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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 28.11.1903
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1903-11-28
- Erscheinungsdatum
- 28.11.1903
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- Deutsch
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9836 Nichtamtlicher Teil 276, 28. November 1S0S. »Es muß nicht jede Doktordissertation und Habilitationsschrift in der anspruchsvollen Form eines eigenen Verlagsartikels dem Sortimentsvertriebe überantwortet werden; den meisten von ihnen geschieht schon Ehre genug, wenn sie in der früher allein üblichen Weise dem akademischen Schriftcnaustausche zugeführt werden.« Bücher betont, daß die Überproduktion im Buchhandel nicht quantitativer, sondern qualitativer Art sei: »Nicht darin liegt ihr Wesen, daß mehr Ware erzeugt wird, als gebraucht wird, sondern darin, daß die Ware in Sorten aus den Markt kommt, für die ein Bedürfnis nicht vorhanden ist. Die betreffenden Bücher sind überflüssig, weil niemand sie braucht und verlangt, und ihre Produktion ist eine besondere Form der ab soluten Überproduktion. Kein Urteilsfähiger nähme sie und wenn sie ihm auch geschenkt würden.« Er warnt ferner (Seite 260) vor einer falschen Diagnose: »Keine Überproduktion ist es, wenn Bücher wegen zu hohen Preises nicht densenigen Absatz erreichen, den sie finden könnten, wenn der ganze Bedarf nach ihnen befriedigt würde. Keine Über produktion ist vorhanden, wenn ein erheblicher Teil der Auflagen unabgesetzt bleibt, weil der Vertrieb die vorhandenen zahlungs fähigen Konsumenten zum großen Teil nicht zu erreichen gewußt hat. In beiden, leider recht häufigen Fällen könnte man eher von Unterkonsumtion reden. Endlich ist es keine Überproduktion, wenn des Remissionsvertriebes wegen von sehr vielen Werken weit höhere Auslagen gedruckt werden, als der ganze vorhandene Bedarf erfordert. Bleibt hier der Überschuß liegen, so ist er als ein Opfer zu betrachten, das die bestehende Organisation des Han dels erfordert.- Ganz unvermittelt stellt Bücher sodann im Gegensatz zu der allgemeinen und leider so begründeten Ansicht die Be hauptung auf, daß die Leute viel zu viel Bücher kaufen, um sich im Anschluß daran gegen die »unglaublich fruchtbaren Verlagsfirmen, deren Erzeugnisse von A bis Z schon in den Titeln die innere Fäulnis verraten«, zu wenden. Er will eine Abwehr gegen das Unheil organisieren: -Wir bedürfen einer literarischen Gesundheitspolizei. Und zwar ist cs die Gesellschaft, welche sie organisieren muß, nicht der Staat. Die Zensur rst für alle Zeiten gerichtet; sie kann nicht wieder aufleben.« Bücher rühmt die Tätigkeit der Prüfungsausschüsse für Jugendschriften und behauptet, daß diejenigen Ausschüsse, die mit dem Verlage und Vertriebe eigner Jugendschriften be gonnen haben, nicht nur ungleich Besseres und Billigeres als der zünftige Buchhandel geleistet, sondern auch sehr an sehnliche Absatzziffern erzielt hätten. Das Kapitel schließt mit der Aufforderung an die Zeitungen, für unparteiische und unabhängige literarische Kritik zu sorgen, und bezeichnet es als »eine schöne Aufgabe des akademischen Schutzvereins, an dieser Stelle reformierend einzugreifen, die literarische Fachkritik ebensowohl von dem Koteriewesen der Schulen als von den Interessen der Zeit schriftenverleger unabhängig zu machen und damit der Über produktion an seinem Teil auf dem zurzeit allein möglichen Wege zu steuern«. Wenn ich mich anschicke, an dieses interessante Kapitel einige Bemerkungen zu knüpfen, so möchte ich vor allem zu bedenken geben, daß bei der eigenartigen Natur des Buches die Konstatierung einer Überproduktion im Buchhandel mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen hat. Streng genommen wird man von Überproduktion nur auf dem Gebiet der Konkurrenzartikel reden können, also etwa bei Klassiker ausgaben, wo jedoch auch die schrankenloseste Konkurrenz dem Publikum nur Vorteile bringen kann, dann bei Brief stellern, Kochbüchern rc. Die zeitweilige schwache