Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 13.06.1900
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4496 Nichtamtlicher Teil. 134, 13. Juni 1900. Aufgabe, die der Gesetzgeber zu lösen nicht vermocht hat, — ein anderes Mal, die nicht minder schwierige Aufgabe, das Alter eines Käufers oder einer Käuferin genau zu taxieren. Man wird uns cinwenden, daß der Paragraph von der »gröblichen« Verletzung des Schamgefühls spricht, daß es sich also immer nur um eklatante Fälle handeln werde, die zu beurteilen ein Buch- oder Kunsthändler imstande sein muß, und daß das Schamgefühl des Normalmenschen hierfür maßgebend sei. Bei der erheblichen Strafandrohung von 6 Monaten Gefängnis oder Geldstrafe bis zu 600 Mark wird dieser Paragraph aber mindestens eine große Beun ruhigung und Unsicherheit gerade in die Kreise der ehren haften Händler tragen, die mit Recht eine Verurteilung scheuen und deshalb vielfach lieber unterlassen werden, ein Buch rc. zu führen, als sich der Gefahr auszusetzen, die der Verkauf an eine Person unter 16 Jahren für sie nach sich ziehen könnte. Ein großer Teil der Litteratur und Kunst wird vielleicht dadurch dem ehrenhaften Teile des Handels entrissen und in Schlupfwinkel getrieben, die außer den unbedenklichen auch bedenkliche Bücher zu führen sich nicht enthalten. Ein weiterer Einwand wird lauten, daß der Richter im gegebenen Fall ja wohl imstande sein wird, das Richtige zu treffen. Auch dieser Einwand ist nicht zutreffend. Ab gesehen davon, daß der Richter wie jeder Mensch subjektiven Anschauungen unterworfen ist, daß Gewöhnung, Erziehung, Neigung und Abneigung, künstlerische Veranlagung, Inter esse an der Kunst oder das Gegenteil sein Urteil beeinflussen, so lehrt uns auch die Praxis, daß der Richter nur zu sehr geneigt ist, Gesetze zu verallgemeinern und weitere Gebiete, als der Gesetzgeber gemeint hat, ihm zu unterwerfen. Gerade zur rechten Zeit kommt ein Aufsatz von Conradi in den Preußischen Jahrbüchern,*) in dem der Verfasser ausführt, daß Z 360 Nr. 11 des Reichsstrafgesetzbuchs,**) verglichen mit dem sogenannten Kunstparagraphen der Usx Heinze (Verletzung des Schamgefühls), ebenso abstrakt sei, wie der Begriff des Schamgefühls. Auch er bietet nicht die »geringste juristisch verwertbare konkrete Handhabe«. Es ist voraus zusagen, daß der Zusatz: »gröblich« unter den Tisch fallen wird und die Thatbestandmerkmale: »zu geschäftlichen Zwecken«, »öffentlicher Verkehr« eine ähnliche Interpretation finden werden wie die Bezeichnungen: »Aeußerer Bestand der öffentlichen Ordnung« und »Publikum« des groben Un fugs. In der That, angesichts der Ausdehnung des groben Unfugs-Paragraphen des Reichsstrafsgesetzbuchs auf alle möglichen Delikte, an die der Gesetzgeber nie und nimmer mehr gedacht hat, muß den Buchhändler ein unheimliches Gefühl überkommen, wenn er sieht, wie ein neuer Begriff, der »nicht die geringste juristisch verwertbare konkrete Hand habe bietet«, wie die »gröbliche Schamgefühlsverletzung« durch Gegenstände, die »an sich nicht unzüchtig« sind, in das Strafrecht eingeführt wird. Um aber wenigstens eine Handhabe zum Verständnis des 8 184s, zu bieten, sei es erlaubt, auf den Z 184 und die zu diesem ergangenen Entscheidungen des Reichsgerichts in etwas einzugehen. Z 184 Abs. 1 in der bis jetzt giltigen Fassung lautet: »Wer unzüchtige Schriften, Abbildungen oder Dar stellungen verkauft, verteilt oder sonst verbreitet, oder an Orten, welche dem Publikum zugänglich sind, ausstellt oder anschlägt, wird mit Geldstrafe bis zu 300 ^ oder mit Gefängnis bis zu sechs Monaten bestraft.« *) Die -llsi Heinze und der grobe Unfug». Pr. Jahrb. 