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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 26.05.1910
- Strukturtyp
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- 1910-05-26
- Erscheinungsdatum
- 26.05.1910
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- Deutsch
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6270 Börsenblatt s. d. Dtschn. Buchhandel. Nichtamtlicher Teil. ^ 118, 26. Mai 1910. lebendigen Eindruck von der Entwicklung der Wissenschaft bekommen, daß sich für die meisten meiner späteren Werke eine geschichtliche Darstellung von selbst ergab. Wenn ich hier so lange von mir und meinen Erleb nissen gehandelt habe, so ist es geschehen, weil es sich um die Beschreibung einer typischen Erscheinung handelt. Es ist wohlbekannt, in welchem Maße die in der Jugend auf genommenen Eindrücke im weiteren Leben nachwirken; der zu jener Zeit aufgelegte Einschlag zieht sich durch das ganze geistige Gewebe des späteren Menschen hindurch. So ist die Verfügung Uber Quellenliteratur mir seitdem ein unent behrliches Bedürfnis geworden; an allen Stellen, an denen ich später zu wirken hatte, war es eine meiner ersten Sorgen, meinen Arbeitsgenossen und mir jenes unentbehrliche Hilfs mittel zu freiester Verfügung zu halten. Ich habe damals gelernt, daß die Neigung und Fähigkeit, eine Frage in ihrer geschichtlichen Entwicklung aufzusassen, für die wissenschaftliche Ausbildung des Chemikers (und jedes anderen Forschers) ähnlich wichtig ist wie die Neigung und Fähigkeit zu sauberer und gewissenhafter manueller Arbeit. Im Laufe der Zeit ist mir dann noch eine andere Eigen schaft entgegengetreten, die einer derartig ausgestatteten Bibliothek zukommt. Die früh erworbene Neigung, die ältere Zeitschriftliteratur im Original zu lesen, auch wenn es sich nicht um bestimmte Fragen handelte, mit anderen Worten das Herumschmökeru in jenen alten Bänden hatte mich von jeher zu allerlei nicht eben naheliegenden Gedanken und Versuchen angeregt. Als nun im Laufe der Zeit die Anzahl der Mit arbeiter und damit auch der Bedarf und Verbrauch von Themen für die wissenschaftliche Arbeit wuchs, erwies sich jene Gewohnheit als überaus hilfreich. Wieviel Themen für künftige Arbeiten sind mir nicht bei jener scheinbar nutzlosen Tätigkeit in die Hände gefallen! Hieraus ergab sich eine entsprechende Mannigfaltigkeit der Arbeiten, die im Labo ratorium ausgeführt wurden, und damit ein Vorteil für die Studenten, den ich nicht gering anschlage. Bei der Ausbildung zu eigener wissenschaftlicher Tätig keit, die jetzt (im Gegensatz zu der früher üblichen Aus bildung in der bloßen Beherrschung des Vorhandenen) die eigentliche Aufgabe der Universität ist, ist das Nächstliegende, daß der Lehrer den Schüler an seinen eigenen wissenschaft lichen Arbeiten beteiligt und ihn so an einem Punkte in die Forschertäligkeit einführt, den er selbst eben ganz beherrscht und der ihn mit dem lebhaftesten Interesse erfüllt. Hieraus ergibt sich ein psychologisches Mo ment, das für den Einfluß des Lehrers von größter Bedeutung ist, denn nichts teilt sich dem empfänglichen Ee- müte des Jüngers leichter mit, als ehrliche Begeisterung des Lehrers für seine Sache. Ja wir sehen oft, daß dessen Ansichten von den Schülern viel leidenschaftlicher und rück sichtsloser vertreten werden, als von ihm selbst. Neben großen Vorzügen hat aber dies Verfahren den Nachteil, daß es die Gefahr einer gewissen Einseitigkeit für den Schüler mit sich bringt. Nun gehöre ich allerdings zu den wohl noch wenig zahlreichen Leuten, denen die Redensart von der »ab geschlossenen Bildung» eine mit Abscheu gemischte Verachtung einflößt. Bildung ist ihrer Natur nach nie abgeschlossen, denn die Mannigfaltigkeit der Erscheinung in der Wirklichkeit ist überall unendlich, und so müßte es auch eine Bildung sein. Eine jede Bildung, die mit dem Ansprüche der Abgeschlossen heit auftrilt, kennzeichnet sich dadurch von vornherein als eine Scheinbildung. Der Anschein, daß es eine abgeschlossene Bildung geben könne, entsteht daher nur dann, wenn man sie aus