206, 6. September 1910. Künftig erscheinende Bücher. Verlag von Egon Fleischel <8r Co., Berlin W. 9. G Wir versandten heute Rundschreiben über Kubinke Roman von Georg Hermann Geheftet M. 4.— ; gebunden M. 5.— Mit Llmschlagzeichnung von Heinrich Zille Der Naturalismus als Kunstform ist längst überwunden. Darüber ist man sich völlig klar, und doch sind seine Stoffe heute noch die einzigen, die der dichterischen Behandlung beim Griff ins volle Menschenleben in die Lände fallen. Wie anders aber wirken heute die „unteren Schichten der Be völkerung" auf den betrachtenden Dichter, als noch vor zehn Jahren etwa! Nicht daß das soziale Mitleid geringer geworden, als damals, da aus reinster Menschenliebe und tiefstem Verstehen her aus Clara Viebig den Kampf der dienenden Klaffe ums „Tägliche Brot" geschildert hat; aber der Dichter, den die neuromantische Strömung bespült, fühlt nicht mehr den Drang, zugleich ein Sozial politiker, ein Volksfreund, ein Weltverbesserer zu werden. Sein kategorischer Imperativ ist das Be dürfnis, auch das Läßliche im Schimmer einer poe tischen Verklärung zu sehen, im düsteren Bilde die helleren Lichter zu malen, im Tragischen den jenseits der nahen Grenze versteckten Lumor aufzustöbern. Es gibt gewiß nichts Gegensätzlicheres, als die Realistik des Zolaischen Stoffes von den, armen Barbier gesellen, der an der kargen Freude seines Lebens, an zwei Stunden selbstvergessener glücklicher Lin- gabe zugrunde geht, und der blühenden, farben frohen Romantik, mit der der Dichter von Kett chen Gebert' dieses eine Jahr aus dem Leben eines Glücklich - Anglücklichen beschreibt. Gewiß auch nichts Gegensätzliches, als das Berlin der dreißiger Jahrs, das Lermann in ,Isttchen Gebert' mit seiner ganzen Liebe umfaßt hat, und das neue Berlin des letzten Jahrzehnts, das der materielle Aufschwung mit dem Firnis satter Wohlhabenheit und Selbstzu friedenheit überzogen hat, einem Firnis, der an sich allem andern als poetischer Verklärung ein dank bares Objekt bietet. Aber gerade aus dieser Gegen sätzlichkeit von Stoff und Darstellung ergibt sich der eigentümliche, faszinierende Reiz, der die ses Buch heraushebt aus den Erscheinungen des Büchermarktes und auf einen ganz besonderen Ehrenplatz stellt, auf dem es den unsterblichen Meisterwerken der großen Lumoristen vergangener Zeiten Nachbar, Freund und Bruder ist. Aus Frankreich streckt ihm der unvergeßliche Verfasser des „Onkel Benjamin", Claude Tillier, die Land entgegen, aus England winken ihm Lawrence Sterne und Charles Dickens, aus Rußland Gogol und Gontscharvff, Mark Twain aus dem soeben erst betretenen Schattenreich, und von Deutschlands Asphodeloswiese lächelt ihm wohlwollend und ver- ständnisinnig zu: Jean Paul. Der arme, ver schüchterte Barbiergeselle Emil Kubinke aber mit dem Schwung der Seele und dem Lang fürs Löhere, dem seine ,drei Brauten' das Leben so schwer machen, daß er es freiwillig von sich wirft, wird bald schon den im Leben glücklicheren Be sitzer von drei Brauten, den Inspektor Bräsig, nicht zu beneiden brauchen um das Schicksal, das jenem zuteil ward und auch ihm beschieden sein wird: Volkstümlichkeit und Ansterblichkeit. Verlangzettel zur ges. Benutzung in der Beilage