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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 30.04.1907
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1907-04-30
- Erscheinungsdatum
- 30.04.1907
- Sprache
- Deutsch
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- Saxonica
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Künftig erscheinende Bücher. Börsenblatt s. d. Dtschn. Buchhandel. 4468 ^ 9S, 30. April 1907. Ich werde Gemüsehändlerin Nachdem ich mich mit dem Leben des armen Volkes vertraut gemacht hatte, beschloß ich, auch einen Versuch unter den umher ziehenden Gemüsehändlern zu machen. Dem Uneingeweihten mag es überraschend erscheinen, daß zwischen den armen und arbeitenden Klassen unsrer großen Städte große Unterschiede in der ganzen Lebens- nnd Anschauungsweise und ebenso große Standesunterschiede existieren, wie zwischen den höheren Gesellschaftsstufen. Eine Gemüsehändlerin würde ebenso wenig mit einer Lausiererin verkehren, wie die Frau eines Land- junkcrs mit der Frau des Dorfpostmcisters. Ein Fabrikmädchen und ein Dienstmädchen behandeln sich gegenseitig mit ebensoviel Geringschätzung, wie eine Schöne von New Kork und eine Erbin von Chicago. Es bedurfte wochcnlanger Arbeit und Überlegung für mich, ehe cs mir gelang, mich in eine glaubwürdige Gemüsehändlerin zu verwandeln. Durch meine engen Beziehungen zu vielen Mädchenvereinen in den armen Vierteln Londons hatte ich jedoch einen ziemlich guten Einblick in die Denk- und Lebensweise der umhcrziehenden Gemllsehändlerinnen erhalten, so daß ich imstande war, einige Kenntnis an den Tag zu legen, che ich mich als ihresgleichen unter sie mischte. Es ist beileibe nicht so einfach, so in ei» neues Leben hinein zugleiten. Das „Volk", wie wir die armen und arbeitenden Klassen gern zu nennen pflegen, fühlt es bald heraus, ob man zu ihm gehört oder nicht Ich merkte jedoch bald, daß mir meine fremdländische Erscheinung von großem Nutzen war, denn da ich meistens mit Frauen und Mädchen zu tun hatte, dachten sie sich ihre eigenen Geschichten über mich aus Dadurch, daß ich strenges Schweigen beobachtete, gelang es mir, meine Rolle durchzuführen. Daß ich nur klein war und jugendlich aussah, gereichte mir eben falls zum Vorteil. Ich bekomme die Dinge und die Menschen leicht satt, zeige es dann auch, und der arme C., der fast immer bei mir war, hatte cs dann gewöhnlich auszubaden. Es war mir eine wesentliche Erleichterung, einen so starken stämmigen Mann, der den Londoner Dialekt so vortrefflich beherrschte, zur Aus führung meiner Befehle zur Land zu haben. Gemeinsam konnten wir durchsetzen, was ich allein niemals erreicht haben würde. Mein Wunsch war, mitten unter die Gemüsehändlerinnen zu kommen und selbst Gemüse zu verkaufen. So zogen wir denn aus, um auszukundschaften, welches die beste Gegend für unsre Zwecke sei. Ich wagte nicht, mich in eine Gegend zu begebe», in der ich bekannt war. Die Mitglieder der Mädchenvereine, bei denen ich unter dein Namen „kleine Prinzeß" bekannt war, würden cs für einen großartigen Scherz gehalten haben, wenn sie mich hätten mit Gemüse umherziehen sehen, und es möchte sich ein netter Menschenauflauf um mich herum gebildet haben. Es gehört zu den sehenswerten Dingen in einen. Proletarierviertel, den Janhagel, wie durch Zauberkraft gezogen, zu einem Auflauf zu sammenströmen zu sehen. Ich wollte mich dem nicht aussetzen, deshalb