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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 23.09.1904
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1904-09-23
- Erscheinungsdatum
- 23.09.1904
- Sprache
- Deutsch
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7SSS Nichtamtlicher Teil. 222, 23. September 1SÜ4. Ein Stück Bildungsgang eines Jungbuchhändlers. (Schluß aus Nr. 220 d. Bl.) Bei alledem ist er kein Stubengelehrter geworden. Wie häufig sähe» wir ihn allein oder in Gesellschaft einiger Freunde im Rosental kreuz und quer laufen, oder er lief still für sich hin durch den Wald an der Pleiße entlang nach Connewitz und Oetzsch, das es ihm besonders angetan zu haben schien, und immer wieder freute er sich dabei der überaus lieblichen Partien von Wald, Wiese, Wasser, die die Ebene von Leipzig in stets wechselvollen Bildern darbietet. Bei der etwas praktisch-nüchternen Seite seines Wesens brauchen wir deshalb nicht zu fürchten, daß er da mit auf dem Wege sei zum schöngeistigen und gefühls duseligen Schwärmer; nein, solche Stunden der Ausspannung sind ihm vielmehr bitter not, bet der ihrem geistigen In halt nach doch stets an der Oberfläche klebenden Art seiner Tätigkeit. Aus der Liebe zum Beruf ist bei ihm langsam, aber desto tiefer Liebe zu den Büchern geworden, und aus der Liebe zum Buch ist ihm Liebe zum Gegenstand erwachsen. Die Werke, die ihm durch die Hand gehen, sind ihm nicht nur Objekte, die er je nach ihrer größern oder geringern Seltenheit einschätzt, sondern er sucht zu seinen Büchern ein engeres, sozusagen persönliches Verhältnis, zu ihrem Inhalt, zu ihrem Verfasser; er möchte nicht nur mit den Büchern handeln, er möchte sein Wissen an ihrem Inhalt bereichern, sie studieren. Wie oft wollte ihn dies in Konflikt bringen, wenn ihm bei einer neuerworbenen Bibliothek dies oder jenes durch die Finger ging und er sich am liebsten sofort darin versenkt hätte. Aber die Zeit, die Zeit! Weiter, weiter, im gewohnten Geleise! Wer kann dagegen? Man muß gehorchen. >— Zwar wird manche Lücke in den verhältnismäßig knapp bemessenen Freistunden ausgefüllt; aber das Wort Halbbildung, das er gelegentlich von bos hafter Zunge mit bezug auf den Durchschnittsbuchhändler angewandt hörte, stand ihm in seinem ganzen Schrecken immer vor Augen. Unser Freund ist an dem zweiten toten Punkt seiner Ausbildung angelangt. Aber auch jetzt wieder zeigt sich wie damals in den Lehrjahren die Elastizität seines Geistes. Auch hier bleibt er nicht auf dem Durchschnittsniveau stehen, sondern strebt weiter. Vor allem ist ihm eine Erkenntnis aufgegangen, daß das Arbeiten auf vielen Gebieten zu gleicher Zeit wohl einen summarischen Überblick über diese Gebiete zusammen geben kann, niemals aber eine genauere Kenntnis der einzelnen Perioden, Schulen, Geisteserscheinungen und Einzel persönlichkeiten vermittelt, und daß volle Befriedigung nur durch systematisches Arbeiten auf einem Gebiete zu erwarten stehe. — Und er hat gearbeitet. An der Universität dieser Stadt ist für das nächste Semester eine Vorlesung über die Geschichte der neuhoch deutschen Lyrik angekündigt, ferner eine über die Geschichte der deutschen Literatur im achtzehnten Jahrhundert, die eine täglich früh von 7—8 Uhr, die andre von 12—1. Sollen einem Nichtakademiker die Hörsäle unsrer Hochschulen verschlossen bleiben? Ist er nicht ebenfalls Bürger deutschen Stammes, ein Angehöriger des Volkes der Dichter und Denker, hat er nicht gleichfalls eine abgeschlossene gute Schulbildung hinter sich? Und ist er doch seit der Schulzeit wahrhaftig nicht stille gestanden, sondern hat sich stets auf den Gebieten seiner Neigung weiter zu bilden gesucht, so daß er wissenschaftlich und moralisch für reif erachtet werden darf, an diesen Vorlesungen teilzunehmen! Die Erlaubnis dazu hat er sich bei