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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 14.11.1904
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1904-11-14
- Erscheinungsdatum
- 14.11.1904
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- Deutsch
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10086 Nichtamtlicher Teil. pH 265, 14. November 1904. Bedeutung verlor und Leipzig die Führung im deutschen Buchhandel übernahm. Hatte auch die Buchdruckerkunst in den ersten Jahr zehnten ihres Bestehens wiederholt den allgemeinen Strömungen der Zeit gedient, so war sie doch im wesent lichen den Gelehrten oder, was in jener Zeit das Gleiche sagen will, den Humanisten zugute gekommen. Auf den Druck der römischen und griechischen Klassiker verwandte sie wohl den größten Teil ihrer Arbeit und enthob manchen deutschen Gelehrten der Notwendigkeit, die be schwerliche Reise über die Alpen zu machen und in Italien teure Handschriften zu erwerben. Im sechzehnten Jahrhundert aber ward ihr eine weit größere Aufgabe gestellt, als das Empfinden des ganzen Volks einmal in einen großen Strom zusammenfloß, als die Hammerschläge des Mönches von Wittenberg die Welt durchhallten. Es hat gewiß immer etwas Mißliches, zu prophezeien, auch rück wärtig zu prophezeien, aber hier drängt sich doch die Frage hervor, ob ohne die Buchdruckerkunst Luthers Werk gelungen wäre. Kolporteure, die nun zum ersten Mal auftauchten, trugen seine Sendschreiben und Flugschriften über das ganze Land. Nur so konnte sein eindeutiges Wort überallhin dringen, nur so konnte er es — wenn man seinen Namen nicht, wie es auch wohl geschah, vor Fälschungen setzte — gegen willkürliche Auslegung schützen. Enorm war der Absatz der Lutherschen Schriften und ihrer unzähligen Nachdrucke. Ein einziger Buchhändler verkaufte 1520 auf der Frankfurter Messe 1400 Stück davon. Bis 1534 wurden allein in Wittenberg 34 Ausgaben des neuen Testaments gedruckt, 54 Nachdrucke aber im übrigen Reich. Von der vollständigen Bibel druckte Hans Lufft in Wittenberg von 1534—1584 etwa 100 000 Exemplare. Und auch mit Gegenschriften wurde das Land überflutet. Luthers grimmiger Feind, Thomas Murner, rief im »Lutherischen Narren«: Buch um Buch! Ich will mich rächen Und sie mit Büchlin überstechen! Eine weitere Einwirkung auf das Buchwesen übte Luther dadurch aus, daß er den Grund zu einer einheit lichen deutschen Schriftsprache legte, daß er seinem Volk seine so treuherzige, zum Herzen sprechende deutsche Bibel in die Hand gab, daß er selbst deutsch schrieb und viele seiner Gegner und Anhänger — unter den letztem vor allem Ulrich von Hutten — veranlaßte, das gleiche zu tun. Waren im Jahre 1500 in Deutschland nur achtzig deutsche Bücher gedruckt worden, so überwog unter Luthers Einfluß bald die Zahl der deutschen die der fremdsprachigen weit. Nun erst konnte die neue Kunst voll wirken, nun erst war ihr Segen nicht mehr in der Hauptsache auf Klerus, Gelehrte und Wohlhabende beschränkt; auch der kleine Mann konnte jetzt an den Ereignissen der Zeit lesend, oder auf den Dörfern dem Vorleser horchend, Anteil nehmen. Und was kündeten ihm die Flugblätter, die als Vorboten der erst um 1600 entstandenen Zeitung umherschwirrten! Aufhorchend vernahm damals die Welt von den großen religiösen Umwälzungen, von gewaltigen Erfindungen, von neu entdeckten fernen Wunderländern; in allen Sprachen, in unzähligen Exem plaren wurde der berühmte Brief des Kolumbus von 1493 verbreitet, worin er über die Entdeckung Amerikas nach Spanien berichtete. Und auch ins Volk drang wohl die unerhörte Kunde, die so manchen Gelehrten gruseln machte: die Erde sehe aus wie eine Kugel, und nicht sie stehe still, sondern die Sonne! Freilich, eine herrliche Blüte am Baum des deutschen Volkslebens wurde im sechzehnten Jahrhundert