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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 09.07.1909
- Strukturtyp
- Ausgabe
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- 1909-07-09
- Erscheinungsdatum
- 09.07.1909
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- Deutsch
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^ 156, S. Juli 1909. Nichtamtlicher Teil. eine wissenschaftliche Forschungsstelle erster Ordnung und eine Stätte hoher Geisteskultur erhalten geblieben. Geheiinrat Professor vr. Wilhelm Dilthey hat 1889 zwei Aufsätze geschrieben, in denen er die Notwendigkeit von -selbständigen Archiven für Literatur« darlegt (»Deutsche Rundschau«, Band 58 S. 360 ff. und »Archiv für Geschichte der Philosophie«, Band 2 S. 343 ff). Mit Recht betont er, daß, wie wir Staatsarchive haben, auf deren Ausnutzung die politische Geschichtsforschung beruht, ebenso auch einzelne Archive für Literatur geschaffen werden müssen, die an einer Stelle das ganze für wissenschaftliche Spezialforschung not wendige Material vereinigen. Literatur ist dabei im weitesten Sinne zu verstehen: sie umfaßt ebensogut Philosophie, Sprach wissenschaft u. dgl. wie Dichtung oder Romanschriftstellerei. Die literargeschichtliche Forschung kann sich nicht nur auf das Studium der gedruckten Werke eines Autors be schränken. -Das fertige Buch«, sagt Dilthey, »spricht für sich wenig von dem Geheimnis seiner Entstehung aus. Pläne, Skizzen, Entwürfe, Briefe, in diesen atmet die Lebendigkeit der Person.« Ein vollständiges Bild der Persönlichkeit eines Schriftstellers kann erst ge wonnen werden aus der genauen Kenntnis seines handschriftlichen Nachlasses, seiner Vorarbeiten. Pläne, Ver suche, Entwürfe, der gesamten intimen Werkstattzeugnisse seiner schaffenden Tätigkeit. Jedes einzelne Blatt kann von Bedeutung sein: es fügt sich in eine Lücke ein und vervoll kommnet das Gesamtbild. An einer solchen Samrnelstelle hat man die Möglichkeit, alle Dokumente bedeutender Geistes arbeit zu vergleichen, man sieht die Veränderungen der Hand und Schreibweise, man kann mit ihrer Hilfe wichtige chrono logische Feststellungen machen, man ist in der Lage, den ganzen Entwicklungsgang bei der Entstehung eines Werkes vom ersten Aufblitzen des Gedankens bis zur Vollendung durch alle Stufen hindurch zu verfolgen. Diese Art wissenschaftlicher Spezialforschung kann das Nietzsche-Archiv in vollkommener Weife ermöglichen. Durch den unermüdlichen Sammeleifer von Frau Förster-Nietzsche ist dort jetzt folgende erstaunliche Materialsülle vereinigt worden: 17 Druckmanuskripte, 65 gebundene Hefte mit Auf zeichnungen und Entwürfen allgemeinphilosophischen Inhalts, 160 Oktav-, Quart- und Foliohefte, darunter 44 Notiz- und Taschenbücher, 51 Hefte philologischer Vorlesungen und Studien, einige Dutzend mit losen Blättern gefüllte Mappen; ferner etwa 1200 Briefe Nietzsches nebst den Antwortbriefen der Adressaten. Aber auch die sonstige Einrichtung dieser Ltteraturarchive, ihre ganze Atmosphäre hält Dilthey für wissenschaftlich wert voll. Die moderne Forschungsmethode, führt er aus, »will Vater und Mutter des Mannes kennen, die Bedingungen, unter denen er arbeitete, die älteren Personen, die auf ihn wirkten, die mitstrebenden Genossen usw.«. »Stätten, an denen die Handschriften unserer großen Schriftsteller erhalten und vereinigt lägen, wären Pflegestätten der deutschen Gesinnung. Sie wären eine andere Westminsterabtei, in welcher wir nicht die sterblichen Körper, sondern den unsterblichen idealen Ge halt unserer großen Schriftsteller versammeln würden.