210, 10. September IS1V Künftig erscheinende Bücher. Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. 10311 (A Wir versandten Rundschreiben über: Die vor den Toren Roman von Clara Viebig Geheftet M. 6.—; gebunden M. 7.50 Prachtexemplar auf Bütten in Leder (numeriert 1—30 und von der Verfasserin gezeichnet) M. 15. Als vor einigen Monaten Clara Viebig ihren fünf zigsten Geburtstag beging und von vielen Seiten dieser Tag zum Anlaß genommen wurde, einen Blick zu werfen auf das, was sie dem deutschen Volke in ihren Werken geschenkt, da war die Ansicht allgemein, daß dieses, mit jedem Buch nach immer höheren künstlerischen Zielen ringende Talent den Gipfelpunkt seines Schaffens noch nicht erreicht, daß noch tiefere und eindrucksvollere Werke dieser Feder gelingen würden. Wie um die Berechtigung solcher Hoffnung zu bestätigen, erscheint jetzt ein neuer Roman der Dichterin, in dem sie neue Wege geht oder aus bereits früher beschrittenen Pfaden neuen Zielen zustrebt. Hat sie in ihren großen Zeitromanen „Die Wacht am Rhein" und im „Schlafenden Heer" — dem neuen Typus einer an die Weltbildromane Karl Gutzkows, Gustav Freytags, Friedrich Spielhagens anknüpfenden Romangattung — im elfteren das Werden des Reiches, das Erwachen, Wachsen und Reifen der Einheitsidee ge schildert, im letzteren die beginnende Reichsverdrossen- heit, die inneren Kämpfe um die Erhaltung der ge wonnenen Einheit, so gibt sie in ihrem neuen Werke gewissermaßen das dritte, das Mittelstück der Trilogie: die Kindheit des mit Blut und Eisen geschmiedeten Reiches. Aber nicht das Emporblühen der Reichshauptstadt als solcher, nicht das erste Sichregen weltstädtischen Selbst bewußtseins, das langsame oder übereilige Abstreifen alles Kleinstädtischen dient ihr als Hintergrund für ihr Zeitgemälde. Bei ihrer Vorliebe für den Bauern stand, bei ihrer tiefen Kenntnis seiner Bedürfnisse und seines innersten Wesens, geht sie hinaus vor die Tore der Großstadt und sieht die Zeitumwälzungen sich spiegeln in dem Streben und Hoffen, im Kämpfen und Unterliegen derer vor den Toren. Vom Tempel hofer Feld ziehen die siegreichen Truppen ein in die Hauptstadt des Landes, und die Bauern, deren Felder und Acker noch heranreichen bis an die Ehrenpforten der Einzugsstraße, sehen ihnen nach und ahnen nicht, daß dieser Freudentag der erste einer neuen Zeit ist, in der das Ungeheuer, dis Stadt, seine Polypenarme nach allen Seiten ausstrecken wird, um die an sich zu ziehen und zu zerdrücken, die da draußen leben als freie Herren auf der Scholle. Der Untergang der Bauernschaft, nicht in Elend und Verarmung, sondern in Reichtum und Wohlleben, durch mühelosen Gewinn und durch Auf stachelung der Habgier, durch ein leichtfertiges Sichlos- reißen von der heimatlichen Erde, von Haus und Grund der Vorfahren, durch ein nur zu gern gewolltes Aufgeben bäuerlicher Eigenart zugunsten der großstädtischen Aller weltsart, wird in diesem Buche mit Meisterschaft ge schildert. Die Liebe zum korntragenden Land, die Liebe zum Heimattreuen Bauern, zu Wald und Feld, die tiefe Erkenntnis von der Gefahr der Losgerissenheit, der Heimatlosigkeit des Großftadtkindes, hat die Dichterin geführt, die vielleicht noch niemals eine solche Falle lebenssatter Gestalten, eindrucksmächtiger Lebensbilder, erschütternder Schicksale in den knappen Rahmen eines Buches gebannt hat. Verlangzettel in der Beilage. I3»2'