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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 26.05.1910
- Strukturtyp
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- 1910-05-26
- Erscheinungsdatum
- 26.05.1910
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- Deutsch
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118, 2«. Mai 1910. Nichtamtlicher Teil. Slrstnblatt f. d. Dtsch». «Uchhand-I. 8269 Nichtamtlicher Teil Alte Zeitschriften?) Von Professor vr. Wilhelm Ostwald. (1906.) Unvergeßlich ist mir noch heute nach fast einem Menschen alter der Eindruck, den ich erlebte, als ich zum ersten Male in der Bibliothek eines chemischen Universttätslaboratoriums unbeschränkt herumstöbern durste. Es war an der damals blühenden Universität Dorpat, wo wir Jünger der chemischen Wissenschaften unter der geistvollen und liebenswürdigen Leitung Carl Schmidts in die Geheimnisse der Analyse ein geweiht wurden. Mir waren während meiner Schülerzeit nur wenige chemische Werke und niemals Originalveröffentlichungen unserer Meister vor Augen gekommen; auch das chemische Laboratorium und somit die Jnstitutsbibliothek war dem Studenten in den ersten Semestern noch verschlossen; er mußte zuerst eine Prüfung in der anorganischen Chemie bestanden haben, ehe er zum Praktikum Zutritt erhielt. So kann man sich vorstellen, mit welchem Wolfshunger der von seiner Wissenschaft begeisterte Jüngling sich an den reich besetzten Tisch setzte und zunächst natürlich ziemlich wahllos alles verschlang, was ihm in die Hände siel. Ansangs waren es Lehrbücher und Monographien, die ich im Anschluß an vorhandene Gewohnheiten in die Hand nahm. Dann aber ließ mich mein Lehrer, als ich Präparate anzufertigen hatte, nicht etwa ausgearbeilete Vorschriften aus führen, sondern er gab mir Anweisung, in den älteren Bänden der chemischen Zeitschriften die Beschreibungen nachzusehen, die die Entdecker der herzustellenden Stoffe von ihren Ver suchen gegeben hatten. So hatte ich mich durch die Unter suchungen O. L. Erdmanns, Laurents, o. Baeyers u. a. über die Oxydationsprodukte des Indigos durchzuarbeiten, um darnach die entsprechenden Präparate herzuftellen. Der erste Eindruck war betäubend, und als ich nach einigen Tagen alles durchgelesen hatte, was vorlag, hatte ich das Mühlrad im Kopfe, das der Schüler im Faust so schön be schreibt. Dann aber ging ich frisch an das Experimentieren und Präparieren; während der langen Pausen, die eine solche Arbeit notwendig mit sich bringt, las ich immer wieder eine Arbeit nach der anderen, und allmählich klärte sich das Bild, so daß ich noch jetzt eine ziemlich vollständige Erinnerung von der ganzen Angelegenheit behalten habe. Vor allen Dingen aber habe ich außer der Herstellung des Jsatins und anderer Stoffe noch eine viel wichtigere Sache gelernt, und zwar ein Ding, für das ich meinem un vergeßlichen Lehrer ganz besonders dankbar bin. Ich hatte gelernt, daß eine jede wissenschaftliche Entdeckung das Ergebnis eines natürlichen Entwicklungsprozesses ist, der durch mehr oder weniger zahlreiche Jrrtümer und nicht lebensfähige Gestalten erst zu einem dauernden Ergebnis führt. Bis dahin war mir die Tatsache, daß eine wissenschaftliche Wahrheit durch Menschen entdeckt wird, nur theoretisch bekannt gewesen; meine Vorstellung von diesem Vorgang streifte sehr nahe an die eines Wunders. Daß ich etwa selbst jemals Entdeckungen würde machen können, war mir überhaupt nicht in den Sinn gekommen; mein ganzer Ehrgeiz beschränkte sich darauf, alles das einmal wiederholen zu können, wovon ich in den Büchern gelesen hatte. Mit gütiger Erlaubnis der Verlagsbuchhandlung abgedruckt aus dem neuesten Werl von Prosessor vr. Wilhelm Ostwald: Die Forderung des Tages, tgio. Leipzig, Akademische Verlags- gesellschast m. b. H. Brosch, g.30; geb. 10.20 