« Das ist gewiß richtig. Wer jemals den Spuren eines hervor ragenden Menschen nachgegangen ist, kennt die Bedeutung des unmittelbaren Eindrucks der Atmosphäre, die ihn um gab. Inmitten der Räume, in denen er atmete, der Ge brauchsgegenstände des täglichen Lebens, der Gemälde und Bildnisse von ihm selbst, von seinen Vorfahren, Angehörigen, Lehrern, Freunden wittert man sich förmlich hinein in alle Eigentümlichkeiten seines Wesens, aus ihnen saugt man das Verständnis auf fllr die feinsten Schattierungen seiner Ge danken- und Empfindungswclt. Der Hauptraum des Archivs wird beherrscht von Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel. 78. Jahrgang. Max Klingers mächtiger Nietzschebüste. Diese künstlerische Interpretation ist wertvoller als manche dickleibige Dar stellung von Nietzsches Philosophie. Immer nur das Gleich artige erkennt sich und weiß sich auszulegen: zehn Sätze Goethes über Shakespeare klären besser auf über das Wesen dieses Genies als eine ganze Bibliothek mittelmäßiger Shake speareliteratur. In dem Nietzsche Klingers ist die ganze Wucht der Persönlichkeit, die faszinierende Kraft des schaffenden Willens in eindrucksvollster Form zur Anschauung gebracht. In einem anderen Zimmer hängt die Radierung von Hans Olde. Auch hier ist ein charakteristisches Merkmal fest- gehalten. Dieser Nietzsche ist bereits krank, zweifellos. Aber jede Einzelheit, jede Linie verrät noch die Spur des hoch getriebenen Genius, der an sich selbst zugrunde ging, der gleich der ungezügelten Flamme in sich zerglühte. Das ist der Nietzsche des Antichrist und des klcco domo, der sein Selbst in jener maßlos gesteigerten Form zur Darstellung bringt, die in schwindelerregende Höhen hinaufführt, wo Ver nunft jeden Augenblick in Irrsinn umzuschlagen droht. Der Bogen ist aufs äußerste gespannt: er muß entspannt werden oder zerbrechen. Im Archiv steht auch das Original der Nietzsche- statuctte von Arnold Kramer. Wieder ein anderer Eindruck. Jeder Hervorragende hat mehrere typische Erscheinungs formen seiner Natur. Hier ist es der Weise, der durch ge heimes Leiden am Leben tief, ruhig und wohlwollend gewordene Weise, den wir in der merkwürdigen seitwärts gebeugten Haltung auf alle Lust und alles Weh Herüber blicken sehen. So saß er da, mcnschenmüde, menschenfern, einsam, reif, reich an sich selbst. Angesichts dieses Bild werkes denkt man der vielen Zeugnisse lauterer Seelenhöhe, die in Nietzsches Schriften überall hervortauchen wie »ein lieblicher Wiesengrund zwischen vergoldetem Eise und reinem Himmel«. Hier findet man ferner die photographischen Aufnahmen Nietzsches, das Bild des ernst sinnenden Jünglings, des Soldaten mit der blanken Waffe in der Hand, des geist vollen Dozenten, des kühn in weite Ferne blickenden Zarathustra- dichters, des überreif gewordenen Denkers, der mit jenem freundlich-glückseligen Lächeln zur Mutter heruntersieht, das in den guten Stunden nach dem Zusammenbruch sein schöner Ausdruck war. Wer die Überzeugung teilt, daß geistiges Schaffen dem Äußeren ein charakteristisches Gepräge gibt, wird den Wert solcher sinnensälliger Interpretationen für das Verständnis eines Denkers zugeben. Gewiß ist es auch zu billigen, daß in einer Vitrine die Lehrer, Freunde, mitstrebenden Genossen des Philosophen vereinigt worden sind. Indessen wird hierdurch kaum mehr erreicht als die Befriedigung einer verfeinerten Neugier. Wenn dagegen die Handbibliothek Nietzsches ringsum an den Wänden Aufstellung gefunden hat, so ist dem nicht nur die Bedeutung einer Stimmungserhöhung beizulegen. Nietzsche las mit dem Bleistift in der Hand, er unterstrich, schrieb Interjektionen, Urteile, Bemerkungen an den Rand. Das sind oft gute Fingerzeige. Ein Teil dieser Randglossen ist bei der Herausgabe des Nachlasses bereits verwendet worden. Was für Aufgaben hat nun das Archiv in Zukunft noch zu lösen? Die wesentlichen Teile des Nachlasses liegen jetzt in ein wandfreien Ausgaben vor. Auch der wichtigste Bestand an Briefmaterial ist bereits veröffentlicht. Aber immer wieder wird man die Manuskripte einer genauen Durchsicht unter ziehen müssen. Denn aus Varianten, Bruchstücken, selbst durchstrichenen Bemerkungen usw. können kritisch oder bio graphisch wichtige Daten gewonnen werden. Schließlich dürfte es doch nicht ausbleiben, daß auch von Nietzsches 1056
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