nahm C. die Lilfe einer Verkäuferin in Covent Garden in Anspruch, die uns eine nette und ruhige Gegend anwies, wo wir unsre Sachen verkaufen konnten. Es war ein nasser Tag, an dem wir zuerst auszogen. Die Topfpflanzen, die wir uns zum Verkauf erstanden hatten, waren feucht und unbequem zu halten. C. ging ein paar Schritte weiter und stellte sich rauchend gegen eine Lauswand, und ich stand da mit einem Blumentopf in jeder Land. Es war so kalt und un angenehm, daß ich fast schon entschlossen war, es für heute auf zugeben, als ich hörte, wie mir jemand laut aber gutmütig zurief: „Sie da, Fräulein, stellen Sie sich mal bißchen weiter längs, hier Hab' ich meinen Play." Die Besitzerin dieser Stimme war eine derbe Person mit rotem Gesicht, die eine mit Kartoffeln und Kohl schwer beladene Karre ohne jede Lilfe vor sich herschob. Ich ging die Straße ein Stückchen weiter hinauf, und die erson wischte sich mit ihrer groben weißen Schürze über das esicht und nickte mir gutmütig zu. „Nee, das is nich so schlimm," gab sie mir auf meine Frage, ob die Karre nicht sehr schwer zu schieben sei, zur Antwort. Sie machte oberflächlich ihren Stand an dem Bordstein zurecht, und als sie damit fertig war, drehte sie sich nach mir um und erkundigte sich: „Na, was machts Geschäft?" „Überhaupt kein Geschäft zu machen," erwiderte ich. „Nee, an so nassen Tagen wie heute is für unsereins nich viel zu machen. Ich wär' heut' auch gar nich gekommen, wenn mein Alter es nich so in der Lüfte hätte und der Doktor nich sagte, es wär' gut, wenn er mal heimbliebe." Ich kam näher heran und drückte ihr mein Mitgefühl aus. „Es wird heut' nicht viel dabei rauskommen; aber ich denk', so viel, daß wir morgen unfern Braten haben können, krieg ich doch zusammen. Ich mein' immer, man muß den Sonntag doch auf irgend 'ne Weise christlich begehen." Sie war sehr freundlich gegen mich und wollte wissen, wo ich herkäme. Ich deutete über meine Schulter weg zu C. hinüber: „Der da hat mich hierher gebracht, ich weiß nich recht Bescheid." „Sie sind woll von auswärts?" meinte sie. „Das bin ich," gab ich widerstrebend zu, „man kann ja nichts dafür, wo man geboren ist, wenn man sich sonst nichts zu schulden kommen läßt." Diese Gesinnung gefiel ihr ausnehmend. Sie fragte mich gleich darauf, ob ich wohl mal einen Augenblick auf ihre Karre aufpassen wollte, während sie hinginge, um einen Schluck zu trinken. Ich verkaufte in ihrer Abwesenheit zwei Kohlköpfe, und sie zeigte sich so befriedigt über meine Tüchtigkeit als Verkäuferin, daß ich die Frage riskierte, ob ich ihr vielleicht helfen dürfe. „Laut er Sie?" fragte sie mit Bezug auf C. „Nicht oft; aber es wär' jedenfalls viel besser für mich, wenn ich ein paar Pfennig verdienen könnte." „Na, wenn es Ihnen nicht drauf ankommt, ihn mal 'n bißchen allein zu lassen, können Sie mir meinswegen bißchen zu Land geh'», solang' wie mein Oller krank is. Schlafen können Sie hier in der Nähe bei '»er Cousine von Bill." Ich lief zu C. und erzählte ihm freudestrahlend, daß ich als Lehrling angenommen sei. Er versprach mir, sich in derselben Straße ein Zimmer zu suchen, so daß er in meiner Nähe sei, falls ich seiner bedürfe. Das waren also meine ersten Erlebnisse als Gemüsehändlerin. Leseprobe aus - Malvery, Vom Markte der Seelen Näheres in der nächsten Nummer des Börsenblattes. R. Voigtländers Verlag in Leipzig
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