennx Llassieal Inbrerz- in England finden würde, konnte man ihm keine großen Hoff nungen machen. Es ist wohl auch bei dem Projekt ge blieben, und Tolstoi dürfte dessen Verwirklichung aufgegeben haben; in keinem Falle hat er wohl mit seiner Volks bibliothek die Landesgrenze überschritten. Man hat so gar nichts davon im Auslande gehört. Ein Besucher empfahl sich und bat ihn, sich zu schonen, um nur seiner Aufgabe dienen zu können. Tolstoi schüttelte den Kopf. »Das ist Propaganda», sagte er, -und Propaganda ist die Versuchung des Teufels. Meine erste Pflicht ist, recht zu leben. Es mag nicht meine Aufgabe sein, zu lehren. Es ist meine Pflicht, mit den Händen mein tägliches Brot zu verdienen. Ich weiß nicht, ob, was ich tue, zum Guten ist, oder ob ich mich von meiner Beschäftigung losreißen soll. Ich kann diese Arbeit aber nicht lassen. Es ist vielleicht Schwäche, vielleicht aber meine
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