dem be treffenden Professor um so leichter ansgewirkt, als ihm die vielgerühmten »persönlichen Beziehungen« zu Gebote standen. Hatte er doch dem Gelehrten schon öfters einen vergriffenen und als selten geltenden Druck, auf den dieser schon lange fahndete, ausfindig gemacht, was hohe Herren leicht zu Freunden macht. — Und nun sehen wir ihn täglich früh um 7 Uhr im Hörsaal sitzen, ein aufmerksamer Hörer, der das bei der Mehrzahl der akademischen Bürger Unglaubliche fertig bringt, ein ganzes Semester lang kein einziges Kolleg zu schwänzen. Um 8 Uhr geht er die wenigen Minuten zum Geschäft, in dem er jetzt mit neuer Lust und Liebe arbeitet, hat doch die Arbeit selbst für ihn einen liefern Inhalt gewonnen. Von 12—1 Uhr hört er dann die Ge schichte der deutschen Literatur des 18. Jahrhunderts. Ein kleiner Spaziergang nach Tisch im Johannistal; dann ist es wieder Zeit, an die Arbeit zu gehen. Ein Abend in der Woche bringt dann noch ein Lrivatissiwuiu, zu dem derselbe Professor eine Anzahl seiner Schüler um sich sammelt und zu dem er auch unfern Freund eingeladen hat. Gegen stand der Besprechung ist das Volksbuch vom Doktor Faust. Aus diesen zwanglosen Besprechungen und Übungen hat er viele Anregungen empfangen; aber auch er hat manches zum Oollo- guiuiu beigetragen. Seine guten bibliographischen Kenntnisse auf dem Gebiet der einschlägigen Literatur setzen selbst seinen Professor manchmal in Erstaunen. Das Ünzulängliche im Buchhandel, hier wirds Ereignis. Theorie und Praxis feierten hier ein festes Bündnis. — Und dieses Bündnis hat er weiter gesponnen: Fest in seinem Beruf stehend, weiter mit der gleichen Umsicht arbeitend, aber doch immer suchend zwischen Steinen, Geröll und Gestrüpp des Berufs lebens Blumen aus dem Reich des reinen Wissens zu finden. Noch manche Vorlesung war ihm möglich zu hören. Namentlich die Literatur der Renaissance hatte ihn mächtig angezogen. Zwei andre Kollegien führten ihn ein in die Geschichte der deutschen Literatur, von ihren Anfängen bis ins zwölfte und dreizehnte Jahrhundert. Im folgenden Semester war Goethe der Gegenstand seines Studiums. Die Vorlesungen: »Goethes Lyrik- und »Goethes Dramen-, »Goethe 180S—1832- und »Goethes Romane und No vellen- brachten ihm das Wesen und Werden dieses ge waltigen Geistesheroen und großen Menschen näher. Noch eine Vorlesung seines verehrten Lehrers durfte er hören, die »Geschichte der deutschen Literatur von der Reformation bis auf Schillers Tod-, dann griff er wieder zum Wander stab. — Leipzig, du Hochburg des deutschen Buchhandels, du Freistatt von Wissenschaft und Kunst, ade, — liebliches Pleiße-Athen, lebe wohl! Ein kleiner Abschiedsabend von seinen Freunden und Kollegen; dann fährt er wieder nach dem Süden, einem Ruf eines bekannten süddeutschen Ver legers folgend, mit dem er früher einmal gelegentlich in Korrespondenz gekommen war, und der ihm unter ehrenvollen Bedingungen einen Posten in seinem Hause übertragen hat. Aber noch ist nicht aller Tage Abend. Hier in der vornehmen Stille des wissenschaftlichen Verlagsbetriebes muß er wieder lernen, manche vorgefaßten Meinungen und Be griffe umzuwerten. Eins hält er aber in allem Wechsel von Zeiten, Orten und Menschen fest, das ideale Streben nach Vervollkommnung. Es ist nicht mehr jener himmelanstürmende Idealismus seiner Jugendjahre mit seinen oft überschäumen den Gefühlswallungen; er ist ruhiger und verständiger ge worden, manchen Stern am Firmament seiner Vorstellungs- Welt hat. er verlöschen sehen müssen und manchen Traum als Schaum erkannt. Was ihm aber bleibt, ist die »Be schäftigung, die nie ermattet«. Daran aber hat's im Buch handel wahrlich keine Not. Fern liegen ihm jetzt die Tage, wo er, jede Minute aus- ulltzend, sich nach den Hörsälen drängte, als ob dort allein
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