Verkäuflich keit eines Buches gestattet noch nicht, von Überproduktion zu sprechen. Ist zum Beispiel Überproduktion vorhanden ge wesen, wenn Schopenhauers Werke nach ihrem Erscheinen — weil das Publikum für die Philosophie des Frankfurter Weltweisen nicht reif war, oder weil die allgemeine Stimmung mit diesem System nicht sympathisierte — viele Jahre hin durch in den Magazinen lagern mußten, bis das Verständnis oder die Empfänglichkeit für Schopenhauers Gedankenwelt erwachte? War Scheffels »Ekkehard« — in erster Auflage unverkäuflicher Ladenhüter — ein trauriges Zeichen der Überproduktion? Im Jahre 1773 erschien das Schauspiel »Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand«. Freund Merck hatte den Druck bestritten, Goethe das Papier, und er brachte seine schmale Kasse dadurch in arge Unordnung. Für das kräftige Werk hatte sich kein Verleger gefunden, wahrscheinlich hatte jeder Buchhändler, dem es Goethe anbot, mit dem Hinweise auf »die Überproduktion an Ritterschau spielen« abgelehnt. Mit dem Verlag ist ein gewisses Moment der Spekula tion untrennbar verbunden. Jeder Verleger muß ein bißchen Optimismus haben —- eine Ausnahme macht vielleicht der Schulbücherverleger, dem eine Art Monopol zustatten kommt. Haben die Verleger von »Jörn Uhl« oder der »Briefe, die ihn nicht erreichten« — um nur ganz neue Erscheinungen zu nennen — von vornherein auf den riesenhaften Erfolg dieser Werke mit Bestimmtheit rechnen können? Aber die Hoffnung auf einen Treffer hat selbstverständlich jeder Ver leger, und dem Mutigen gehört die Welt! Vor dreißig Jahren war die »Deutsche Rundschau« so ziemlich die einzige große deutsche Monatschrift; da wagte es Paul Lindau, eine neue zu gründen: »Nord und Süd«. Großes Entsetzen in der Reichshauptstadt und ein fulminanter Artikel des Reichstagsabgeordneten B. in einem großen Berliner Tagblatt, in dem das Publikum aufgefordert wurde, der bewährten »Deutschen Rundschau« treu zu bleiben. Zwei Revuen wären überflüssig. Paul Lindau antwortete witzig: »Wohl möglich, es frage sich nur, ob die neue oder die alte überflüssig sei.« Seither find Dutzende neuer Wochen-, Halbmonat- und Monatschriften gegründet worden. Beim wissenschaftlichen Verlag können ähnliche Er wägungen maßgebend sein; gewiß kann nicht jeder Dozent, der ein neues Lehrbuch seiner Wissenschaft schreibt, absolut Neues Vorbringen, aber wenn er sein Thema in einer neuen, leichtfaßlichen Form, in einer neuen Gruppierung behandelt, so mag er — wenn er einen Verleger findet — in die Konkurrenz eintreten; schließlich ist es menschlich begreiflich, daß jeder Dozent die Professur anstrebt, und daß jeder Schriftsteller der Liebling der Nation sein und — viel Geld verdienen möchte. Das verschmähen auch die Geisteshelden nicht und mit Recht; schon Platon sagte ja: »Die guten Sachen sind doch nicht für die Dummköpfe auf der Welt.« Ferner: wen schädigt die angebliche Überproduktion? Das Publikum nicht, das weiß sich zu helfen, indem es die Bücher, die nicht nach seinem Geschmack sind, einfach nicht kauft; den Sortimenter nicht, der hat im Gegenteil den Nutzen des durch die Verlegerkonkurrenz gesteigerten Rabatts; also nur den Verleger. Nun, der mutz mit Nieten rechnen. Wo wäre der Richter zu finden, der entscheiden sollte: dieses Buch ist überflüssig. Als vor mehreren Jahren Hirth und Langen die »Jugend« und den »Simplizissimus« auf den Markt brachten, »geschah ein allgemeines Schütteln des Kopfes«, ein Naserümpfen und Achselzucken; aber es zeigte sich bald, daß diese genialen Verleger den richtigen Spürsinn für die neue Strömung hatten. Daß Bücher von der Zensur so geringschätzig spricht, hat mich sehr gefreut. Wer sich in der österreichischen Literaturgeschichte des Vormärz umgesehen hat, kennt die traurigen Folgen der Staatszensur. Aber auch die Zensur der Gesellschaft muß mit Vorsicht genossen werden. Die Tätigkeit des von Bücher so protegierten Prüfungsausschusses in allen Ehren; seine Aussprüche gleich Dogmen hinzunehmen,
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