1900, Juniheft. **) Der sog. »grobe Unfug-: Mit Geldstrafe bis zu 150 Mark oder mit Hast wird bestraft, wer ungcbiihrlicherweise ruhestörenden Lärm erregt oder wer groben Unfug verübt. Die neue Fassung des Z 184 lautet: »Mit Gefängnis bis zu einem Jahre und mit Geld strafe bis zu eintausend Mark oder mit einer dieser Strafen wird bestraft, wer:. 1. unzüchtige Schriften, Abbildungen oder Darstellungen feilhält, verkauft, verteilt, an Orten, welche dem Publikum zugänglich sind, ausstellt oder anschlägt oder sonst verbreitet, sie zum Zwecke der Verbreitung herstellt oder zu demselben Zwecke vorrätig hält, an kündigt oder anpreist; 2. unzüchtige Schriften, Abbildungen oder Darstellungen einer Person unter 16 Jahren gegen Entgelt überläßt oder anbietet; 3. Gegenstände, die zu unzüchtigem Gebrauche bestimmt sind, an Orten, welche dem Publikum zugänglich sind, ausstellt oder solche Gegenstände dem Publikum an kündigt oder anpreist; 4. öffentliche Ankündigungen erläßt, welche dazu be stimmt sind, unzüchtigen Verkehr herbeizuführen. »Neben der Gefängnisstrafe kann auf Verlust der bürger lichen Ehrenrechte, sowie auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt werden.« Absatz 3, 4 dieser neuen Fassung interessieren uns nicht, ebensowenig daß Absatz 2 noch einmal den Verkauf oder das Angebot an Personen unter 16 Jahren verbietet, während Absatz 1 dieses Verbot schon allgemein ausgesprochen hat. Es sollen uns lediglich die Definitionen beschäftigen, die das Reichsgericht in seinen Entscheidungen über den Begriff: »unzüchtig« niedergelegt hat. Unter einer »unzüchtigen Schrift« versteht das Reichs gericht eine solche, die objektiv geeignet ist, das Scham- und Sittlichkeitsgefühl in geschlechtlicher Beziehung gröblich zu verletzen (Entsch. in Strafsachen XXVII, 114), unter »unzüch tigen Abbildungen« solche, die geeignet sind, in geschlecht licher Beziehung das Scham- und Sittlichkeitsgefühl zu ver letzen (Entsch. in Strafsachen XXXI, 261), die Entscheidung, ob etwas unzüchtig ist, wird mit durch Rücksicht auf Ver hältnisse, Ort, Personen, Zweckbestimmung bedingt. Auf dem Gebiete der Kunst nicht Anstößiges kann auf anderen Gebieten des Lebens Anstoß erregen (Entsch. XXX, 379; Rudorfs, Str.-G.-B. T.-A. Anm. zu § 184). In den Entscheidungen Bd. XXI, S. 306 giebt das Reichsgericht dieselbe Definition einer unzüchtigen Abbildung im Sinne des tz 184 Reichsstraf gesetzbuchs, fährt dann aber fort: »Ob aber eine derartige Ver letzung anzunehmen, dafür sind nicht bloß Form und Inhalt der Abbildung und deren äußere Gestaltung entscheidend, sondern ebenso sehr auch deren erkennbarer Zweck und deren Ver wendung. Ist die Abbildung dazu bestimmt, der Kunst oder Wissenschaft zu dienen, so wird sie um deshalb der Regel nach auf geschlechtliche Erregung nicht berechnet sein. Wird aber ein an sich künstlerisches Werk mit objektiv schamver letzender Darstellung dazu bestimmt und verwendet, um einen geschlechtlichen Reiz auszuübeu, so kann dasselbe dadurch ebenfalls zu einer unzüchtigen Abbildung gestempelt, es kann ihm durch den Aussteller oder Verbreiter der Charakter eines unzüchtigen Werkes gegeben werden, ebenso wie umgekehrt eine, künstlerische oder wissenschaftliche Zwecke nicht verfolgende, geschlechtliche Verhältnisse darstellende Abbildung durch den Verkauf an jemand, der dieselbe etwa nur in eine von ihm aufbewahrte kulturhistorische Sammlung aufnehmen will, die Eigenschaft einer unzüchtigen Abbildung nicht annimint.« Aus den angeführten Entscheidungen erhellt zweierlei. Erstens, daß »unzüchtig« stets die Verletzung des Scham- und Sittlichkeitsgefühls in geschlechtlicher Beziehung be deutet, zweitens, daß Zweck und Absicht, durch die Darstellung einen geschlechtlichen Reiz auszuüben, wesentlich ist, ihr den Charakter der Unzüchtigkeit zu verleihen.
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