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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 06.10.1909
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1909-10-06
- Erscheinungsdatum
- 06.10.1909
- Sprache
- Deutsch
- Sammlungen
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- Saxonica
- LDP: Zeitungen
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11682 Börsenblatt s. d. Dtschn. Buchhandel. Nichtamtlicher Teil. 232. 6. Oktober 1909. zerfallene Gebäude au der Landstraße mahnt daran, daß hier überall der Türke Jahrhunderte gesessen hat. Einige Zigeuner kolonien, die sich auf dem Wege nach dem Süden befinden, überholen wir. In der Dunkelheit — der Weg ist kaum noch zu erkennen — erreichen wir ein armseliges Gebirgsdorf, das uns Nachtquartier bietet. Im Gasthof, wenn man diesen elenden Han so nennen darf, lagern wir uns auf dem erhöhten Holz podium, das allgemein als Lagerstätte dient, der Sattel wird als Kopfkissen benutzt; wir schlafen wohl etwas unbequem, aber nach dem langen Ritt fest. Schon beim Morgengrauen, gegen drei Uhr, weckt mich mein Gaul, der aus dem nebenan befindlichen Stall seinen Kopf in unser »Schlafzimmer« hineinstößt und durch anhaltendes Klirren mit der Kette seinem Verlangen nach Frühstück Ausdruck gibt. Draußen ist es noch stockdunkel, als wir unseren Weitermarsch an- treten. Das Pferd am Zügel führend, vorsichtig die Unebenheiten der sich in miserablem Zustande befindenden Straße vermeidend, steigen wir während einiger Stunden, an wildzerklüfteten Gründen haarscharf vorbei, den Abhang der Hochebene hinunter; wir be treten die Köstendiler Talebene; froh, den beschwerlichen Weg hinter uns zu haben, erfrischen wir uns und unsere Pferde durch einen flotten Trab, und gegen zehn Uhr betreten wir das er bärmliche Pflaster der engen Gassen von Köstendil. Herzlich bewillkommt uns unser Geschäftsfreund, ein bayrischer Ingenieur, der in diesem verlassenen Winkel des Balkan mit Weib und Kindern haust. Der Büffelwagen mit den Bücher ballen war schon am Tage vorher wohlbehalten angekommen. Nach einem reichlichen deutschen Mittagsmahle mache ich dem Bürgermeister meinen Besuch; bei Kaffee und Zigarette sitzen wir in stundenlangem Gespräch, an dem sich seine Frau und seine er wachsenen Söhne lebhaft beteiligen; mau hat noch Zeit im Orient; das Sprichwort unserer rastlosen Gegenwart: »Zeit ist Geld« ist dort unverständlich. Zuletzt kommen wir überein, daß die Abnahme der Bücher am nächsten Tage stattfinden und, wenn alles in Ordnung befunden, mir der Betrag der Rechnung aus gehändigt werden soll. Pünktlich bin ich am anderen Tage zur Stelle; die Bücher sind schon herbeigeschafft, und es beginnt nun, nachdem der Bürgermeister in Begleitung zweier anderen Größen der Stadt verwaltung erschienen ist, ein stundenlang währendes Vergleichen, Besprechen und Unterhandeln. Jede Jahreszahl, jeder Verleger name eines Werkes, der nicht mit den Angaben der Bestellung übereinstimmt, gibt Anlaß zu endlosen Debatten. Gar zu gern versucht man, nach erprobter orientalischer Manier, hieraus Kapital zu schlagen, das heißt, die angesetzten Preise zu drücken. Man muß alle Register seiner Überzeugungskunst aufwenden, um den guten Leuten klar zu machen, daß ihre Monita unbegründet sind, oder um ihnen zu beweisen, daß sie ihre Bestellung unge nau aufgegeben haben. Endlich ist es erreicht; nach vier stündiger Arbeit wird mir der Betrag in Silberstücken ausgezahlt; es sind zwei ansehnliche Säcke, die ich durch die Straßen schleppen muß. Mein Chef hatte inzwischen über die aufzusuchenden Graphit lager nähere Erkundigung eingezogen. Bauern, die auf den Wochenmarkt in Köstendil kamen, bedienten sich zu ihren Auf zeichnungen handgroßer Stücke von Graphit. Darüber befragt, woher sie den holen, antworteten sie stets: »Oben vom Gebirge«. Mißtrauisch, wie die Orientalen nun einmal sind, wittern sie hinter den harmlosesten Fragen stets etwas ganz Besonderes, und da nun sogar Fremde sich für den Graphit interessierten, so glaubten sie bereits, daß diese »Kohle« ungeheure Neichtümer verschaffe, und es war unmöglich, Näheres von ihnen zu erforschen. Endlich fand sich ein junger Bauernbursche, der sich gegen gute Belohnung bereit erklärte, uns an die Fundstelle, die hoch oben im Gebirge liegen sollte, zu geleiten. Es wurde daher beschlossen, am nächsten Morgen nach dem Nilo-Kloster aufzubrechen und von dort aus sich nach den Graphit lagern, die nach den erhaltenen Proben reinen Graphit aüfweisen mußten, zu begeben. Das Nilo-Kloster ist, neben den Klöstern des Athos-Berges, das größte