Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 14.04.1909

V 8 ! 14 April 190V. Nichtamtlicher Teil. Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchha ndel. 4469 Nichtamtlicher Teil. Der Lehrling im Leipziger Kommissionsgeschäft. Der Arbeitsplan für den Lehrling im Sortiments buchhandel, der in der Hauptversammlung des Vereins der Buchhändler zu Leipzig vom 13. Mai lSOO angenommen wurde"), stellt so hohe und vielseitige Forderungen, daß mancher Prinzipal, der es mit dem beruflichen Wohl und Wehe seiner Lehrlinge ernst nimmt, sie kaum alle zu er- siillen hoffen darf. Niemand wird sich aber der Meinung verschließen, daß es ein dankenswertes Beginnen war, die ganze Materie, deren Durchdringen und Beherrschen das wünschenswerte Endziel der Ausbildung eines jungen Sorti menters ist, in feste und greisbare Form gebracht zu sehen; auch ist, seitdem wir das Paschke-Raihsche Lehrbuch besitzen, dem Lehrling mit diesem ein vorzügliches Mittel geboten, die instruktive Praxis der Lehre durch theoretische Studien zu unterstützen und auszubauen. An dieser Stelle soll, dem gegebenen Beispiel folgend, der Versuch gemacht werden, einen Bildungsplan sür den vielköpfigen Nachwuchs der Gehilfenschaft im Leipziger Kom- missionsgeschäst aufzustellen, ein Programm für die Lehrzeit, das den späteren Gehilfen nicht nur befähigt, seinen Platz in der Buchhändler-Metropole auszufüllen, sondern ihn auch zu einem brauchbaren und vollwertigen Mitglied der buch- händlerischen Berussgemeinde außerhalb seiner Vaterstadt und seines zunächst begrenzten Wirkungsfeldes zu machen. Zu einem vollwertigen — das Wort ist nicht un beabsichtigt gewählt! Gibt es doch noch so manchen zünfti ge» Buchhändler, der den Kommissionär nicht als Voll-Buch- händler ansehen, sondern ihn den Spediteuren und Kauf- leuten zuzählen möchte. Man nimmt hier also an, das buchhändlerische Element in ihm werde von dem kauf männischen überwogen. Gegen diese Annahme sprechen aber die Tatsachen über zeugend, daß es einem aus der Schule des Leipziger Kom missionsgeschäftes hervorgegangenen jungen Buchhändler zu meist nicht schwer fällt, draußen sowohl im Verlag wie im Sortiment Stellung zu finden, gegebenenfalls auf erste Posten vorzurücken und später eine erfolgreiche Selbständigkeit zu erringe». Auch gelingt es ihm durch die kosmopolitischen Beziehungen der Leipziger Buchhandlungshäuser, sich im aus ländischen Buchhandel instruktive Posten zu erobern und als zwei- oder dreisprachiger Gehilfe nach seiner Rückkehr sich eine gute Position zu schaffen. Andrerseits aber ist es nahezu unmöglich, auf Gehilfenposten im Leipziger Kom missionsgeschäft rein kausmännisch, also nicht buchhänd- lerisch geschulte Kräfte zu setzen und mit solchen zu arbeiten, — abgesehen von der Hauptbuchhaltung, für die es noch immer an ersten Kräften, die aus dem Buchhandel hervor gegangen sind, mangelt. — Bevor an die beabsichtigte Aufstellung des Bildungs- planes gegangen werden kann, wird es nötig sein, die Ver hältnisse und Arbeitstätigkeit im Leipziger Kommissionsbuch handel einer näheren Betrachtung zu unterziehen. Im allgemeinen nimmt der Leipziger Kommissionär keine Zöglinge an, die eine höhere Schulbildung jEinjährig- Freiwilligen - Zeugnis) haben. Zumeist sind die Lehrlinge junge Leute mit guter Volksschulbildung, die im Alter von l4 Jahren eine vierjährige Lehrzeit antreten; sic erhalten vom ersten Tage ihres Eintritts an einen von Jahr zu Jahr steigenden Wochenlohn, der die elterliche Kasse nicht unwesentlich entlastet. ") Siehe Börsenblatt Nr. 78 vom t. April Igos. Börjenblatt tür den Deutschen Buchhandel. 