ISO, 2, Juli 1910. Fertige Bücher. Die Masken Erwin Reiners :: Roman von Jakob Wassermann :: Soeben erscheint die fünfte bis siebente Auflage Z) Aus einem Feuilleton der „Neuen Freien Presse", Wien: ... Durch die materiell faßbaren Ereignisse, die Wassermann erzählt, schlingt sich meist, und so auch in diesem neuen Noma», ein unfaßbares Band mystischer Reizungen, die auf undurchschaubar tiefem Seelengrund ihre Rätselblüten treiben. Die Reiche der Ahnungen, der Visionen und der Träume (vor allem der Träume) senden ihre Geisterboten aus, die uns inmitten der Wirklichkeiten vieldeutig umgaukeln. Das Irreale, das Äbernatürliche, das Transzendentale machen ihre Ansprüche geltend und mischen ihre Farben ein. Ganz wunderbar eigene poetische Stimmungen blühen hieraus hervor und die Ahnung verborgen tiefer Deutungen umschleicht uns mit leisen Mahnerschritten. Dieser mystische Untergrund, auf dem das reale Gebäude der Erzählung sich trotz alledem frank und unbefangen erhebt, erzeugt vor allem im Leser jenes eigene und wohlige Gefühl, daß er im Reiche der Kunst, der Dichtung sich befindet. Dazu kommen dann die hohen stilistischen Vorzüge, deren Wassermann sich stets und ganz besonders in diesem Romane berühmen darf. Die Pracht, Leidenschaftlichkeit, Gedrängtheit und Geistigkeit seiner Sprache verraten eine hohe individuelle Durchbildung. Dabei ver schmäht Wassermann alle bequemen und billigen Effekte. Er befleißigt sich keineswegs jener so bestechenden äußeren Lebhaftigkeit, die naive Leser gerne für künstlerisches Temperament nehmen. Er sucht uns auch nicht durch die Schmeichelkünste graziöser Tändeleien oder lyrischer Schwelgereien zu umstricken. Sein Vortrag ist herb, groß und gemessen. And mit einer Strenge, die hie und da schon an Pedanterie streift, hält er den Stil epischer Ruhe und Distanzgebung fest. Er fraternisiert weder mit dem Leser noch mit seinem Stoffe, sondern steht als magischer Lpiritus rector über beiden. Mitunter leistet er es sich, gerade in den Momenten besonderer Spannung oder Erregung, mit einer allgemeinen Bemerkung oder Reflexion unser Blut abzukühlen, wie um uns recht sinnfällig daran zu mahnen, daß wir uns in einem Reich der Illusionen befinden und daß es des Dichters Recht ist, damit zu spielen und sinnreich darüber zu walten. S. Fischer, Verlag, Berlin