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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 26.04.1900
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1900-04-26
- Erscheinungsdatum
- 26.04.1900
- Sprache
- Deutsch
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- Saxonica
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95. 26. April 1900. Nichtamtlicher Teil. 3213 Nichtamtlicher Teil Ein Tag Heinze. Ein Zukunftsbild. Von Robert Voigtländer. Es war am 13. August des Jahres 1900. Eine sengende Hundstagshitze durchglühte die Häuser der Stadt Schönburg, trotzdem es erst 9^ Uhr vormittags war. In dem den Lesern des Börsenblattes bereits bekannten Laden des Buch händlers und Buchdruckereibesitzers Peter Jeremias Habe dank*) spürte man auch einen reichlichen Anteil an der allgemeinen Hitze. Aber noch eine besondere Schwüle schien über diesen Räumen zu liegen. Habedanks Schreibzimmer war leer; vorn im Laden saßen der Gehilfe Aloistus Gang huber und der Lehrling Fritz Vogel schweigend vor ihren Pulten. Alles totenstill; nur im Hinterhause hörte man dumpf das regelmäßige Rollen einiger Schnellpressen. Ob er bald zurückkommt? brach der Lehrling das Schweigen. Was weiß ich! Um 9 Uhr sollte das Urteil verkündet werden Pause. Herr Ganghuber, was hat denn Herr Habedank vorhin über den Brief von der Mädchenschule solchen Zorn gehabt? Zerknüllt und an die Wand geworfen hat er ihn. Da liegt er auf seinem Pult. Er hat ihn wieder glatt gestrichen. Vogel holte sich den Brief und las: Herrn P. I. Habedank in Schönburg. Meine letzten Mitteilungen kann ich heute erfreulicherweise dahin er gänzen, daß das Lehrerkollegium unserer Anstalt fast einstimmig beschlossen hat, den bei Ihnen erschienenen »Abriß der Geschichte für Mädchenschulen« von Nikolaus Feller von kommende Ostern an einzuführen. Aller dings nicht bedingungslos. Unter den dem Buche bei gegebenen vortrefflichen Abbildungen befinden sich nämlich drei anstößige: der Laokoon, die PietL von Michelangelo und die Assunta von Tizian, auf deren Weglassung oder Aenderung wir bestehen müssen. Am Laokoon genügt das Feigenblatt nicht; Sie werden sich aber helfen können, indem Sie der Schlange eine andere Lage geben. Dagegen werden die beiden anderen Bilder durch unverfängliche ersetzt werden müssen, es sei denn, daß Sie die durch das Gewand hindurch erkennbaren Formen der Madonna Michelangelos beseitigen können. Die echte christliche Kunst pflegt derartiges zu vermeiden. Vollends den nackten Engelknaben Tizians wird kaum zu helfen sein; das Bild ist geeignet, das Schamgefühl unserer Schülerinnen zu ver letzen, und muß trotz seiner Schönheit, die ich für meine Person durchaus würdige, fort aus dem Buche, falls wir es der Königlichen Regierung zur Einführung vorschlagen sollen. Der Mitteilung Ihrer Entschließung entgegensehend Ergebenst vr. Alex. Heinze, Direktor der städtischen höheren Mädchenschule in Keuschhausen. So eine Unschuld von Direktor! Kenntnis der höheren Tochter: Ungenügend. Als ob die Göhren auf den ollen Tizian warteten, um ... . Vogel, legen Sie den Brief wieder hin! sagte ärgerlich der ehrbare Ganghuber. Das glaube ich, daß der Chef bei dem Briefe gerade heute nicht die angenehmsten Gedanken gekriegt hat, meinte Vogel. Abermals tiefe Stille. *) Siehe Börsenblatt 1899, Nr. 216. SiebeiiundkeckMstcr Jahrgang. Da trat ein Dienstmädchen in den Laden. 