2418 Börsenblatt s. d. Dclchn. Buitzbandet- Künstig erscheinende Bücher. 44, 24. Februar 1S10 Axel Juncker Verlag Berlin-Charlottenburg Sybelstraße 11 Am 1. März versende ich: Camille Lemonnier, Warum ich Männerkleider trug. Erlebnisse einer Frau. Roman. 26 Bogen. Preis M. 4.— ord., T> M. 3.— no., M. 2.65 bar und 7/6; gebd. M. 5.— ord., M. 3.40 bar. Mit einem Geleitwort von Stefan Zweig. Bei dem Erscheinen des französischen Originals schrieb: Stefan Zweig in der Neuen Freien Presse, Wien: „Jahr um Jahr, wie die Jüngsten, sendet Camille Lemonnier, der verehrte Alt meister und Schöpfer der belgischenLiteratur, seinenRoman in die Welt, und man spürt mit maßlosem Erstaunen bei Lemonnier das seltene Phänomen eines künstlerischen Wachstums am Ende einer langen, längst schon ruhmreichen literarischen Karriere. Immer saftiger, voller, frischer, immer jugendlicher, lebendiger und kühner werden seine Romane, immer farbiger quillt diese Sprache, die mir längst schon als die lebendigste der fran zösischen Prosaisten erschien. Dieser Roman ist eine unglaublich mutige Geschichte, die zu erzählen ein Jüngerer leicht sich gescheut hätte. Die Geschichte eines jungen Mädchens, das, einsam in Paris lebend, innerlich frisch und noch nicht liebebedürstig, sich allseits und an allen Orten von den vampyrhast ausgreifenden Armen der Sinnlichkeit umgürtet sieht. Keiner läßt ihr ihr stilles, ruhiges Leben, alle Männer greifen nach ihr, in keiner Stellung kann sie sich erhalten, und selbst den ärmlichsten Broterwerb verliert sie durch ihre energische Abwehr der fremden Liebesgelüste, die sie selbst nicht teilt. And schließlich, gehetzt von dieser ewigen Gier, von dieser Meute, die sie wehrlos verachtet, unfähig, länger allein als Mädchen ihr Leben zu fristen, faßt sie den verwegenen Entschluß, sich als Mann zu verkleiden und als Mann sich ihr Brot unbelästigt zu verdienen. Lerb, frisch und jung ist sie, so gelingt ihr leicht die Veränderung in einen stämmigen Burschen, und sogleich tritt ihr das Leben freundlicher entgegen. Mehrmals zwar erkannt, weiß sie sich doch immer tapfer durchzuschlagen, und so rettet sie sich für immer aus ihrem verfolgten, hitzigen Leben in eine Stille und Ruhe. Nach Jahren freilich, wie ihr diese Einsamkeit zu drückend und drängend wird, wie die tiefere Weiblichkeit in ihr erwacht, überkommt sie dann die große Sehnsucht nach dem Kinde, und sie gibt sich einem Fremden hin nur um des Kindes willen. Mit diesem vollen schweren Finale schließt dieser Roman, aus dem leicht ein anderer eine lose Kette von Schlüpfrigkeiten und unterhaltlichen Situationen gemacht hätte. Aber Lemonnier, der in Belgien zwar wegen Ansittlichkeit zweimal Angeklagte, ist viel zu ernst und in einem tieferen Sinne moralisch, um seinen Erfolg mit solchen Mitteln zu erzielen. Ohne das Gefährlichste und Gewagteste zu scheuen, hat er großzügig und lebendig hier ei» Leben geschildert, es geführt durch tausend Winkelgassen, durch seltsame Läufer und verrufene Lokale, hat ganz Paris gegeben, das Paris der Faubourgs und das der großen Läufer, der kleinen Läden und der zärtlichen Ausflüge, der eleganten Paläste und der anrüchigen Gaffen, mit unglaublicher Wahrhaftigkeit und Lebendigkeit dieses Auf und Nieder eines Lebens, dieses Äbergleiten von einem Geschlecht ins andere dargestellt. Kaum wüßte ich von allen lebenden französischen Romanschriftstellern einen so sehr den Deutschen zu empfehlen als Lemonnier, den einzigen, der nicht bei dem ewigen Problem der gesellschaftlichen Liebesaffären verharrt, sondern vor allem in allen Schichten und Sphären menschlichen Schicksals spürt, ein mutiger Erbe Emil Zolas, einer