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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 21.02.1902
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1902-02-21
- Erscheinungsdatum
- 21.02.1902
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- Deutsch
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Die Krise des Buches. In der »Wiener Abendpost« (der Abend-Ausgabe der amtlichen »Wiener Zeitung«) Nr. 28 vom 4. Februar d. I. hat Herr Einil Löbl, Redakteur der »Wiener Zeitung«, einen Feuilleton-Artikel unter obiger Ueberschrift veröffentlicht, der den »Verteidigungskampf, den Verzweiflungskampf des Buches gegen die Zeitung« schildert. Da gerade jetzt in unserem Blatt häufig über den Niedergang des Bllcherverkaufs geklagt und laut das Verlangen nach Reformen gestellt wird, mögen die Hauptgedanken der erwähnten Plauderei über die für den Buchhandel »aktuelle« Frage hier Platz finden. Schon vor mehr als 100 Jahren habe der englische Kleriker und Schriftsteller Georg Crabbe in poetischer Form darüber gejammert, wie die Zeitung allgemach das Buch verdränge, wie die zarte Muse dem robusten neuen Ein dringling das Feld räumen müsse. Heutzutage würden sich wohl sehr viele Gelehrte und Schriftsteller dieser Klage anschließen, meint der Verfasser, und fährt wörtlich fort: »Die Zeitung wächst, schwillt an, wird selbst ein kleines Buch, und sie ist es, der der Durchschnittsleser, der Berufsmensch die knapp bemessene Zeit der Lektüre immer ausschließlicher opfern muß. Fast täglich hört man die Klage: Ich komme nicht dazu, ein Buch zu lesen. Gar erst mehrbändige! Welcher beschäftigte Mann kann es wagen, sich in ein Werk von drei oder vier Bänden zu stürzen? Die französischen Romandichter und Verleger nehmen längst Rücksicht auf diese Scheu des Publikums und bieten fast ausschließlich einbändige Romane, freilich oft von beängstigendem Umfange, wie Zola's b'eecmäitä und 3>LVLil.« Die in unserem Blatte früher auch schon erwähnten fabelhaften und unglaublichen Auflagenhöhen amerikanischer Romane, führt der Fcuilletonist weiter aus, bewiesen nichts für das Uebergewicht des Buches, vor allem nichts für uns Deutsche. Uns ziere bekanntlich von altersher die Tugend, Bücher zu lesen, ohne sie zu kaufen. Der Engländer und besonders der Amerikaner kaufe, auch ohne zu lesen. Ihm sei cs Sache des nationalen Dekorums, die Werke eines an erkannten Schriftstellers anzuschaffen, vielleicht nur, um darin zu blättern, jedenfalls aber, um sie in die Bücherei einzustellen. Für Deutschland und Oesterreich komme noch der durch schnittlich sehr hohe Bücherpreis in Betracht. Neue Werke von Autoren ersten Ranges — von wissenschaftlichen Werken ganz zu schweigen — seien für die Masse kaum erschwinglich, während z. B. die Franzosen seit langem ihre bekannten nie drigen Einheitspreise von 2 Frcs. 50 Cts. und 3 Frcs. 50 Cts. besäßen. Was das wirkliche Lesen anbetreffe, so stehe fest, daß das Publikum der schöngeistigen Buchlitteratur sich immer ausschließlicher aus der Frauenwelt rekrutiere, bei dem starken Geschlechte aus den Jünglingen, die noch nicht im Berufe ständen, und jenen verhältnismäßig wenigen Glücklichen, die kein regulärer Beruf in Anspruch nähme. Der erwachsene Mann jedoch mit Berufs- und Erwerbspflichteu komme selten zur Buchlektüre, die Zeitung nähme seine Lesezeit fast völlig in Anspruch. Noch eine andere Beschwerde des Buches gegen die Zeitung erläutert der Verfasser an verschiedenen Beispielen. Er schreibt: »Die Zeitung raubt dem Buch nicht nur die Leser, sie entzieht ihm auch die Talente. Zahllose Litteraten verzetteln ihre Kraft in kleiner Münze, die sie in den Zeituugsblättern ausstreuen. Wie viel Arbeit, Wissen und Talent zerflattert hier im Winde, und was ließe sich mit diesem geistigen Kapital schaffen, wenn es auf die einheit liche systematische Bucharbeit konzentriert würde!