12602 Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. Künftig erscheinende Bücher. 259, 6. November 1908. > > Nach den eingegangenen Bestellungen versenden wir in einigen Tagen: ^ Hermann Bahr: Die Rahl Roman. Geheftet 4 Mark, gebunden 5 Mark Lermann Bahr kündigt eine Serie von Romanen an, die alle unter einer Grundidee stehen. Er sagt darüber, nachdem er festgestellt hat, daß sich die Menschheit auf wenige, immer wieder veränderte Urtypen zurückführen lasse, folgendes: „Ist man nun einmal so weit, jene Urtypen, die man überall in der Menschheit täglich von neuem wiederholt sieht, jetzt also gleichsam als erste Versuche und stets wieder ver besserte Versuche und stets wieder mißlungene Versuche der Natur anzunehmen, die niemals völlig kann, was sie eigentlich will, so regt sich der Lochmut, mit der Natur zu wetten, ob es der Mensch nicht besser kann als sie, ob er nicht aus diesen bloßen Andeutungen, die ihre Typen sind, die niemals völlig erscheinende Absicht erkennen mag, und ob es ihm denn nicht am Ende gelingen soll, mit seiner Kraft zu vollenden, was ihre Kraft angefangen hat, nämlich jedem ihrer Typen die vollkommene Gestalt zu geben, die alles sagt, was sie damit meint: von allen Typen also ein letztes Exemplar und ein vollkommenes Individuum eines jeden Typus zu schaffen. Dies lockt mich, ich habe es unternommen, so vermessen sich das anhören mag. Ich will eine Anzahl von Typen, nämlich alle, welche in der heutigen, europäischen bürger lichen Welt Vorkommen, aufzeichnen, bis sie komplett vor mir steht " — Von dieser Serie erscheint in Kürze der erste Roman mit dem Titel „Die Rahl". Der Typus, den er behandelt, ist der der großen Schauspielerin, der Schauspielerin an sich. Es ist ein oft von Bahr behandeltes Thema: aber in der „Rahl" hat es wohl seine entscheidende Fassung gewonnen. Er schildert uns die Schauspielerin in allen ihren Relationen. Wir sehen sie im privaten Leben, gleichsam im Aufatmen vom Alb ihrer Kunst, und wir sehen sie in der Besessenheit des Theaterabends. Ihre Nerven, ihre Launen, ihre Sinne, ihr Geist spielen vor uns in heftigen Äußerungen. Wir sehen ihre sonderbare Ehe, sonderbar eigentlich nur insofern, als sie mit einem vor nehme» Manne verbunden ist, der ihre dämonische, irrationelle Natur vollkommen versteht und sie in allen Betätigungen gelten läßt, der sie immer nur genießen und nie beherrschen will. And wir erleben auch — und das ist der stärkste Landlungs kern des Romans — ihre soziale Wirkung. Wir schauen der Gesellschaftsgliederung zu, die durch sie verursacht wird, den Abenteuern des Spleens und des Luxus und der Beglückung und Vernichtung, in die sie einen jungen Enthusiasmus stürzt: Ein Schüler liebt sie; und in einer Laune — und es ist doch aus ihrer Natur heraus mehr als eine Laune — erhört sie ihn und läßt ihn eben so unmittelbar aus der Äberhebung seines Triumphes in die tiefste Demütigung falle». — Daß Bahr an diesem Stoff Gelegenheit nimmt, über das Wesen des Theaters vor und hinter den Kulissen eine Fülle von feinsten Erfahrungen mitzuteilen, versteht sich für jeden Kenner seiner Art von selbst.