ord. (Vergl. die Ankündigung in Nr. 117 des Börsenbl., S. 6236.) Börsenblatt sitr bin Deutschen Buchhandel- 77. Jahrgang. Diese Vorstellungen wurden nun vollständig revo lutioniert, als ich jene Arbeiten gelesen und endlich ver standen hatte. Ich hatte den Eindruck, daß das Entdecken eigentlich eine ganz einfache Sache war. Man nahm eben nur zwei oder mehr Stoffe, die bis dahin noch nicht mit einander zur Reaktion gebracht worden waren, ließ sie auf einander wirken und sah hernach zu, was daraus ge worden war. Dieser zunächst eingetretene Überschwang wurde aller dings sehr bald wieder gedämpft, als mir die mannigfaltigen experimentellen Schwierigkeiten entgegentraten, die mit solchem »Nachsehen« verbunden sind, selbst wenn man den Weg mit einem Führer macht. Aber die Freude an dem Studium der Originalliteratur wurde hierdurch nicht geringer, sondern größer. Erschien das Entdecken als eine innerhalb menschlicher Kräfte gelegene Sache, so sah ich doch auch ein, daß es doch außergewöhnliche Kräfte sind, durch deren Betätigung allein solche Resultate entstehen. In das Geheimnis der Wirkungskreise dieser Kräfte einzudringen, war nun eine neue reizvolle Aufgabe geworden, für die der Eifer durch meinen Lehrer genährt und gesteigert wurde. Carl Schmidt war ein Schüler Liebigs und hatte in seinen jungen Jahren bahnbrechende Arbeiten gemacht. Seine mit dem Mediziner Bidder zusammen veröffentlichten Ar beiten über Verdauungssäfte und Stoffwechsel, die die Ent deckung der freien Salzsäure im Magensafte brachten, sind ein dauerndes Zeugnis seiner weitreichenden wissenschaftlichen Gedankenbildung und seiner ungeheuren Arbeitskraft. In seinem »Entwurf einer allgemeinen Untsrsuchungsmethode der Säfte und Exkrete des tierischen Organismus« hat er die mikroskopische Analyse begründet. Doch gehörte er zu den Männern, dis ihre gesamte Fähigkeit zu originaler Gedanken bildung bereits in verhältnismäßig frühem Alter ausgeben, und zwar zweifellos durch Überarbeitung. Ich habe es aus Schmidts eigenem Munde, daß er während seiner physio logischen Untersuchungen, um dem Stoffwechsel seiner Ver suchstiere analytisch nachzukommen, von den vierundzwauzig Stunden des Tages zwanzig am Laboratoriumstische und die übrigen vier auf einem im Laboratorium errichteten Feld bett zugebracht hat. Übriggeblieben war ihm zu meiner Zeit seine staunenswerte analytische Geschicklichkeit, sein unermüd licher Fleiß (den er auf Wafseranalysen richtete) und eine geradezu märchenhafte Liieraturkenrttnis. Wenn man ihn nach irgend einer älteren Arbeit fragte, so wußte er nicht nur Autor und Zeitschrift zu nennen, sondern er griff ein fach in die Reihen seiner Bibliothek (die gleichzeitig Studier zimmer und Laboratorium war) und holte den Band heraus, der die gewünschte Abhandlung enthielt. Man kann sich denken, wie dies dem strebsamen Jünger imponierte. Aber es hätte dieser und der in Schmidts Vor lesungen über Geschichte der Chemie (beiläufig die einzige Vorlesung, welche ich als Student wirklich zu Ende gehört habe) enthaltenen Anregungen nicht bedurft, denn mit dem oben geschilderten Wolfshunger nach wissenschaftlichem Lesestoff vereinigte sich damals ein Straußenmagen, der alles vertrug, indem er, was er nicht verdauen konnte, auf sich beruhen ließ. Ich begann einfach Liebigs Annalen der Chemie, Grens, Gilberts und Poggendorffs Annalen der Physik, das Journal für praktische Chemie nebst seinen Vorläufern und später auch die französischen und englischen Zeitschristreihen Band für Band durchzulesen. Das meiste allerdings nur flüchtig, wie man eben ein unterhaltendes Buch liest; große Strecken mußte ich auch überschlagen, wenn sie mir ganz unzugänglich schienen. Aber insgesamt habe ich durch dieses jahrelang fortgesetzte Verfahren einen so 810
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