^265, 13. November 1909. Fertige Bücher. Bruno Cassirer. Verlag. Berlin T Fertig liegt vor: Vally Wygodzinski Das Tagebuch Einer Künstlerin Broschiert M. 3.50 ord.. gebunden M. 4.50 ord. sind Briefe und Aufzeichnungen einer jung Leimgegangenen, dis hier der Öffentlichkeit zugänglich V^gemacht werden. Kein bedachtes Werk, sondern spontane Äußerungen, deren Einheit nur in der Person der Schreiberin liegt. Geboren 1879 zu Görlitz, wuchs sie in Berlin auf. erregte durch ihre literarischen Fähigkeiten Aufsehen, bildete sich aber dann unter Dora Lih zur Malerin aus. worauf sie in Florenz und Paris eine außerordentliche Entfaltung ihrer Natur und Begabung erlebte, um nach einer Fülle innerer und äuß rer Erlebnisse und ungezählter Pläne für die Zukunft einem frühen Tode zu verfallen. Alles was sie hinterlassen, zeichnet sich durch eine erstaunliche Anmittelbarkeit und Eindringlich keit aus Alles ist Leben, Blitzen. Funkeln, nichts toter Punkt, nichts leerer Sah. alles Bewegung, Rhythmus — wie eine Art vergeistigter Zigeunermusik; wie denn auch Vally Wygodzinski einmal von Zigeunern als Arahnen redet. Ob sie eine neue Bekanntschaft mit ein paar karikaturistischen Strichen skizziert oder ihre Streifzüge auf dem Montmartre schildert, ob sie sich mit Raffael auseinandergeseht, oder vor Manet alle Fassung verliert, allerall steht das glühende, sprühende Leben selber Pate und bewirkt, daß wir den Rhythmus dieser jungen durstigen Seele, in der ein Schöpfer großen Stiles vorbereitet lag, bedingungslos mitmachen. Wir stehen von solchen Büchern gleichsam mit neuen Gelübden auf; ein wundervoller Jüngling in Frauengestalt ist an uns vorübergestürmt und wieder verschwunden, kaum, daß wir ihn recht betrachten konnten: ein Frühlingstag hat uns fast verwirrend angeatmet — und wir bleiben zurück, den Stachel der Sehnsucht. Liebe und Dankbarkeit doppelt im Kerzen. Ein Buch der Reinheit, der Fruchtbarkeit, ein kleines, zartes, süßes >und dabei so unwillkürliches!) Geschmeide unter jungen deutschen geistigen Kostbarkeiten I Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel. 76. Jahrgang. 1804