durch die Buchdruckerkunst geknickt: Volkslied und Volkssage. Die Phantasie des Volks hört nun auf, daran mitzuspinnen; das Buch hat ihr, indem es einen maßgebenden Text festlegt, die Flügel beschnitten. Die mündliche Sage vom Doktor Faust, die das sechzehnte Jahrhundert hindurch die mitschaffende Phantasie des deutschen Volkes so tief beschäftigt hatte, ist eigentlich abgeschlossen, als sie im Jahre 1587 kodifiziert wird. Das Lesen verdrängt nun das Fabulieren und Singen. Darum kann von nun an die Mahnung gelten, die der junge Goethe später seinem Käthchen zuruft: »Nur nicht lesen, immer singen, und ein jedes Lied ist Dein!« Eine wie andere Rolle spielte, nicht an Zahl, wohl aber an Inhalt, das Buch im siebzehnten Jahrhundert, dem traurigsten und finstersten der deutschen Geschichte, während im benachbarten Frankreich die Dichter und Denker ihrem Lande eine Fülle von Geistesschätzen schenkten. Zwischen Gelehrten und dem Volke tut sich in Deutschland eine immer größere Kluft auf. Die Dichter arbeiten pflicht gemäß nach starren Regeln und haben keine Berührung mit dem Volke; die Gelehrten füllen Buch um Buch mit krauser, unfruchtbarster Gelehrsamkeit. Einen großen Teil der Produktion jener kriegentflammten Zeit bilden lederne Er- bauungsschriften, die sich mit subtilen theologischen Fragen beschäftigen, und solche, in denen der Aberglaube der Zeit, namentlich der Teufels- und Hexenglaube, sich austobt. Diese Bücher und Verse sind nicht Notwendigkeit, sie sind Selbstzweck. so klagt Friedrich von Logau die Bücherfabrikanten seiner Zeit an. Wie wenig Bücher aus jener schreibseligen Zeit sind es, die über die Jahrhunderte zu uns sprechen! Mit dem Sinken des innern Werts ging, wie so oft, ein Verfall der Form, von Druck und Einband, Hand in Hand. Das Volk aber, als es sich von seinen geborenen Füh rern verlassen sah, schuf sich eine eigene geistige Nahrung: die sogenannten Volksbücher entstanden, die von nun an gleichsam eine Unterströmung der großen Flut unsrer Lite ratur bilden. Zu manchen Zeiten sind sie von den höhern Ständen maßlos verachtet, zu andern aber auch überschweng lich gepriesen worden. In kleinen Druckereien wurden sie »in diesem Jahre«, wie es zumeist auf den Titeln heißt, gedruckt, auf Jahrmärkten und Messen um billiges Geld feilgeboten; sie hatten vor allem zum Inhalt die alten Historien und Sagen vom Eulenspiegel und Finkenritter, von der schönen Melusine und Magelone, vom Kaiser Oktavian und Genovefa, von den sieben weisen Meistern und Fortunatus, vom Doktor Faust und vom ewigen Juden, und wie diese alten Lieblinge des Volks alle heißen. Zum guten Teil waren es auch Arznei-, Wetter-, Traum und Rätsel-Bücher und solche, in denen auch der Aberglaube des Volkes in mannigfacher Weise zu seinem Rechte kam. Jahrhunderte lang haben diese Volksbücher ein unverwüst liches Leben geführt; nie veraltend, sind sie einem ange messenen Leserkreise willkommen gewesen. Um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts haben sie dann, nachdem der ur sprüngliche Text immer mehr verballhornt worden, der neue immer plumper, poesieloser geworden war, nicht zum Nutzen des Volkes Jndianerbüchern und Kolportageromanen Platz gemacht. Viele Kräfte aber sind in unfern Tagen an der Arbeit, dem Volke die wahren Schätze unsers Geisteslebens zugänglich zu machen und es für deren Genuß zu erziehen. Wir sind der Zeit vorausgeeilt und wenden uns zurück zum achtzehnten Jahrhundert. In seinen ersten Jahrzehnten stieg die Bedeutung des Buches nur wenig. Anders aber wurde es, als von Frankreich aus die Strahlen der Auf klärung herüberdrangen, als die Bewunderung für Friedrich den Großen die Nation wieder einmal zusammenschloß, als, von Klopstock, Lessing und Herder heraufgeführt, das goldne
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