und berühmteste Kloster im Balkan; zur Oster- und Psingstzeit beherbergt es Zehntausende von Pilgern, die zu Fuß und zu Pferde aus allen Teilen des Königreichs wie auch aus Mazedonien herbeiströmen. Die bulgarischen Klöster und ihre Insassen sind meistens be gütert; Bettelmönche wie in Italien oder Spanien sind unbekannt. Die Klöster verfügen vielfach über die Erträge großer Acker und Wälder; nicht selten werden Bauern und Bürger gegen mäßige Zinsen mit Geld unterstützt. Irgendwelche moderne Bildung sucht man jedoch bei den Mönchen vergebens; die Bibel ist die Grundlage ihres Wissens. Daher ist auch ein längerer Verkehr mit diesen freundlichen und zuvorkommenden Menschen für den Fremden nicht angenehm; aber man findet stets gutes Essen, einen guten Wein und vorzügliche Zigaretten bei ihnen. Deshalb sucht man auch mit Vorliebe beim Reisen ein Kloster als Unter kunftsstätte auf; wenn das gebotene Nachtlager meist auch von biblischer Einfachheit ist, immer ist es besser als in dem ärmlicheil Hail der Landstraße und der Dörfer, wo man Spezialstudien über alle vorkommenden Arten von Ungeziefer in menschlichen Behausungen treiben kann. Wie alle Klöster, so liegt auch das Rilo-Kloster tief im Ge birge und es bedeutet für den Pilger eine letzte Anstrengung, die steil emporführenden Pfade zu erklimmen. Malerisch an einen riesigen Felssturz angebaut, liegt das Kloster, umschlossen von dichtem Walde, der das enge, von rauschendem Gebirgsbach durch flossene Tal bedeckt. Wie ein verzaubertes Märchenschloß zwischen Wald und Felsen. Dichtes Gestrüpp umgibt das*Kloster von allen Seiten, nur an einer Seite ist der Zugang möglich. Die Gebäude des Nilo-Klosters sind typisch für alle anderen klöster lichen Anlagen im Balkan. Vier große Flügel von Gebäuden, mit zahlreichen Kammern und Gemächern, die man von der vor gebauten Holzveranda betritt. Irgendwelche Möbel sucht man in den Räumen vergebens, selten findet man einen einfachen Holz stuhl. Man ist im Orient bescheiden in seinen Lebensansprüchen. Hier lernt man erst kennen, was westlicher Komfort heißt, weil man ihn entbehren muß. Jetzt zu den Osterfeiertagen herrscht emsiges Treiben im Kloster und in dessen nächster Umgebung. Tausende von bulgarischen Bauern und Bäuerinnen in ihren verschiedenen Nationaltrachten beleben die Szenerie. Die Glocken der Kloster kirche rufen fast ununterbrochen zum Gottesdienst. Wir begeben uns zu den Gemächern der Mönche, die sich etwas wohnlicher eingerichtet haben. Die sofa-artigen Lagerstätten sind reinlich, mit mehreren Kopfkissen versehen und mit großer Sorgfalt hergerichtet. Auf den Tischen stehen Aschenbecher; in einigen Räumen finden wir sogar Schreibtische, ein Beweis, daß die Klosterbrüder den Erzeugnissen moderner Kultur nicht feindlich gesinnt sind, trotz ihres halbwilden Aussehens; in ihrem weiten, schwarzen Kaftan, dem starken Haarwuchs — fast alle Mönche haben lang herabwallende Bärte — und der enorm hohen Popenmütze könnte man wirklich Angst bekommen, wenn nicht die gutmütigen, verschmitzten Augen der meist wohlbeleibten, auf reichliche Leibesnahrung sorgfältig bedachten Mönche uns eines anderen belehren würden. Am nächsten Morgen unternehmen wir den Aufstieg ins Gebirge. Es ist eine mühselige Kletterei durch hohen Urwald an scharfkantigem Granitgestein empor; stundenlang klimmen wir im Bett rauschender, eisigkalter Gebirgsbäche in die Höhe. Die Schneegrenze ist längst passiert; wir befinden uns im wildesten Hochgebirge. Am späten Nachmittag erreichen wir endlich das Graphitlager. Da wir nicht darauf eingerichtet sind, in dieser Höhe zu übernachten, so heißt es: sich beeilen. Schnell werden größere Probestücke aus der schwarzen Wand heraus gehauen, Skizzen und Messungen vorgenommen sowie photographische Aufnahmen gemacht. Nach kurzer Rast treten wir den Rückweg an, der noch schwieriger als der Aufstieg sich gestaltet, denn inzwischen ist die Dunkel heit hereingebrochen, und es erfordert turnerische Gewandheit, sich durch dichtes Gestrüpp, über Felsen und gefallene Baum stämme vorwärts zu bewegen. Es ist nahezu Mitternacht, als wir das Kloster endlich wieder erreichen. Schon am nächsten Vormittag machen wir uns auf den Heim weg; unsere Pferde, die Ruhetage gehabt haben, greifen mächtig aus; wir wählen die kürzeste Route über das kleine Grenz städtchen Dupnica und treffen nach sechsunddreißigstündiger Reise wohlbehalten zu Hause an. Es mag hier erwähnt sein, daß die mühsame Aufsuchung des Graphitlagers sich als nutzlos erwies, denn die Fabersche Fabrik
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