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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 06.09.1910
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1910-09-06
- Erscheinungsdatum
- 06.09.1910
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- Deutsch
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206, k. September 1910. Nichtamtlicher Teil. Börsenblatt s. d. Dtschn. Buchhandel. 10091 Vorliebe in den Geschäften, in denen sie »ungeniert« die Fortsetzung des Schundromans verlangen können. Während also einerseits der redliche wirkliche Buchhandel, Schrift steller und Volkslehrer diese Hintertreppenromane in Wort und Schrift bekämpfen und insbesondere die Jugend vor den verhängnisvollen Wirkungen einer derartigen Lektüre zu bewahren bemüht sind, findet der Hintertreppenroman durch Fabrikanten, die ihr Seifenpulver oder sonstige Artikel unterdringen wollen, in Tausenden von Heften kostenfrei Ver breitung, und der verderbliche Einfluß ist hier gerade deshalb besonders groß, weil Dienstboten und Kinder ohne jeden Kosten aufwand und ohne jegliche Überwachung von seiten ihrer Vorgesetzten oder Erzieher sich diese Hefte zu verschaffen vermögen. Es ist bedauerlich, daß überhaupt Schriftsteller sich bereit finden, ihre Romane durch eine Seifenfabrik oder anders geartete Fabrikbetriebe vertreiben zu lassen. Einen solchen Roman-Verlag besitzt z. B. die Sunlight-Seifcnfabrik in Rheinau-Mannheim; doch muß anerkannt werden, daß diese Fabrik nicht Schundromane, sondern Werke bekannter Autoren wie Carola von Eynatten, Maximilian Böttcher, Ernst Georgy, Heinrich Lee usw. verbreitet. Aber die Art und Weise, wie diese Romane als Zugabe beim Einkauf von Seife verbreitet werden, sollte doch an gesehene Autoren davon zurückhalten, das Unter nehmen mit ihren Arbeiten zu unterstützen. Jedes Paket Sunlightseife enthält 6 Gutscheine: für 6 Marken erhält der Einsender eine Lieferung des von ihm gewählten Romans. Der Verbrauch an Seife ist nun zwar ein wichtiger Maß stab der Kultur; aber ich glaube nicht, daß sich darum die beteiligten Autoren rühmen können, die Kultur wesentlich zu fördern, indem sie durch spannende Lieferungs-Romane die Dienstmädchen zu unsparsamem Gebrauch der Seife verleiten. Die Zahl der Lieferungen hängt von der Zahl der angc- sammelren Gutscheine ab; wer 150 Gutscheine einsendet, der bekommt einen ganzen Roman und für weitere 50 Gutscheine auch noch eine passende Einbanddecke. Nun berücksichtige man, daß die Gutscheine den üblichen Rabatt dar stellen, und daß man 200 Pakete Seife verbrauchen muß, um einen einzigen Roman vollstänig zu er halten, den man bei Reclam für 20 H und bei Engel- Horn für 50 H haben kann, und daß Dienstboten, Wäscherinnen, Kinder usw. geradezu verschwenderisch ver fahren müssen, um alle Fortsetzungen innerhalb einer Frist zu erlangen, in welcher man üblicher Weise einen Roman durchzulescn pflegt. Man vergegenwärtige sich, 'daß man selbst einen Zeitungsroman, der nach dem Rezept »jeden Tag einen Eßlöffel- verabfolgt wird, innnerhalb eines einzigen Quartals vollständig erhält, während man doch unmöglich 200 Pakete Seife in einem normalen Haushalt vierteljährlich verbrauchen kann. Wenn man berücksichtigt, daß in einem normalen Haushalt von drei bis sechs Köpfen 2 bis 3 Pfund Seife monatlich verbraucht werden, so kann man sich leicht ausrechnen, daß Jahre dazu gehören, um einen einzigen Roman auf diesem Wege zu erlangen. Der Autor arbeitet also in fröhlichem Verein mit Waschfrau und Küchenfee, um der sparsamen und redlichen Hausfrau die Groschen aus der Tasche zu ziehen. Und doch bildet dieses System noch die anständigere Form des Kundenromans. Wenn mir auch die Romane selbst nicht bekannt sind, so lassen mich doch die Autoren vermuten, daß diese Werke wenigstens auf der Höhe eines befferen Zeitungsromans stehen. Aber es gibt noch etwas anderes auf diesem Gebiete. Vor mir liegt ein Heft in einem ordinären, roten Umschläge, aus