ein eng begrenztes Gebiet beschränkt und alles andere willkürlich als nicht zur Bildung gehörig ausschließt. Die Anwendung dieses Satzes auf konkrete Fälle mag dem Leser überlassen bleiben. Aber wenn auch eine vollständige wirkliche Bildung nie erreichbar ist, so ist doch ein genügendes Maß von Mannig faltigkeit in ihr sehr wünschenswert. Sind Zeit und Mittel beschränkt, so ist eine bewußte Einschränkung des Kreises der Bildung notwendig, und man kommt zu solideren und brauchbaren Ergebnissen, wenn man diese zunächst mehr nach der Tiefe als nach der Breite anstrebt. Denn jedes genau und sicher erkannte Stückchen Wahrheit ist hernach ein untrüglich strenger Maßstab sür alles andere Wissen, denn was da mit in ersichtlichem Widerspruch steht, ist sicher falsch, wenn man auch den vorhandenen Fehler nicht einzeln Nachweisen kann. Diesen Zustand muß der Wissenschaftler vor allen Dingen zu erreichen suchen; von da ab aber muß er weiter gehen und muß seinen Kreis erweitern mit dein Bewußtsein, daß seine Ausgabe eine unendliche und daher nie vollständig ausführbare ist. Und damit kommen wir auf unseren Gedankenweg wieder zurück. Hat der Schüler nur den Jdeenkreis kennen gelernt, in dem sich soeben die Forschungen seines Lehrers bewegen, so kommt er nur zu leicht zu der Vorstellung, daß es außerhalb desselben Beachtenswertes nicht viel gibt; er gewinnt eine »abgeschlossene Bildung« im borniertesten Sinne. Fügt man die allgemeine psychologische Tatsache hinzu, daß von solchen eifrigen Schülern gerade die schwächsten Seiten des Lehrers mit dem größten Eifer übernommen zu werden pflegen, so ergeben sich anschaulich die sehr großen Gefahren, die die oben geschilderte natürliche Methode in der wissen schaftlichen Erziehung mit sich bringt. Das Gegenmittel liegt aus der Hand: es besteht darin, daß man die nebeneinander arbeitenden Schüler mit möglichst verschiedenartigen Aufgaben aus dem großen Gebiete der Wissenschaft beschäftigt. Ein jeder gewinnt dann die an schauliche Überzeugung, wie groß die Wissenschaft ist und wie viele Probleme außer dem seinen es in ihr gibt. Da neben lernt jeder einzelne nicht nur die Mittel und Methoden seines eigenen Problems kennen, sondern auch mehr oder weniger die seiner Nachbarn und Arbeitsgenossen. Dies ergibt einen weiteren Zuwachs an Allgemeinheit der Bildung. Und so ließen sich noch einige Punkte ansühren, welche in gleichem Sinne zu gunsten der Mannigfaltigkeit sprechen. Wie ermöglicht es nun der Lehrer, diese Mannigfaltigkeit von Problemen zu gewinnen? Es gibt mancherlei Mittel dazu; eins der wirksamsten und gleichzeitig zugänglichsten ist das »Herumschmökern» in der Bibliothek, das ich vorher be schrieben habe. Ich habe mir, da ich nicht Tabak rauche, zur Ausfüllung verlorener Viertelstunden (z. B. der Zeit zwischen dem Augenblicke, wo zum Essen gerufen wird, bis zu dem, wo man zu essen bekommt) diesen Zeitvertreib angewöhnt, und nachträglich kann ich die Fälle nicht zählen, in denen ich so Gedanken gefunden habe, die in irgend einer Weise mich über Hindernisse befördert haben, welche ich lange Zeit nicht hatte überwinden können. Und Themen zu »Arbeiten« habe ich auf diese Weise immer in reichlichem Vorrat gehabt, trotz dem zuzeiten sehr erhebliche Ansprüche nach dieser Richtung zu befriedigen waren. Aber es sind nicht nur die Bedürfnisse des Professors, die durch solches Herumstöbern in alter Literatur befriedigt werden. Durch das Verfolgen vergangener wissenschaftlicher Streitigkeiten, die ja nie ausgeblieben sind, gewinnt man un willkürlich eine Art persönlicher Kenntnis vom Charakter und der Denkweise der Beteiligten sowie eine Art praktischer Er fahrung über die Klippen des wissenschaftlichen Denkens: beides Bereicherungen der eigenen Bildung, deren Wert man sehr hoch einschätzen muß. Man gewinnt ein lebhaftes Gefühl für den wissenschaftlichen und persönlichen Stil, ärgert sich gelegentlich über die Breite und Verwaschenheit in der Ge dankenführung des einen, erfreut sich an der knappen Klar-
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