« . . . Aber wenn man mit Recht darüber klage, daß die Zeitung dem Buche die Talente wegnähme, so dürfe man nicht vergessen, daß die Zeitung sehr oft Talente vor dem Schicksale des Verhungerns rette. Die Litteraten-Tragödien seien seltener geworden, seitdem brotlosen Schriftstellern die Zeitung eine Zuflucht böte. Der erste Teil dieses Feuilletons hat von Herrn Friedrich Schiller, Gesellschafter der Wiener Buch- handlungsfirma Moritz Perles, in der Wiener Abendpost vom 7. Februar eine Erwiderung erfahren, die uns freuud- lichst zur Verfügung gestellt wurde Sie führt den Nachweis, daß keineswegs bereits die Krise über das Buch herein gebrochen sei, und lautet: »Die Klage über die dem Buche drohende Gefahr ist nicht neu, brummt doch schon der Direktor im Vorspiel zum »Faust«, das zerstreute und unaufmerksame Theater-Publikum tadelnd: »Gar Mancher kommt vom Lesen der Journale« — wenn es auch damals wohl nur »Wochenblättchen« gegeben haben mag! Seither ist die Flut der Journale ins Unglaubliche ge stiegen, kein Beruf, kein Stand, kein Verein, kein Sport, kein Spiel ohne Fachblatt, hat ja selbst das in den weitesten Kreisen unbekannte Saltaspiel bereits sein Organ! Dazu die noch fortwährend wachsende Zahl der wöchentlich, vierzehn tägig oder monatlich erscheinenden Unterhaltungsblätter mit und ohne Jllustrationsschmuck! Als Paul Lindau vor zwei Jahrzehnten an die Gründung einer neuen Monatsschrift ging, da ließ sich ein namhafter deutscher Reichsbote dazu herbei, in einem Berliner Tagesblatte die »Deutsche Rund schau« als für die kulturellen Bedürfnisse des deutschen Volkes völlig ausreichend und den Zuwachs einer Monats schrift als überflüssig zu bezeichnen. Lindau war mit der Antwort rasch bereit: Es wäre wohl möglich, meinte er, daß zwei Revuen für Deutschland zu viel seien, es frage sich nur, ob die alte oder die neue überflüssig sei. Seit jener Zeit zählen wir mindestens ein Dutzend neuer Revuen, »die nicht gerechnet, die der Fluß verschlang« Hat diese Zeitschriftenflut nun wirklich Aussicht, das Buch zu verschlingen? So schlimm steht es bei dem in dieser Beziehung so vielgelästerten deutschen Volke nicht; ja man darf die Behauptung wagen, daß die Freude am Buche wächst und daß selbst Bevölkerungs-Schichten mit geringer Lebenshaltung an die Errichtung eines Hausbibliothek, wenn auch in bescheidenem Maße, gehen. Man denke doch an die für eine ganze Bibliothek Ersatz leistenden Encyklopädien, die alle zehn Jahre in neuer Auflage erscheinen, und von jeder Auflage werden viele Tausende Exemplare abgesetzt. Doch lassen wir die Theorie beiseite und greifen wir ins volle Bücherregal hinein! Da stehen die zierlichen Bändchen des liederreichen Baumbach, die Titelblätter sind belehrend: »Abenteuer und Schwänke« neunzehntes Tausend, »Spiel mannslieder« vierundzwanzigstes Tausend, »Frau Holde« neununddreißigstes Tausend, den größten Erfolg hat »Der Sang vom Triglav« aufzuweisen, »Zlatorog«: fünfundsech zigstes Tausend Baumbachs Sangesbruder, der ziemlich regelmäßig zu Weihnachten mit einem neuen Bande er scheint, Julius Wolfs, erfreut sich nicht geringerer Sym pathien; auf Lurleis Titelblatt ist zu lesen: Vierundfünf zigstes Tausend, der »Rattenfänger von Hameln« hat es gar aus siebzigtausend gebracht. Auch die Roman schriftsteller, das heißt die, die es getroffen, können sich über Teilnahmslosigkeit nicht beklagen; wohl mögen zu den mitunter hohen Auflagenziffern wesentlichstes die Leih bibliotheken bcigetragen haben, aber das kaufende Publikum muß wohl beim »Kampf um Rom« von Dahn (30. Auflage), bei der »Martinsklause« von Gaughofer (10. Auflage) auch stark beteiligt sein. Sudermauns »Es war einmal" liegt in 30., »Der Katzensteg« in 44. Auflage vor; Hauptmanu hat, von seinen Bühueutriumphen abgesehen, ganz bedeutende Bucherfolge aufzuweiseu: »Die Weber« zeigen die 28., »Hannclc« die 12, »Fuhrmann Heuschel« die 16. Auflage,
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