dem folgendes zu lesen ist: Der Kundenrom an — Wochenschrift — gesetz lich geschützt. Darunter folgt der Titel des Romans: »Der Weg zum Herzen» von I. Bodmer-Wolff. — Der Autor ist mir eine unbekannte Größe, aber schon der erste Satz der in diesem neunten Heft des Romans enthaltenen Fortsetzung läßt ihn als einen hervorragenden Romancier der Hoflreppe erkennen: »Mit einem zischenden Laut richtete sich dieDiamanten- fanni jählings auf. Ihre grauen Augen funkelten und ihre Nasenflügel bebten». Auf der ersten Seite, gleich unter dem Titel, empfiehlt ein Delikatessenhändler in Leipzig seine Braun- schweizer Gemüsekonserven, se ne Kieler Voll - Bücklinge, Sprotten, Schellfische und Rotzungen und gibt der werten Kundschaft bekannt, daß diese jede Woche den spannenden Kundenroman gratis erhalte, und daß außerdem jeder seiner Kunden kostenlos mit 1000 ^ versichert sei. Was das für eine Versicherung ist — gegen Feuersgefahr, Einbruchs diebstahl, Hagel oder anderes — verrät die Ankündigung nicht. Auf der zweiten Umschlagseite des hochinteressanten Heftes wird erläutert, welche Vorteile der Kundenroman »seinen geschätzten Lesern» bietet. Also man höre die Vor teile: Dauernde, anregende, völlig kostenlose Lektüre! Kosten lose Beteiligung an einem monatlichen Preisausschreiben »und dabei Aussicht auf wertvolle Gewinne». Kostenlose Unsallver- sicherung für den Todesfall mit 1000 Für die Ausfer tigung der Police ist aber eine Gebühr von 50 H zu entrichten. Dann folgt die freundliche Aufforderung: -Verlangen Sie bei Ihrem Kaufmann in jeder Woche ungeniert die Fort setzung!» — Das Wort ungeniert hätte sich der Verfasser sparen können; denn wer den ersten Abschnitt von der Diamantenfanni gelesen hat und dann noch die Fortsetzung fordert, bei dem kann doch wahrlich von Gene nicht mehr die Rede sein. Ich überlasse die Diamantenfanni ihrem auf Seite 129 bis 137 abgehandelten Schicksale, weil auf Seite 138 etwas so Köstliches zu finden ist, daß dagegen alle süßen und schrecklichen Erlebnisse der Helden und Heldinnen aller berühmten Romane der Weltliteratur ver schwinden. Selbst die Überraschungen, die der -Graf von Monte Christo» seinen Lesern bereitet, bedeuten nichts gegen die überraschende Wendung, die »Der Weg zum Herzen- unseres Bodmer-Wolff von der 137. zur 138. Seite nimmt — denn hier machen wir ganz plötzlich eine neue und höchst erfreuliche Bekanntschaft — die Bekanntschaft des »Kunden-Roman-Verlags G. m. b. H., Charlottenburg, Suarezstraße 55-, der in einer zierlich umrahmten An kündigung den Lesern des Kundenromans bekannt gibt, daß jeder, der sich durch den Besitz der letzierschienenen Nummer als solcher ausweisen kann, »für alle vorkommenden Krankheits fälle kostenlose ärztliche Beratung erhält». Man wende nicht ein, daß diese Ankündigung doch eigentlich nichts mit dem »Wege zum Herzen» und den Schicksalen der Romanheldin zu tun habe. Diese Behauptung würde nur eine unglaub liche Kurzsichtigkeit und die leider vielen Staatsbürgern an haftende Gewohnheit, an allen Erscheinungen der Kunst und Literatur herumzunörgeln, offenbaren. Denn einmal ist es doch sehr nett, daß der Verlag sich uns auf der 138. Seite des Romans vorstellt, da er auf der Titelseite des Heftes durch die Kieler Vollbücklinge, Schellfische und Schollen ver drängt wurde; und zweitens ist es als eine durchaus aner kennenswerte Vorsicht zu betrachten, wenn den Lesern, die auf diesem »Wege zum Herzen» ihre Gesundheit gefährdet glauben, an gewissen Stationen klar gemacht wird, daß ihre ärztliche Behandlung durchaus kostenfrei ist und daß sie außerdem gegen Unfall mit 1000 versichert sind. Aber nicht nur kostenlose Untersuchung und Be ratung wird dem Leser des Kundenromans zugesichert; nein; es werden ihm auch die Medikamente zu einem »beträchtlich reduzierten Preis» geliefert. Fehlt nur noch die Zusicherung einer längeren kostenfreien Pflege in einem 13IZ'
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