236, 11. Oktober 1910. Künstig erscheinende Bücher. Börsenblatt s. d. Dtschn. vuchhaiedel. 11877 Verlag von Egon Fleische! H Co., Berlin VV. 9 Wir versandten Rundschreiben über: Der Entgleiste Roman von Wilhelm Holzamer Mit Llmschlagzeichnung von Rudolf Koch 2 Bände M. 8,—; in Leinen geb. M. 10.— Drei Jahre nach dem so frühen Tode des Dichters erscheint dieser nachgelassene Roman, ein Lebenswerk im wahrsten Sinne des Wortes — ein Lebens- und Kulturroman. Eigene Entwick lungsphasen und persönliche Erlebnisse sind mit der Fabel verknüpft, und durch das ganze Werk hindurch stößt man aus Menschen, Geschehnisse, Städte, die im Leben des Autors, eine Rolle ge spielt haben. Ohne Problem- oder Tendenzdich tung zu sein, birgt der Roman in seinen ethischen und ästhetischen Forderungen eine Abrechnung mit Althergebrachtem, dem Fortschreiten eines freien Menschentums Entgcgenstehendem und geht der Erörterung von Fragen der Erziehung, der Re ligion und des Staatslebens nicht ängstlich aus dem Wege. Künstlerisch ist der Roman Holzamers reifste Arbeit. Seine Eigenart und Vielseitigkeit prägt sich in überraschender Weife darin aus. Man hat bei der Lektüre das Gefühl, als ob der Dichter, ohne Rücksicht auf sich selbst und solche, die ihm nahe standen, sich alles von der Seele geschrieben hat, was ihn vielleicht Jahre drückte und be schäftigte. Eine große Schlichtheit und Lebenstreue, knappe Schilderung der Einzelheiten, verbunden mit einem tiefen psychologischen Erkennen der Zu sammenhänge, zeichnen diesen Roman aus. Da neben ist ihm stark Mainzer Humor, die Wein- sröhlichkeit der Rheinhessen eigen und eine zarte, keusche Innigkeit, eine Poesie der landschaftlichen Schilderungen, die einzelne Stellen des Romans fast zu Gedichten in Prosa machen. Im „Entgleisten" begegnen auch die Kenner seiner früheren Werke all den bekannten Gestalten seiner Dorferzählungen wieder: Dem „alten Krafft", der „alten Lisbeth", und auch an das Grab des „armen Lukas" werden wir geführt. Ein ge waltiges Gemälde voll mannigfaltiger Gestalten entwirft der Dichter, von der hessischen Ziegel- arbeilerin, der „Kaiser-Klar" — einer Gestalt von köstlicher Derbheit und Frische — zum Pariser Camelot Pierre, von der vornehmen Melanie zur leidenschaftlichen algerischen Tänzerin Beya, und durchmißt den langen Weg vom Heirnatsdorfe bis Paris — von der Enge zur Weite der großen Stadt und der großen Welt. Für den Tieferblickenden hat der Roman fast Tagebuchwert, er kündet mehr von dem Wesen seines Schöpfers, als irgend eines seiner bisherigen Bücher es getan. — Verlangzettel in der Beilage. —