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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 01.02.1909
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- 1909-02-01
- Erscheinungsdatum
- 01.02.1909
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Dichtung kennt den Spruch der Lebenden an die Toten^schon in sehr früher Zeit. Von einem vorislamitischen Könige von Mekka, Modhadh, der im Anfang des dritten Jahrhunderts n. Chr. lebte, übersetzt Hammer-Purgstall ein Gedicht mit folgendem Schluß: Wir waren einstens Männer, wie ihr seid; Ihr werdet, was wir fsindf, auch einst sein. Der arabische Dichter Adi, der mit dem König von Hira, Noman (um 580 n. Chr.), an Gräbern vorbeiritt, läßt die Toten dem König zurufen: Wir waren, was ihr seid; Doch kommen wird die Zeit, Und kommen wird sie euch geschwind, Wo ihr sein werdet, was wir sind. Professor Künstle, dem überhaupt diese Ausführungen folgen, zieht daraus den Schluß, daß der im Mittelalter so beliebte Spruch der Toten an die Lebenden: Was ihr seid, das waren wir; Was wir sind, das werdet ihr, für den sich weder in der paganen, noch in der frühchristlichen Sepulkralsprache Belege finden lassen, aus der arabischen Spruch poesie stammt. Er kam im zehnten oder elften Jahrhundert aus dem arabischen Spanien, mit dem das Abendland gerade in dieser Zeit so reiche literarische Verbindungen unterhielt, hierher und erhielt sich bis zur Gegenwart. Als einzelner Spruch wird diese Mahnung der Toten an die Lebenden in der deutschen Literatur zum erstenmal im Freidank 22, 16 verwendet: Der Spruch wird auch als Überschrift an Kirchen (so zu Neuweiler im Elsaß, 13. Jahrhundert) und Kirchhofseingängen (in Eilenburg, Teplitz, Kiewitten, Avignon) gefunden. Viel be achtenswerter ist jedoch dieser Spruch in einer anderen Ver wendung, nämlich als Inhalt zu einer dramatischen Legende, die sich im Mittelalter ebenfalls großer Beliebtheit erfreute. Zuerst begegnet sie uns bei dem scholastischen Theologen und englischen Staatsmann unter Heinrich II. Plantagenet, Walter de Mapes (geb. 1135, gest. um 1200), der in seiner »I^Lmsntalio st äsploratio pro morto« die verschiedenen Menschenklassen in schwere Klagen darüber ausbrechen läßt, daß sie alle unrettbar der Herrschaft des Todes verfallen. Am Schluß wird von einem Heiligen erzählt, der in einer Vision drei vornehme junge Herren zur Jagd aus- ziehen sieht; diese stehen auf einmal vor drei Toten, die ihnen mit dem Thema unseres Spruches die Vergänglichkeit des Irdischen ins Gedächtnis rufen. Vom dreizehnten Jahrhundert an hat diese Legende in Frank- reich eine poetische Bearbeitung gefunden, und zwar zunächst durch Baudouin de Conds, dann durch Nicholes de Marginal. Diese, sowie drei andere Dichtungen desselben Inhalts, aber un- mort äs Hans Lolbsin etc. üaris 1856) herausgegeben. In der Form des fünften und jüngsten von Montaiglon mitgeteilten Textes wurde die Legende in die Läitio prinssxs des erweiterten Pariser Totentanzes (l^a, Ainnäs ärrnos waea-brs) von Guyot Marchant I486 ausgenommen. In Italien wurde die Legende noch früher als in Frankreich poetisch bearbeitet, vorausgesetzt, daß das von Pietro Vigo (1^6 Danrs mnoudre in Italia. 2. sä., üsr^umo 1901) mitgeteilte lateinische Gedicht von 45 Strophen wirklich, wie versichert wird, aus dem zwölften Jahrhundert stammt. In der deutschen Literatur wurde die Legende in »Stapenhorsts Hamburgischer Kirchengeschichte« I. Teil 4. Bd., Hamburg 1731, 263 ss. und von Gräter in »Bragur« I. Leipzig 1791, 369 ff. herausgegeben. Eine viel ältere Form der Legende findet sich in einem anonymen, noch nicht gedruckten illustrierten Gedicht einer Wolfenbütteler Handschrift aus dem fünfzehnten Jahrhundert (Ooä. Ouslpbsib^t. ^ux. 16. 17. 