'nen scheenen Jruß von unser Freilein, un Se möchten mich aus die Leihbibliothek en Buch jeben. Na, nu Hab ick wieder versessen, wie et heeßt: So . ., Go . . aha!: »Gomorrahs Ende!« Ick wußte doch, et war was aus die Bibel. Verehrtes Fräulein, erstens muß ich Ihnen ergebenst bemerken: Sie sind noch nicht bibelfest genug; es wird wohl Sodoms Ende gemeint sein. Aber schadet nichts, liegt ganz nahe bei Gomorrha. Zweitens: wie alt ist Ihr Fräulein, mein Fräulein? Na, da heert aber doch allens uff; was seht Sie jungen Herrn det Alter vun mein Freilein an! Was mich das angeht? Das kann ich Ihnen nicht gleich auseinandersetzen, sagte überlegen der Lehrling; wenn Sie es mir aber nicht sagen, kriegen Sie das Buch nicht. Meinetwejen ooch; über die Jeheimnisse ist det Freilein ja doch naus. Achtunddreißig Jahr is se. Aber nu her mit det Buch, det scheint ja was Saftiges zu sind. VoUä, ML ebdrs, daß Sie mir aber nicht selbst darin lesen! Das Dienstmädchen ging hinaus; der Lehrling schaute wohlgefällig dem drallen Dinge nach. Herr Ganghuber, sehen Sie nur, da steht die Dienstspritze an der Straßenecke und blättert schon in »Sodoms Ende«. Nein so was! Und da kommt auch Herrn Habedanks gewesene Selma. Das war Zeit, daß die aus dem Hause kam; das Mädel begann, ohne gerade unzüchtig zu sein, in letzter Zeit mein Scham gefühl gröblich zu verletzen Vogel, machen Sie keine unpassenden Bemerkungen. Dazu sind Sie noch zu jung. Als Buchhändler muß ich mich doch in diesen schweren Zeiten zum Normalmenschen ausbilden, der gut und böse unterscheiden kann, entgegnete der naseweise Lehrling. Diese Selma! Und so was tritt noch vor Gericht gegen Herrn Habedank auf. Wissen Sie, was das tolle Frauenzimmer vor acht Tagen ausgesagt hat: Goethes Faust wäre an ihrem Unglück schuld. Gerade wie dem Gretchen sei es ihr gegangen. Wie sie zu Weihnachten aus dem Kolosseum ge kommen sei, da habe der Unteroffizier Schneidewetter da gestanden und sie angeredet: Mein schönes Fräulein, darf ich wagen, meinen Arm und Geleit ihr anzutragen? So hab's angefangen, und dann hätten sie sich unten im Garten getroffen, er hätte ihr Schmucksachen im Bazar Wertlosheim gekauft, und sie habe ihn dann bei sich eingelassen — alles wie im Faust. Nun hat sie's. Und da läßt die Person sich als Beispiel von Goethes Unmoral vor Gericht stellen. Wo nur Herr Habedank bleibt! seufzte tief bekümmert Aloistus Ganghuber. Ein Schutzmann riß die Thür auf. Wollen Sie wohl auf der Stelle die Bilder von die Altenburgerin und die Spreewälderin aus det Schaufenster nehmen! Herr Habedank will wohl noch mal reinfaüen? Aber verzeihen Sie, Herr Wachtmeister, sagte scheinheilig Fritz Vogel, das haben wir nicht gewußt. Ich dachte, weil seit acht Tagen drüben beim Herrn Bürgermeister eine Spreewälder Amme ist, könnten wir . . . Herr, Sie scheinen mich den Unterschied zwischen Kunst und Natur noch nicht begriffen zu haben. Wenn die Kunst nach die Natur gemacht ist, dann ist in die Regel polizei technisch der Fall zum Einschreiten jejeben. Wenn die Natur aber Natur ist — na, dann jeht sie allenfalls die Sitten abteilung an. Ick bin aber bei die Kriminalabteilung und habe für dieses Quartal die Litteratur und Kunst unter mich und bitte mich aus, daß Ihre Schaufenster nie nichts gegen Heinze enthalten. Verstehen Sie mir! 431
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