7S. Jahrgang Früher wurden nach beendigter Lehrzeit von den größeren Firmen ihren sogenannten »Schreiber-Lehrlingen- keine buch- händlerischen Gehilfen-Zeugnisse ausgestellt. Erst vor wenigen Jahren haben sie sich entschließen können, Buchhändler-Lehr zeugnisse zu geben. Bestimmend hierfür war die Einschätzung als Gehilfen, welche ihrer Schule entwachsene junge Leute draußen erfuhren; auch muß der stetig höher bemessenen wissenschaftlichen Ausbildung, die die auf das praktische Be dürfnis zugeschnittene Buchhändler-Lehranstalt ihren Schülern während der ersten drei Lehrjahre bei täglich zweistündigem Unterricht zu geben weiß, ein nicht zu unterschätzendes Ver dienst hierbei zuerkannt werden. Was kann der junge Kommissionsbuchhändler in seiner täglichen Praxis lernen? Zunächst das Beste, was eine Lehrzeit geben kann: Pflichtbewußtsein, Ordnung, Pünktlichkeit, schnelles Rechnen und Schreiben und die sorgfältige Ausnutzung der Kräfte, um bis zu einem gegebenen Zeitpunkt mit dem Arbeits pensum, das die einzelnen Tagesstunden bringen, fertig zu werden. Alles in allem: er soll durch die draußen gut be leumundete »Leipziger Schule« gehen. Und er sieht und lernt im Milieu der Buchhändlcrstadt so mancherlei Dinge, die aus seine Berufsbildung einwirken und die ihn in der späteren Gehilfenpraxls sich leicht in neue Verhältnisse ein leben, ihn neuen Anforderungen sich anpassen lassen. Ver folgen wir die verschiedenen Arbeitsleistungen, die von einem Lehrling im Kommissionsgeschäft gefordert werden, in fort laufender Reihe, so dürfte ein systematischer Bildungsplan hieraus ohne weiteres abgeleitet werden können. Der Neuling wird zunächst einem ersahrenen Gehilfen zugeteilt, dem er bei der Auslieferung und ihren Neben arbeiten assistiert. Hier und da ist es wohl auch üblich, daß ihm die Fundamente der Firmenkenntnis, auf der sich alles Weitere aufbaut, beim Auslegen der Zirkulare und Skripturen in die Zettelkästen, womit die Zusammenstellung der Zettel pakete verbunden ist, beigebracht werden. Die Firmenkenntnis ist in allen Zweigen des Buch handels von nöten; wer vermöchte sonst die bei der Avis- und sonstigen buchhändlcrischen Rechnungsführung in kürzester Form gegebenen Firmenbezeichnungen richtig zu lesen? Das Auslieserungsgeschäft vermittelt des weiteren an der Hand der Kredit- und Auslieferungsliste die Bekanntschaft mit den Verhältnissen der solventen und bedarfssähigen Sortimenter firmen, die in Rechnung geliefert erhalten, im Gegensatz zu denen, die auf keiner Liste stehen und nur gegen bar be ziehen dürfen. Die Nachtisch-Auslieferung, bei der zuweilen ein großes Arbeitspensum in kurzer Zeit erledigt werden muß, erfordert ebenso schnelles wie gewissenhaftes Aus fertigen der Fakturen, denn beim nachträglichen Ausstellen der Liste auf Grund der ausgezeichneten Verlangzettel würde ein später bemerkter Fehler nicht mehr zu verbessern sein, da Faktur und Paket dann längst aus dem Hause sind. Beim Aussetzen der Bücher nach den Fakturen ist Titel kenntnis zu erwerben, sorgfältige Lagerordnung wird in ihrem vollen Wert erkannt, sie erleichtert das Aus finden des Gesuchten und dient der rechtzeitigen Er gänzung zu Ende gehender Vorräte. Auspackeu und Einordnen der Remittenden, die auf ihre Verkäuflichkeit zu prüfen sind, und Inventur-Aufnahmen der Hand- und Ballenlager bieten neue Ausgaben. Diese Arbeiten sind selbstverständlich nicht die eines Lehrlings in eigener Verantwortlichkeit, aber bei geschickter Anleitung seines direkten Vorgesetzten wird er hilfreiche Hand leisten und sie lernen können. Da viele Verleger ihre Artikel in Leipzig broschieren und binden lassen, so ist auf dem Ausliefererposten auch »«ft