4".). Die bildende Kunst des Mittelalters hat die Legende in zahl reichen Fällen als Vorwurf für die Illustration von Handschriften, besonders Psalterien, Heures usw. benutzt. Das Berliner Kupfer stichkabinett besitzt einen Stich von dem Meister des Amsterdamer Kabinetts: »Die drei Lebenden und die drei Toten«. Als Wand gemälde ist die Legende an verschiedenen Orten dargestellt; hier seien nur die Darstellungen in Kermaria, in der Kirche äs' viseiplini in Clusone (Prov. Bergamo), in der Sakristei von S. Luca in Cremona und das Fresko im Campo Santo in Pisa genannt. Auch auf Tafelgemälden und Kirchenfenstern wird die Legende dargestellt und vereinzelt auch auf Paramenten gestickt (Dom in Osnabrück). Eine besondere Bewandnis scheint es mit der in Deutschland seltenen Darstellung der drei Lebenden und der drei Toten auf der Südwand der St. Jodokuskapelle in Überlingen am Bodensee zu haben. Diesem Bilde gegenüber an der Nordwand ist die St. Jakobuslegende in acht Bildern geschildert, die ohne Zweifel von der Brüderschaft der Uberlinger Pilger am Grabe des hl. Jakobus von Compostela in Spanien gestiftet wurden. Nun wird bis auf den heutigen Tag in Überlingen von den Bürgern des Stadtteils, in dem die St. Jodokuskapelle liegt, zu Fastnacht ein Schwerttanz aufgeführt. Was aber heute zum bloßen Karnevalspiel geworden ist, war im Mittelalter eine religiöse Zeremonie, die in ihren Anfängen vielleicht in die vorchristliche Zeit hinaufreicht. Auch heute noch versammeln sich die Uberlinger Schwerttänzer, bevor sie zum Waffentanz antreten, in der Kapelle, in welcher die Legende von den drei Lebenden und von den drei Toten abgebildet ist, um eine Messe zu hören. Vielleicht hat das Uberlinger Bild und der Uberlinger Schwerttanz eine ähnliche Bedeutung wie der alter tümliche Schwerttanz, der in Cervi'-res im Departement Hautes- Alpes am St. Rochusfest aufgeführt wird und den Zweck hatte, die Fürbitte des Pestpatrons zum Schutze vor der Pest zu er langen. Sollte zwischen Schwerttanz und Totentanz, wie man die Bilder der Legende von den Lebenden und Toten oft ge nannt hat, nicht irgendwelche Beziehung bestehen? Sollte nicht der Totentanz aus der Legende herausgewachsen sein? Über den Totentanz herrschten im ersten Viertel des vorigen Jahrhunderts noch sehr widerspruchsvolle Meinungen. In Deutsch land waren »Holbein« und »Totentanz« untrennbare Begriffe; in Frankreich glaubte man, daß der Totentanz seinen Ursprung in England habe; in England meinte man, daß die erste Idee dazu in Deutschland entstanden sei. I. D. Fiorillo gab in seiner »Ge schichte der zeichnenden Künste in Deutschland« (Hannover 1820 IV, 119—174) die erste zusammenhängende Darstellung über Toten tänze. Ihm schließt sich eine ganze Reihe von Schriftstellern mit zum Teil weit auseinandergehenden Anschauungen über den Totentanz an, ohne daß es bis jetzt gelnngen wäre, eine befrie digende Erklärung für die Entstehung der Totentänze zu geben. tanzbilder mit ihrem Text durch die großen Pestepidemien des vierzehnten Jahrhunderts veranlaßt worden seien; warum reden die Totentanztexte aber niemals von »dem großen Sterben«? Das müßte doch der Fall sein, wenn die Bilderzyklen, zu denen sie gehören, Votivbilder gegen die Pest sein sollten. Die Toten tänze in Text und Bild wollen übrigens nicht auf das Sterben überhaupt Hinweisen, sondern sie warnen auf jeder Entwicklungs stufe den Menschen vor dem plötzlichen und unvorbereiteten Tod, der für die gläubigen Christen das größte Unglück ist. Gewiß haben die mittelalterlichen Menschen zu Zeiten der Pest ihren Gedanken und Bitten auch in Bildern Ausdruck gegeben; aber dies waren keine Totentanzbilder. Die ältesten, nicht durch spätere Zutaten veränderten Toten tänze kamen ursprünglich ausnahmslos als monumentaler Schmuck von Kirchhofsmauern oder Gottesackerkapellen in Betracht. Die Bilderreihen hatten einen lehrhaften Zweck und waren auch ohne es jedem Menscheiy sei er Kaiser oder Bettler, begegnen kann, unvermutet von dieser Welt abgerufen zu werden und zwar gehört es zum Wesen der Totentanzbili^er, daß die einzelnen Vertreter der menschlichen Stände nicht durch den nämlichen personifizierten Tod, sondern durch je einen besonderen Toten zum Sterben abgeführt werden. In der mittelalterlichen Vorstellungswelt gab es dazu nur eine Parallelerscheinung: Die Legende der drei Lebenden und der drei Toten. Die bildliche Darstellung dieser Legende enthält die Keime und Ansätze, aus denen sich der Toten tanz entwickelt hat. Die Legende wird in der Regel so dar gestellt, daß von der einen Seite die Lebenden, von der anderen Seite die Toten kommen, während im Totentanz der erste Lebende neben dem ersten Toten, der zweite Lebende neben dem zweiten Toten steht usw. Da nun die Legende schon seit dem elften Jahr hundert in ganz Europa verbreitet war, die ältesten Spuren des Totentanzes jedoch nur bis ins vierzehnte Jahrhundert hinauf-
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