^ 203, 2. September 1910 Künftig erscheinende Bücher. Börl-Nblau f, d. DIschn. Buchyand-I. 9947 Wir versandten soeben Rundschreiben über: Jakob Schaffner: Konrad Pilater Konrad Pilater ist ein Handwerksbursche, ein Schustergeselle. Darüber hinaus ist er ein Mensch, der seine Bestimmung sucht, der seine Bestimmung noch nicht gefunden hat. Da er das noch nicht ist, was zu sein ihn das Schicksal bestimmt hat, so kommt es ja nicht darauf an, in welchem Gewände er bis zu seiner Erlösung und Freisprechung auf Erden herumwandert. Warum also nicht auch als Schuster? Der junge Simplizius SimPlizissimuS, in nnserm deutschen Ar-, Abenteuer- und Schelmenroman, verwundert sich über das ABC; sein Nachfahre aus der so beruhigten Zeit von heute steht vertrauter zu allem Schriftlichen und Gedruckten. Gleich als er uns vorgestellt wird, erfahren wir, daß in seinem Ranzen, außer dem Schuster werkzeug, der Kundenwäsche und einer Mundharmonika, auch ein zusammen gebettelter Zeitungsroman steckt und gar ein paar „selber gemachte Ge dichte". Mag er auch himmelweit verschieden von der derben Kraft in Genuß, Tat und Leiden sein, die den Simplizissimus durch das Land ge leitet, so ähnelt er ihm doch darin, daß er erst auf seinem eigenen Grund und Boden zur Ruhe kommen wird, in einem geistigen Besitz freilich. Auf der Wanderung dahin läßt er sich durch nichts aufhalten. Abenteuer in Frank reich, allzu frühe Seßhaftigkeit in einem kleinen elsässischen Städtchen, die Freundschaft zu einem Wandergenoffen, die Liebe einer jungen Meisterstochter werden ihm zuteil; er gibt sich ihnen hin, aber unter seiner Hingabe wacht die Anruhe, die ihn nicht zu einem vorzeitigen Ziel kommen läßt. Wundervoll und ergreifend ist insbesondere die Flucht vor dem Mädchen, das mit käthchen- hafter Treue ihm nachzieht und, unglücklicher als Käthchen, seine Seele nicht einholt und zugrunde geht. Sein kaltes Herz habe das angerichtet, wird ihm vorgeworfen, aber etwas anderes war schuld: die Sehnsucht seines Geistes. — Schaffners Erzählungskunst ist im „Pilater" mit einer heiter spielenden Meisterschaft entfaltet. Die Sprache quillt ihm unerschöpflich, reich nach allen Seiten ergossen Eine kultivierte Volkstümlichkeit, eine bewußtseinsvolle Naivität, ein idyllischer Skeptizismus machen ihn zu einer der eigentüm lichsten Dichtergestalten der Gegenwart. S. Fischer, Verlag, Berlin